Leuchtturmbetriebe und herausgeputzte Städte

Starkenburger Bauern erleben ein dynamisches Polen

Das Reiseziel Polen hat für viele südhessische Bauern einen großen Reiz. Oftmals unterhalten sie seit Jahren Verbindungen mit dem Nachbarland. So bieten die Sonderkulturbetriebe vielen Polen einen Arbeitsplatz in der Erntesaison und darüber hinaus; einige Bauern nehmen junge polnische Praktikanten auf, und manche südhessische Landwirte haben ihre familiären Wurzeln in den ehemaligen deutschen Gebieten.

Breslau, hier das Rathaus, hat sich wie viele andere polnische Städte herausgeputzt. Die gelungene Renovierung der Gebäude sind Zeugnis der sprichwörtlichen polnischen Handwerkskunst.

Foto: Mohr

In der kürzlich vom Regionalbauernverband Starkenburg organisierten Fahrt nach Schlesien bot sich den Teilnehmern ein sehr positives Bild eines Landes, das sich vor allem nach dem Beitritt zur Europäischen Union im Jahre 2004 sehr dynamisch entwickelt hat.

Vorzeigebetrieb der polnischen Landwirtschaft

Sichtbar wird dies in den sehr schön hergerichteten Städten wie Breslau und Krakau, die mit vielen wohl restaurierten Bauten aufwarten und neben den polnischen auch die deutsch-preußische und die österreichische Geschichte erkennen lassen. Deutlich wird die Dynamik auch in der Landwirtschaft.

Ein Leuchtturm der polnischen Landwirtschaft ist das Kombinat Kietrz (www.kombinatkietrz.pl) in der gleichnamigen Stadt (deutsch Katscher) in der Woiwodschaft (Verwaltungsbezirk) Oppeln in Schlesien. Es befindet sich im Staatsbesitz, womit ihm einige Aufgaben aufgetragen werden, die für die Allgemeinheit von Interesse sind. Der mit 9 000 ha größte landwirtschaftliche Staatsbetrieb muss allerdings Geld verdienen und einen Teil des Gewinns an die Staatskasse abführen, wie der Geschäftsführer Mariusz Sikora ausführte. Schwerpunkt ist die Milchviehhaltung. Das Unternehmen hält 3 000 Milchkühe. Sie erzielen eine Leistung von über 10 000 Kilogramm Milch pro Tier und Jahr und werden in einem modernen Melkkarussell gemolken. Die laktierenden Kühe sind in vier Leistungsgruppen eingeteilt und bekommen entsprechende TMR-Rationen.

Auch im Ackerbau erreichen die Leistungen europäische Spitzenwerte. So werden im Schnitt 102 Dezitonnen Weizen je Hektar gedroschen und 815 Dezitonnen Zuckerrüben geerntet. Mit derzeit 1 126 Hektar Anbaufläche ist das Kombinat Kietrz europaweit der größte Zuckerrübenerzeuger. Es liegt zudem verkehrsgünstig 27 Kilometer von der Zuckerfabrik der Südzucker Polska SA in Cerekiew (deutsch Groß Neukirch) entfernt. Doch eine Sorge plagt Geschäftsführer Sikora. Er habe bislang keine Nachricht darüber, wie die Mengenplanung der Südzucker in Polen aussieht und wie viel Rüben er im nächsten Jahr anbauen kann. In Deutschland ist die Planung mit Südzucker dagegen schon im Juni abgeschlossen worden. Dies mag an der unterschiedlichen Struktur liegen und an der Beteiligung der süddeutschen Bauern an den Unternehmen.

Die Ackerflächen des Kombinats befinden sich in einem Umkreis von 15 Kilometer und haben eine durchschnittliche Schlaggröße von 102 Hektar. Neben den genannten Früchten werden Körnermais, Silomais, Raps, Gras und Luzerne angebaut. Der Betrieb vermehrt Weizen und betreibt eine große Saatgut-Aufbereitungsanlage.Dies ist eine der im Allgemeininteresse liegenden Tätigkeiten. Ein Großteil des Saatguts wird an andere landwirtschaftliche Betriebe verkauft.

In der Viehhaltung fungiert der Betrieb als Zuchtorganisation und stellt Vererber zur Verfügung. Eine andere vom Staat übertragene Aufgabe ist die Zucht von Huzulen, einer aus den Ostkarpaten stammende und selten gewordene Ponyrasse. Sie lebte dort halbwild und diente den Menschen als Trag- und Zugtier. Als Vorbildunternehmen werden auf dem Betrieb zudem Fachveranstaltungen durchgeführt und pflanzenbauliche Versuche angelegt. Das Unternehmen beschäftigt 290 Mitarbeiter, die zum Teil in betriebseigenen Häusern wohnen.

