Landwirtschaft kann mehr Artenschutz und Tierwohl
Ökolandbau im Blickpunkt von Staat und Gesellschaft
Rund 150 Teilnehmer am Ökopart der landwirtschaftlichen Woche in Baunatal konnte Tim Treis, Sprecher der Vereinigung Ökologischer Landbau, begrüßen. Moderatorin Dr. Ute Williges, Fachbereichsleiterin im LLH, führte aus, dass derzeit die Ausrichtung der EU-Agrarpolitik anstehe und die Verteilung der Beihilfen und Fördergelder in einem Schwerpunktbeitrag der Veranstaltung behandelt werde.

Foto: Dr. Hildebrandt
Verbraucher in die Pflicht nehmen
In diesem Zusammenhang bemängelt er ausdrücklich das übliche Verbraucherverhalten, 85 Prozent des Einkommens für Kreuzfahrten, Autos und Luxusartikel auszugeben, und sich dabei keine Gedanken darum zu machen, dass sie durch ihr Verhalten die Verantwortung für Probleme bei Umwelt, Klima und Naturschutz tragen würden. Conz hofft, dass es gelingt, hier ein Umdenken zu erreichen, das auch der Sicherung einer bäuerlichen Landwirtschaft zuträglich ist. „Landwirtschaft kann mehr Artenschutz, Landwirtschaft kann auch mehr Tierwohl!“, so Conz. Aber die dabei entstehenden Kosten müssten auch getragen werden und diese Einsicht und Mitverantwortung gelte es, dem Verbraucher zu vermitteln.
Jan Plagge, Präsident von Bioland und der IFOAM-EU referierte über die EU-Agrarpolitik im Wandel und was von der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) in Zukunft erwartet werden könne. Er zeichnete ein stark strukturiertes Landschaftsbild, das den Idealzustand nach den Prinzipien des ökologischen Landbaus darstellt. Dabei handele es sich nicht um Extensivlandwirtschaft, sondern um ein hochproduktives und hochintensives System mit einer Verkoppelung von Landwirtschaft, Obst- und Gartenbau, vielfältiger Tierhaltung mit Biogas und Energieerzeugung, Mühlen und regionalem Handwerk. Das Problem: dieses System funktioniere derzeit in unseren (Lebensmittel-) Märkten nur in einer sehr kleinen Nische. Da sich diese Nische nur auf etwa 6 Prozent des Gesamtmarktes auswirke, müssten sich 94 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe allein aus betriebswirtschaftlichen Gründen für eine Entwicklung des Wachsens und Weichens entscheiden.
Die Frage, was sich rechnet, trennt Landwirte
Die Entscheidungen würden durch die Agrarmärkte vorgegeben mit den Leitfragen: Wie muss ich wachsen, wie muss ich mich spezialisieren, wo erreiche ich die höchsten Deckungsbeiträge. Plagge ist sicher, es gebe keinen Landwirt, der nicht auch Natur und Boden, Grundwasser, Klima, die Artenvielfalt und auch das Tierwohl schützen wolle. Diese Fragen trenne die Landwirtschaft nicht. Was trenne, sei die Frage danach, was sich rechne. Dies sei auch Ursache dafür, dass die Entwicklung Formen angenommen habe, die mit Nachhaltigkeit nichts mehr zu tun habe.
Der private Markt vergüte keine Leistungen für Insekten-, Arten- oder Klimaschutz. Dies müsse die öffentliche Hand übernehmen und dies geschehe am besten dadurch, dass man die Vielfalt in der Landwirtschaft fördere. Die GAP habe dies bisher nicht getan, weswegen die Verbände des Ökolandbaus bei der Neuausrichtung entsprechende Forderungen stellten. Dabei solle die Gießkannenförderung der ersten Säule zugunsten eines Marktes für öffentliche Leistungen reduziert werden. Entscheidungen der Betriebe zu mehr Natur-, Klima-, Wasser- und Artenschutz sollten aus den eingesparten Mitteln so gefördert werden, dass sie sich einkommenswirksam bemerkbar machten.
Sozialleistungen für die Landwirtschaft
Die bisherigen Leistungen aus der ersten Säule seien im eigentlichen Sinne nichts Anderes als Sozialleistungen für die Landwirtschaft. Mit dem skizzierten Modell würden die Mittel für echte Leistungen erbracht, die nur durch die öffentliche Hand honoriert werden könnten. Dennoch solle es beim Umbau des Systems bei einer Basisprämie bleiben, die kleinere Betriebe wie bisher flächenbezogen höher fördere als große Betriebe, weil sich hier die Kosten besser verteilten und weil durch die Erhaltung vieler Betriebe ein Mehrwert entstehe.
