Nachhaltige Landwirtschaft

Lehrerkongress fand in Wächtersbach-Neudorf statt

„Nachhaltige Landwirtschaft – regional und global“ lautete das Thema des neunten Lehrerkongresses, zu dem die Gemeinschaftsinitiative „Bauernhof als Klassenzimmer“ vergangene Woche interessierte Lehrer und Schüler nach Wächtersbach-Neudorf ins Bürgerhaus und auf den Weidenhof eingeladen hatte.

Ein wichtiger Baustein der Veranstaltung waren die vielen Infostände. Die Lehrer nutzten auf dem Infomarkt die Chance, Kontakte zu knüpfen und sich mit Unterrichtsmaterialien rund um Landwirtschaft, Ernährung und Landleben einzudecken.Foto: Lehmkühler

Auf dem Programm standen neben Fachvorträgen und Diskussionsrunden von und mit Fach­experten auch die Möglichkeiten, sich an Infoständen rund um die Themen Landwirtschaft, Ernährung und Landleben zu informieren und an einer Betriebsführung über den naheliegenden Weidenhof teilzunehmen. In einer ersten Talkrunde, moderiert von Prof. Hermann Schlagheck, nutzten Oberstufenschüler des Lichtenberg-Oberstufengymnasiums aus Bruchköbel die Gelegenheit, Fachfragen zu den Themen Nachhaltigkeit, Biogas, Subventionen, dem Verhältnis Nutzung von Ackerland zu nachhaltiger Fleischproduktion und niedrige Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse an die Experten (siehe Bild oben links) zu stellen. „Unsere Kulturlandschaft ist geprägt durch kleinräumige Strukturen und mehr Grünland als in anderen Regionen“, sagte Staatssekretärin Dr. Beatrix Tappeser. Entsprechend müsse man beim Nachhaltigkeitsgedanken immer die natürlichen Gegebenheiten mit einbeziehen.

HBV-Präsident Friedhelm Schneider machte deutlich, dass es nicht sinnvoll sei, Futtermittel aus den USA oder Argentinien zu exportieren. „Ziel muss es sein, so viel es geht, im eigenen Land zu produzieren. Wir müssen uns aber auch an internationalen Märkten beteiligen. Stichwort: Wertschöpfung“, so Schneider. Pädagoge Reiner Mathar stellte einen häufig vorkommenden Ernährungstypen vor, den Typen „billig und Fleischesser“. Es sei Aufgabe von Bildung, deutlich zu machen, dass ein derartiges Ernährungsverhalten nicht funktioniert. „Die Schulträger entscheiden zudem über Qualität und Preise in der Schulmensa. Doch viel zu wenige sind bereit, vernünftige Preise für das Schul­essen zu bezahlen. Hier muss sich etwas ändern!“, forderte Mathar. Ökolandwirt Hans-Jürgen Müller kritisierte Biogasanlagen, die ausschließlich mit Mais gefüttert würden. „Diese zu fördern, war ein falscher Politikansatz“, sagte er.

Wettbewerb für Grundschüler

Staatssekretärin Tappeser stellte den Wettbewerb des Hessischen Verbraucherschutzministeriums „Ein Tag auf dem Bauernhof – woher kommt mein Essen?“ vor. „Viele Kinder wissen nicht mehr, wo unsere Lebensmittel herkommen. Das müssen wir ändern“, sagte Tappeser. Sie rief alle Schüler der dritten Klassen dazu auf, sich mit der Herkunft von Lebensmitteln zu beschäftigen. Infos zum Wettbewerb: www.bauernhof-als-klassenzimmer.hessen.de und www.umwelt.hessen.de.

Stellten sich den Fragen der Lehrer und Schüler am Nachmittag (v. r.): Dr. Matthias Mehl, Kreislandwirt aus Frankfurt, Prof. Angelika Ploeger, Universität Kassel, Moderator Prof. Schlagheck, Dr. Bernhard Keil, Deutsche Bodenkundliche Gesellschaft, und Dr. Joachim Hesse, Universität Gießen.Foto: Lehmkühler

Fachvorträge und Diskussionsrunde

Dr. Joachim Hesse vom Institut für Agrarpolitik und Marktforschung an der Uni Gießen stellte Auszüge aus dem Nachhaltigkeitsbericht für die Deutsche Landwirtschaft (www.dlg.org/nachhaltig­keitsbericht.html) vor. Der Bericht komme zu dem Ergebnis, dass die deutsche Landwirtschaft in vielfältigen Bereichen der Nachhaltigkeit eine positive Entwicklung zeige. Beispielsweise würden die Kulturpflanzendiversität und die Energieeffizienz zunehmen. Die deutsche Land- und Ernährungswirtschaft habe sich an den globalen Märkten ausgerichtet und nehme seit einigen Jahren am Außenhandel ohne Exporterstattungen teil. „Auch die Tierleistungen steigen an, wodurch Futtermittel, Energie und Arbeit ressourcenschonender eingesetzt werden können“, so Hesse. Gemessen am sogenannten Nachhaltigkeitsindex, der die drei Faktoren ökonomische Effizienz, Umweltverträglichkeiten und soziale Leistung berücksichtige, „hat sich die Nachhaltigkeit der deutschen Landwirtschaft seit dem Jahr 1990 mit einer durchschnittlichen Wachstumsrate von 1,9 Prozent entwickelt“, referierte Hesse.

