„Melken ist Mathematik“
Milchviehbetriebe wachsen, wer soll die Arbeit machen?
In der Milchviehhaltung werden verstärkt automatisierte Verfahren für die verschiedenen Tätigkeiten eingesetzt, mit dem Ziel die körperÂliche Arbeit zu reduzieren, um mit dem Betriebswachstum nicht in die Arbeitsfalle zu geraten. Das Mehr an Technik ist nicht immer der Problemlöser. Ãœber das Thema der Arbeitswirtschaft im wachsenden Milchviehbetrieb sprach Alfons Fübbeker vom Fachbereich Energie, Bauen und Technik der Landwirtschaftskammer Niedersachsen vorige Woche in Rennerod bei einer gemeinsamen Fachtagung des Dienstleistungszentrums Westerwald-Osteifel und der ArbeitsgemeinÂschaft Landtechnik und Bauwesen (ALB) Rheinland-Pfalz/Saarland.

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Klare Aussagen traf der Kammerberater zu den Arbeitszeitbilanzen in wachsenden BeÂtrieben: Die Arbeitszeit pro Kuh und Jahr schwankt bei den Betrieben zwischen 25 und 55 Stunden, im Mittel sind es etwa 40 Stunden. Circa die Hälfte davon wird für das Melken benötigt. Von 2 100 Stunden pro Arbeitskraft (Ak) im Jahr, bleiben dem Betrieb für den angestellten Arbeitnehmer (Urlaub, Feiertage, Krankentage abgezogen) circa 1 600 bis 1 700 Stunden pro Jahr. Umgerechnet auf die Kuhzahl sind das etwa 40 Tiere. Im besonders gut organisierten Betrieb können es auch 55 Kühe je Ak sein und im optimalen Fall maximal 70 Tiere je angestellter Vollzeit-Arbeitskraft.
Soll eine Fremd-Arbeitskraft eingestellt werden?
„Manchmal bin ich schockiert, wie naiv an einem Investitionsplan gegangen wird, wenn ein Stall für zum Beispiel 200 Kühe gebaut wird und ich auf die FraÂge: Wer soll die Arbeit machen? nur die Antwort erhalte: Das machen wir selbst.“ Fübbeker kalkulierte darauf die Arbeiszeit für einen neuen Stall mit 80 Plätzen: 80 Milchkühe multipliziert mit 40 Akh/Jahr sind 3 200 Akh – also fast zwei Voll-AK. Hinzu kommt die Nachzucht: 80 Kälber sowie Färsen multipliziert mit 10 Akh/Jahr/Färse, so sind das plus 800 Akh. Für das ManaÂgeÂment im Betrieb würden etwa 640 Akh benötigt sowie zusätzlich je Kuh 8 Akh im Jahr für die Tierbetreuung, wie Brunstkontrolle, Gesundheitsüberwachung oder Klauenpflege.
Welche Ansätze zur LöÂsung der arbeitswirtschaftlichen Probleme gibt es? Eine Möglichkeit ist die Leistung der Tiere weiter zu steigern: Wenn man eine Mio. Liter Milch erzeugen will, benötigt man bei 7 000 kg je Kuh und Laktation 143 Kühe, bei einer Leistung von 10 000 kg sind es aber nur 100 Kühe. Das Melken dauert sicherlich etwas länger, aber es fällt unterproportional aus, so dass es sich lohnt. Gleichzeitig sollte auf eine hohe LeÂbensÂleistung je denn „die Lebensleistung unserer Kühe ist eine Katastrophe“, so Fübbeker.
Eine Arbeitskraft kostet 35 000 Euro im Jahr
Vor der Entscheidung zum Wachstum gehören viele weitere Punkte auf den Tisch. Dem Betriebsberater ist dabei besonders wichtig, dass alle Aspekte rechtzeitig innerhalb der Familie angesprochen werden, zum Beispiel: Welche Produktionszweige bringen Geld, welche sollen aber besser abgegeben oder ausgelagert werden? Soll eine Fremd-Arbeitskraft eingestellt werden? Kann ich mit ihr umgehen? „Ich kenne viele Betriebsleiter, die für sich selbst eingestehen, ich kann nicht Leute führen. Von zehn Landwirten haben hier sieben Probleme“, so der Experte. Für eine gute Arbeitskraft im Milchviehbetrieb müsse man mit Kosten zwischen 30 000 und 35 000 Euro im Jahr kalkulieren.