Die Basisprämie könne so auf etwa 30 Prozent begrenzt werden, wobei der Rest auf Leistungen für Umwelt, Klima und Tierschutz umzuschichten sei, so die Position der Ökoverbände. Aus diesem Vorschlag, der auch mit den Bauernverbänden diskutiert worden sei, hätte sich eine Vorlage für die EU-Kommission herauskristallisiert, wonach die GAP künftig neun Ziele erreichen solle: Drei ökonomische Ziele durch Unterstützung der Einkommen, der Wettbewerbsfähigkeit und der Ernährungssicherung. Drei ökologische Ziele: Umwelt-, Klima- und Artenschutz plus Landschaftsschutz und drei sozioökonomische Ziele, in denen auch der Tierschutz genannt werde.
Grundsätzlich werde die neue GAP-Verordnung mehr Entscheidungen auf die Mitgliedstaaten verlagern, da viele Regelungen regionale Unterschiede berücksichtigen sollten und der Verwaltungsaufwand so vereinfacht werden könne. Die Mitgliedstaaten sollen jährlich einen Bericht über die Mittelvergabe und der damit erzielten Leistungen an die EU liefern. Sowohl in der ersten, als auch in der zweiten Säule sollen für den Landwirt mehr Wahlmöglichkeiten bestehen. Grundproblem bleibe aber das Geld. Zusätzliche Umweltleistungen, die aus der zweiten Säule bezahlt werden, sollen nach einem Vorschlag von EU-Kommisar Öttinger um 15 Prozent gekürzt werden, die Leistungen der ersten Säule mit den Direktzahlungen um 5 Prozent. Plagge bedauert diese Entscheidung und vermutet einen immer schwächer werdenden Agrarhaushalt, wenn der Verteilungsmechanismus nicht grundlegend geändert werde. Die Gesellschaft sei zur Unterstützung der GAP eher bereit, wenn dadurch deutlichere Umweltleistungen erbracht würden. IFOAM schlägt einen schrittweisen Umbau der GAP-Leistungen über zwei Finanzperioden (14 Jahre) vor. Das künftige Prämienmodell solle sich dann an Zielen im Klima-, Umwelt-, Artenschutz orientieren, wobei die Landwirte die Intensität ihrer Teilnahme selbst bestimmen und aus vorgegebenen Leistungspaketen auswählen sollen.
Öko- und konventionelle Landwirte in einem Boot
Nach Plagge gibt es künftig eine Basisprämie (beispielsweise zur Erhaltung von Dauergrünland) und darauf aufbauend eine erste Prämienstufe (Umsetzung vielfältiger Fruchtfolge zum Klimaschutz), eine zweite Stufe (zur Umsetzung spezieller Kompost- und Gülleaufbereitungstechniken) und eine dritte Stufe für Prämien pro fixierter Tonne CO2 (Carbon-Farming). Plagge sieht sowohl die konventionelle als auch die ökologische Landwirtschaft in einem Boot und mahnt bei den Verhandlungen zur neuen GAP eine gemeinsame offensive Vorgehensweise an, indem darauf hinzuwirken sei, die Leistungen der Landwirtschaft für Klima, Umwelt, Wasser und Artenschutz in den Mittelpunkt zu rücken. Hierin sieht er die Berechtigung, entsprechende Vergütungen durch die Gesellschaft einzufordern, während eine auf Einkommenshilfen fokussierte GAP weiter an Bedeutung verlieren werde.
Prof. Dr. Jürgen Heß, Leiter des Fachgebiets Ökologischer Land- und Pflanzenbau im Fachgebiet Ökologische Agrarwissenschaften der Universität Kassel, stellte die Ergebnisse einer Studie des Thünen-Instituts über die „Leistungen des Ökolandbaus für Umwelt und Gesellschaft“ vor. Die 398-seitige Studie ist als Thünenreport 65 auch online unter der Internetadresse www.thuenen.de/de/infothek/... abrufbar.
Die interdisziplinäre Arbeit wurde von 22 Wissenschaftlern aus sieben verschiedenen Institutionen durchgeführt, wobei in einem Untersuchungszeitraum von 1990 bis 2017 mehr als 10 000 Publikationen gesichtet und anhand von 33 Indikatoren 528 Vergleichstudien mit 2 816 Paarvergleichen (konventionell/ökologisch) untersucht und ausgewertet wurden. Ziel der Arbeit war es, die gesellschaftlichen Leistungen des ökologischen Landbaus in den Bereichen Wasserschutz, Bodenfruchtbarkeit, Biodiversität, Klimaschutz, Klimaanpassung, Ressourceneffizienz und Tierwohl auf der Grundlage einer umfassenden Analyse wissenschaftlicher Veröffentlichungen zu bewerten.