Bürgermeister treibt Entwicklung voran

Einen Bürgermeister, der sich seit 18 Jahren der wirtschaftlichen Entwicklung seiner Stadt verschrieben hat, lernte die Reisegruppe in Antonie Kopec kennen. Das Oberhaupt der niederschlesischen Stadt Katy Wrocławskie (deutsch Kanth) zeigte stolz zwei Betriebe. Das Unternehmen Araj stellt Getreidesilos und die dazugehörende Förder- und Trocknungstechnik her. Dazu verarbeitet der Betrieb im Jahr 11 000 Tonnen verzinktes Stahlblech. Vor 18 Jahren wurde das Unternehmen als Garagenfirma gegründet. Es projektiert die Anlagen individuell nach Kundenwunsch, stellt sie her und baut sie vor Ort auf, mittlerweile in sämtlichen mittel- und osteuropäischen Ländern und sogar in Indien.

Viele der südhessischen Bauern haben Beziehungen zu Polen. Hier zeigen sic sich mit der Schulleitung der beruflichen Schule in Namys³ów, die seit zehn Jahren Praktikanten in landwirtschaftliche Betriebe und in die Gastromie der Region Starkenburg entsendet.

Foto: Mohr

Heute erzielt das Unternehmen, das mittlerweile zum Unia-Konzern gehört, rund 40 Mio. Euro Umsatz im Jahr und beschäftigt 650 Personen. Damit ist es einer der wichtigsten Arbeitgeber der Stadt, die rund 22 000 Einwohner zählt und mit dem südhessischen Biblis eine Städtepartnerschaft pflegt. Lag die Arbeitslosigkeit von 20 Jahren noch bei 20 Prozent, so sind es heute nach Angaben des Bürgermeisters nur noch 3 Prozent. Insgesamt gibt es 2 000 Unternehmen in der Gemeinde. Ein Vorteil ist die verkehrsgünstige Lage der Stadt in der Nähe der A4, auf der man von Schlesien und Südpolen über Görlitz und Dresden sehr schnell in die Mitte Europas gelangt.

Holländische Leidenschaft

Echte Leidenschaft für die Landwirtschaft steckt offensichtlich in den drei Holländern, die sich ebenfalls vor 18 Jahren in Kanth niedergelassen haben und heute auf 2200 Hektar Ackerbau betreiben. Sie stammen aus kleinen Betrieben mit jeweils zwischen 40 und 50 Hektar in der Nähe von Venlo. Nachdem sich Ronnie Luteijn, Herbert Bos und Ed van Cleef innerhalb eines halben Jahres rund 150 Betriebe angeschaut hatten, haben sie sich in dem Ort niedergelassen und eine GmbH (www.hedrofarms.pl) gegründet. Später haben sie polnische Frauen geheiratet.

Das Unternehmen hat sich auf die Produktion von Möhren (auf 30 Hektar), Kartoffeln (80 Hektar) und Zwiebeln spezialisiert. Diese Kulturen werden zum Teil beregnet. Daneben werden Weizen, Gerste, Raps und Zuckerrüben angebaut. Der Ertrag liegt bei den Zwiebeln bei rund 40 Tonnen pro Hektar, bei den Möhren liegt er nach Angaben von Ed van Cleef zwischen 60 und 120 Tonnen.

Die Kartoffeln hatte der Betrieb jahrelang an den Handelskonzern Lidl vermarktet, der neben Kaufland und einigen französischen Lebensmittelhandelsketten (Auchan, Carrefour, Leclerc) in Polen sehr aktiv ist. Als das Lidl-Management wechselte, sollte der Betrieb weitere Preiszugeständnisse machen. Damit war die Partnerschaft zu Ende, und die Holländer vermarkten die Kartoffeln jetzt an einen Großhändler, wie van Cleef schilderte.

Das Unternehmen beschäftigt rund 40 Mitarbeiter. Viele davon kommen aus der Ukraine. Die polnischen Fachkräfte gehen nach Deutschland oder bislang nach England, wo sie mehr Geld verdienen. Mit den Arbeitern aus der Ukraine sind die Unternehmer sehr zufrieden. Die Saisonarbeitskräfte erhalten den polnischen Mindestlohn von 10 Zloty, umgerechnet rund 2,50 Euro.

Seit zehn Jahren Praktikanten aus NamysłÃ³w

Mit der beruflichen Schule in NamysłÃ³w (deutsch Namslau), eine Kreisstadt bei Oppeln, unterhält der Regionalbauernverband Starkenburg seit rund zehn Jahren enge Kontakte. Dies war der Anlass der Studienreise. Die Schüler kommen nach Südhessen, um ein Praktikum in der Landwirtschaft oder auch in der Gastronomie abzulegen. 500 junge Leute besuchen derzeit die Schule. Die beruflichen Fähigkeiten werden in der Schule sowie in Praktika vermittelt. Ein duales Ausbildungssystem wie in Deutschland besteht nicht. Der stellvertretende Schulleiter Adam Hubicki und sein Gegenpart, der RBV-Geschäftsführer Peter Gheorgean, sind maßgebliche Motoren der Praktikantenvermittlung, die noch mehr zu einem Austausch werden soll. Beide wünschen sich, dass junge Deutsche noch Polen gehen, um dort Erfahrungen zu sammeln.

CM – LW 42/2016