Prof. Angelika Ploeger vom Fachgebiet Ökologische Lebensmittelqualität und Ernährungskultur an der Uni Kassel hielt einen Vortrag über „Nachhaltige Entwicklung und ihre globalen Herausforderungen – was der Mensch essen darf“ und stellte einige Megatrends der Zukunft vor. Ein Hauptthema bei der Frage nach der zukünftigen Ernährung sei die Bevölkerungszunahme. „Außerdem werden 2030 78 Prozent der Deutschen in Städten leben. Es wird immer mehr Kleinsthaushalte geben. Die Bevölkerung wird älter“, so Ploeger. Der Bezug zu Lebensmitteln werde zurückgehen, aufgrund von Klimaveränderungen würden andere Nutzpflanzen benötigt, es gehe um den Verzehr von weniger tierischen Produkten sowie um neue Produkte, beispielsweise Insekten als Proteinlieferanten. Über die „nachhaltige Entwicklung und ihre Auswirkungen auf die Qualität des Bodens“ sprach Bodenexperte Dr. Bernhard Keil von der Oberfinanzdirektion Frankfurt. „Der Boden ist ein wichtiges Gut für uns alle. Landwirtschaft bedeutet, dass man sich auf den Standort einlassen muss“, so Keil. Die Eiszeit sei ein Segen für uns gewesen. „Sie hat uns den guten Lössboden beschert.“

Nach den drei Vorträgen stellten sich die Experten, darunter auch Kreislandwirt Dr. Matthias Mehl, weiteren Fragen. Es wurde über den Wert von Lebensmitteln, den Rückgang und Bildungsauftrag von Alltagskompetenzen, über verwirrende Etikettierungen sowie Produktlabel und das Fehlen von Ernährungs- und Landwirtschaftsthemen in den Lehrplänen der Schulen diskutiert. Der Betriebsrundgang über den Weidenhof als Beispiel eines nachhaltig arbeitenden landwirtschaftlichen Betriebs kam anschließend gut an: Viele Lehrer zeig­ten Interesse, demnächst mit ihren Schülern einen Bauernhof besuchen zu wollen (siehe „Eindrücke).

Eindrücke einiger Lehrer zum Lehrerkongress

Julia Schmidt

Julia Schmidt, Georg-Büchner-Schule Erlensee, Integrierte Gesamtschule, unterrichtet Biologie und das Wahlpflichtfach (WPU)Ökologie, 5. bis 10. Klasse. „Ich habe Hintergrundwissen und aktuelle Zahlen zum Thema nachhaltige Landwirtschaft erhalten. Leider fehlen Informationen über Ernährung und Landwirtschaft in den Schulbüchern. Daher bin ich auch sehr begeistert von den Unterrichtsmaterialien, wie dem Ordner von Bauernhof als Klassenzimmer. Im WPU werde ich eventuell eine Projektwoche zum Thema „Boden“ anbieten. Auch dazu habe ich heute viel gutes Infomaterial erhalten. Ich freue mich auf die Betriebsführung und will sehen, ob ich den Weidenhof einmal mit Schülern besuchen kann.“

Jürgen Herold

Jürgen Herold, ebenfalls Georg-Büchner-Schule Erlensee, unterrichtet unter anderem Biologie und Deutsch und ist zuständig für die Schulgarten-AG. „Das Thema Nachhaltigkeit wurde von so unterschiedlichen Seiten und von guten Referenten beleuchtet, das hat mir gefallen. Ich setze mich dafür ein, dass wir an unserer Schule übers Essen und den Schulgarten Bewusstsein für das Thema Nachhaltigkeit und Landwirtschaft schaffen“, so der Lehrer. „Wir bewerben uns derzeit zum zweiten Mal als Umweltschule, haben beispielsweise unseren Schulhof mit Obstbäumen gestaltet und unser Papier auf Recyclingpapier umgestellt. Das Thema Nachhaltigkeit kommt so langsam in den Köpfen an. Aber es ist ein langer Weg.“

Heike Kretschmann

Heike Kretschmann, Kopernikusschu­le in Freigericht, unterrichtet Biologie und Chemie, Klassen 5 bis 13. „Ich finde den Infomarkt sehr überzeugend. Durch die Unterrichtsmaterialien und die Vorträge habe ich viele Ideen bekommen, die ich mit den Schülern vertiefen kann. Die Themen Ernährung und Landwirtschaft kommen in den Lehrplänen zu kurz. Lediglich fünf Unterrichtsstunden sind dazu in der fünften Klasse vorgesehen. Die Schüler sind bis 16 Uhr in der Schule. Wo sollen sie Alltagskompetenzen erlernen, wenn nicht in der Schule? Ja, es gibt gut informierte Schüler, aber ich habe auch Schüler, die von zu Hause keinerlei Wissen über das Thema Ernährung mitbringen. Da heißt es dann: „Wenn ich Vitamine essen will, kaufe ich Wurst. Da steht drauf: enthält Vitamin A“.“

Dirk Lüthje

Dirk Lüthje, Hammerwaldschule, Förderschule geistige Entwicklung in Hirzenhain, sagte: „An unse­rer Schule ist das Thema Ernährung und Kochen für die eigenständige Lebensführung der geistig und motorisch eingeschränkten Schüler wichtig. Einmal in der Woche kochen wir gemeinsam das Mittagessen. Das Hintergrundwissen zum Thema nachhaltig produzierte Lebensmittel ist mir wichtig, um den Eltern gegenüber Argumente für unsere Lebensmittelauswahl zu haben. Und für unsere Speisenplanung ist dies ebenfalls ein wichtiger Aspekt. Außerdem hoffe ich, dass ich auf dem Betrieb Kontakte knüpfen kann, um mit den Schülern den Hof und den Hofladen zu besichtigen.“ SL

SL – LW 42/2015