Im Ergebnis kommt die Studie zu der Aussage, dass über alle Indikatoren hinweg die ökologische Bewirtschaftung gegenüber der konventionellen Variante im Bereich des Umwelt- und Ressourcenschutzes bei 58 Prozent der analysierten Vergleichspaare Vorteile aufwies.
Kein klares Bild beim Tierwohl
Bei 28 Prozent konnten keine Unterschiede festgestellt werden, bei 14 Prozent der Vergleichspaare war die konventionelle Variante vorteilhafter.
Kein klares Bild habe sich beim Tierwohl gezeigt. Bei 46 Prozent der Vergleichspaare seien über alle Tierarten und Produktionsrichtungen hinweg keine eindeutigen Unterschiede zwischen der ökologischen und konventionellen Tierhaltung festgestellt worden. Lediglich bei der Bewertung von Einzelparametern wie beispielsweise der erzeugten Milchmenge in kg zu den stoffwechselbedingten Methanemissionen der Milchkühe sei die konventionelle Milchviehhaltung im Vorteil. Weil eine Hochleistungskuh mit Jahresleistungen von 10 000 kg und mehr pro kg Milch weniger Methan emittiert als ein ökologisch gehaltenes Tier, das aufgrund weniger intensiver Fütterung ohne Kraftfutter nur 6 bis 7 000 kg Milch im Jahr produziert und das möglicherweise bei gleichem Methanausstoß. Die vorliegenden Vergleichsstudien würden lediglich Milchleistung und Methanausstoß in Bezug setzen ohne die unterschiedliche Futtererzeugung und Tierhaltung mit einzubeziehen.
Die Ursachen für die ökologische Vorzüglichkeit sieht Heß zum einen im Systemansatz des Biolandbaus und zum anderen in den selbst gesetzten Restriktionen durch Produktionsvorschriften der Verbände. Unter Systemansatz seien die Systemelemente des Ökolandbaus anzusehen wie Fruchtfolge, Tierhaltung, Düngung, Saatgut, Bodenbearbeitung.
Diese ständen in sehr engen Wirkzusammenhängen zueinander. Dabei komme es darauf an, Synergien und Selbstregulative im Agrarökosystem zu nutzen, da rasch wirksame Betriebsmittel in der ökologischen Landwirtschaft nicht oder nur kaum zur Verfügung ständen. Somit benötigten die Bewirtschafter sehr viel know how und Fingerspitzengefühl, um ihr System in Schwingung zu versetzen und zu halten.
Eine Wirkungskette des Ökolandbaus zeige sich beispielsweise im Umgang mit dem knappen Gut Stickstoff. N-Verluste sollten im betrieblichen Stoffkreislauf vermieden werden, weshalb einerseits Maßnahmen zum Verlust durch Auswaschung wie beispielsweise Feldfutterleguminosenanbau zur Förderung der Bodenfruchtbarkeit und Erhöhung des Erosionsschutzes getroffen würden. Für Umwelt und Gesellschaft entstehe durch das niedrigere N-Düngungsniveau eine positive Leistung, indem sich dadurch konkurrenzschwache und seltenere Ackerwildkräuter entwickeln und bestehen könnten. Die Blüten der Wildkräuter würden Nutzinsekten wie Marienkäfer, Schwebfliegen und Schlupfwespen in den Bestand locken, die dann die Blattläuse im Bestand regulierten.
Heß folgert, dass der Ökolandbau für Umwelt und Gesellschaft ein Gesamtpaket von Leistungen bietet und sich in fast allen Leistungsbereichen den herkömmlichen Bewirtschaftungssystemen als überlegen aber zumindest als gleichwertig erweist. Dabei sei die Leistungserbringung weniger ein Ergebnis gesetzlicher Reglementierungen und Vorgaben als vielmehr die Folge selbst gesetzter Grenzen und des praktizierten Systemansatzes. Gleichwohl verfüge der Biolandbau noch über weitere Entwicklungspotentiale, die dazu geeignet seien, Diversitätsschwund und Klimawandel entgegenzuwirken.
Der von Kritikern oft bemühte Ertragsbezug bei der Bewertung der Leistungen des Systems Ökologischer Landbau erweise sich als problematisch und bei der Mehrzahl der Parameter als nicht oder nur sehr bedingt geeignet. Auf jeden Fall lenke er davon ab, andere relevante Treiber schärfer in den Blick zu nehmen.
Dr. Ernst-August Hildebrandt – LW 5/2020