Auch das Fütterungskonzept für die Milchviehhaltung gehöre auf dem Prüfstand. Einen deutlich höheren Zeitaufwand hat man zum Beispiel, wenn die Rationen gesplittet werden. Weiterhin stellt sich die Frage, ob ein angehängter Futtermischwagen oder ein Selbstfahrer sinnvoll ist? Je nach den einzelbetrieblichen Bedingungen gibt es deutliche Unterschiede bei der Arbeitszeit und den jährlichen Kosten. Weite Fahrten, mehrere Siloanlagen oder ein hoher Maissilageanteil in der Ration sprechen beispielsweise für den Selbstfahrer. Kurze Fahrten, wenig Mischungen und gute Ausnutzung des Behälters sowie ein hoher Grasanteil sind dagegen vorteilhaft für den angehängten Futtermischwagen. Also ist die Entscheidung, welches System zum Betrieb passt, vor Ort zu treffen. Aber es sei nicht an der Betriebsgröße festzumachen, sondern hänge davon ab, wie der Betrieb arbeitsÂtechÂnisch aufgestellt sei, folgerte er. Was ist arbeitszeitsparend? Er rät beim Stallbau, nicht den Futtertisch „klein zu rechnen“, um bei den Baukosten zu sparen.
Das Befüllen dauert dann länger. Das bedeutet schließlich höhere Kosten. Denn „jede Minute am Tag, die mehr für das Füttern benötigt wird, sind sechs Stunden im Jahr mehr an Arbeitszeit“, so der Referent. Erst wenn es um das Entlohnen von Zeit geht, wird man sich dessen Wert bewusst.
Wie wertvoll die Arbeitszeit ist, werde am besten deutlich, wenn der Lohnunternehmer zum Füttern bestellt wird. Das Füttern durch ihn wird im Allgemeinen auf Basis der Einsatzdauer des Futterwagens bezahlt; pro Minute werden vom Dienstleister circa 2 Euro in Rechnung gestellt. „Sie glauben gar nicht, wie schnell dann in den Betrieben die Futtergänge geräumt sind und das Silo frei gelegt ist, damit der Lohnunternehmer bald wieder vom Hof ist“, so der Kammerberater.
Was bringen aus dieser Sicht die automatischen Fütterungssysteme? Sie ermöglichen, das vom Silo in den Vorratsbehälter transportierte Futter ohne manuellen Aufwand den Kühen vorzulegen. Interessant sind automatische Fütterungssysteme, wenn im Betrieb verschiedene Rationen den Milchkühen angeboten werden und die Futtervorlage mehrmals täglich erfolgt.
Dann sei die Zeitersparnis bei der Futtervorlage durch Fütterungsroboter am größten, weil die höhere Fütterungsintensität ohne zusätzlichen Arbeitsaufwand möglich sei, so der Experte. Diesem Vorteil stehen aber vergleichsweise hohe Investitionskosten gegenüber, so dass abzuwägen sei, ob sich die Mehrkosten der automatischen Fütterung von etwa 1 bis 1,5 Cent je kg Milch amortisieren. „Siloflächen sollten bei automatischen Fütterungssystemen nah am Stall gebaut werden. Der Futtertisch muss ebenfalls hierauf ausgerichtet und groß genug sein.
„Spaßfaktor“ ist wichtig, jeder sieht das anders
Ähnlich sind seine Vorschläge zur Wahl des geeigneten Melktechniksystems. Ob Swingover-Melkstand, Melkroboter oder Melkkarussel, alle Systeme hätten ihre Berechtigung in modernen Milchbetrieben. „Sie können mit jedem System effizient melken. Wichtig ist die persönliche Neigung. Ein Züchter beispielsweise möchte viel vom Tier sehen und entscheidet sich für den Side-by-Side-Stand. Ein anderer Milcherzeuger denkt, je schneller das Melken geht, umso besser und will das Karussell im Kuhstall haben.“
Landwirt Harry Mulder aus Ailertchen meinte in der folgenden Diskussion: „Bei allen Erfordernissen zur weiteren Effizienzsteigerung der Milcherzeugung darf nicht nur auf die letzte Minute geschaut werden, die wir noch einsparen können. Unsere Kühe sind keine Produktionsanlagen.“
Moe – LW 51/2014