Selektivität ist Vor- und Nachteil zugleich
Julius-Kühn-Institut sucht nach Nützlingen und berät die Politik
Der biologische Pflanzenschutz hat in einigen Nischen eine große Bedeutung. In Kombination mit chemischen und kulturtechnischen Maßnahmen wird er nach Einschätzung von Fachleuten noch mehr an Bedeutung gewinnen, auch wegen des zunehmenden Mangels an verfügbaren chemischen Mitteln. Grundproblem ist, dass der Pflanzenschutz mit Organismen sehr spezifische Einsatzgebiete hat. Zudem müssen auch hier die Präparate, wie bei den chemischen Mitteln, zum Teil lange Zulassungsverfahren durchlaufen. Über den biologischen Pflanzenschutz informierten sich kürzlich Mitglieder des Arbeitskreises Industrie-Landwirtschaft beim dafür zuständigen Julius-Kühn-Institut (JKI) in Darmstadt.

Foto: agrar-press
Der Einsatz von Nützlingen ist keine neue Erfindung. So wurden in China schon vor über tausend Jahren Ameisen zur Bekämpfung von Wanzen verwendet. In den Anfängen des chemischen Pflanzenschutzes habe man davon gesprochen, dass der Biologische Pflanzenschutz der Brandschutz und der chemische die Feuerwehr sei, sagte Jehle, von Hause aus Molekularbiologe. In der Zwischenzeit hatte der chemische Pflanzenschutz den biologischen fast verdrängt, heute wird der integrierte Pflanzenschutz propagiert, der beide Methoden in Kombination verwendet.
Selektive Wirkung und kleiner Wirkungskreis
Ein Vorteil des biologischen Pflanzenschutzes ist laut Jehle die meist sehr selektive Wirkung. Oftmals werde nur ein einziger Schädling bekämpft. Beispiel Baculoviren: Diese Viren wirken sehr spezifisch nur gegen den Apfelwickler beziehungsweise gegen den Apfelschalenwickler, andere Insekten und Tiere werden nicht angegriffen. Das Baculovirus wird sowohl im ökologischen wie auch im konventionellen Anbau verwendet, dort in Kombination mit chemischen Mitteln. Dies sei ein großer Vorteil für die Umwelt und die Anwender, wie Jehle ausführte. Die guten Erfolge und die sehr häufige Anwendung haben vor einigen Jahren allerdings zu Resistenzen geführt. Wie der Wissenschaftler erläuterte, wurden daraufhin resistenzbrechende Isolate des Virus gesucht und auch ausfindig gemacht und werden mittlerweile eingesetzt.
Die Spezifität der Nützlinge birgt allerdings auch einen Nachteil: Neue Schädlinge, die gerade in den letzten Jahren eingewandert sind, haben spezifische Antagonisten, die oftmals noch gefunden werden müssen. Das wurde jetzt bei der Kirschessigfliege deutlich. „Da mussten wir bei null anfangen“, sagte die Forscherin Dr. Annette Herz. Während sich bei der Bekämpfung der Kirschessigfliege ein großer Markt auftun würde, sind die engen Einsatzspektren der Nützlinge auch ein wirtschaftliches Hindernis. Denn sie versprechen nur kleine Umsätze bei hohen Entwicklungs- und Vertriebskosten, wie Jehle verdeutlichte. Deshalb werden sie wie beispielsweise gegen den Apfelwickler in Kulturen mit hohem Deckungsgrad eingesetzt.
Über 80 Nützlinge im Einsatz
Insgesamt hat die Zahl der kommerziell angewendeten Nützlinge stark zugenommen. 1980 waren es zwei, heute über 80, wovon außer dreien alle im Unterglasanbau genutzt werden. Zu ihnen gehören Nematoden, Wespen, Raubmilben, räuberische Fliegen, räuberischer Käfer und Wanzen.
Von Biologischem Pflanzenschutz spricht man schon, wenn beispielsweise durch den Schutz und die Förderung der Biodiversität Schaderreger reguliert werden. Die klassische Art ist aber das Einführen von Antagonisten. Prominentes Beispiel ist die Massenausbringung von Trichogramma-Schlupfwespen, die ein großer Erfolg ist. Die Schlupfwespen sind die natürlichen Feinde des Maiszünslers. Sie parasitieren die Schädlings-Eier und töten sie damit ab, sodass sich die Maiszünsler nicht weiter entwickeln können. Zudem schlüpft aus den parasitierten Eiern eine neue Nützlings-Generation, die sich wiederum auf die Suche nach weiteren Maiszünsler-Eiern begibt.
Diese Schlupfwespen können auf verschiedene Arten im Maisfeld ausgebracht werden: als Hängesystem oder als Kugel aus Maisstärke zum Werfen oder durch Verteilen per Drohne. Im vergangenen Jahr wurden die Schlupfwespen nach Angaben von Jehle in Deutschland auf rund 40000 Hektar Maisfläche angewendet. Die Anwendung profitiert sehr stark von modernen Applikationsmöglichkeiten. Im Gegensatz zu chemischen Pflanzenschutzmitteln können die Schlupfwespen mit dem Multikopter über die Luft ausgebracht werden.
Hoffen auf wirksame Bekämpfung des Drahtwurms
Ein Projekt, das auf größtes Interesse von Praktikern stößt, ist die Entwicklung einer Regulierungsstrategie von Drahtwürmern auf der Basis der insektenpathogenen Pilzgattung Metarhizium. Eine chemische Bekämpfung der Larven der Schnellkäfer ist nicht mehr möglich, nachdem das sehr wirksame chemische Mittel Goldor Bait endgültig nicht mehr zugelassen ist.
Ziel des Projektes AgriMet am JKI, das im Herbst 2017 gestartet ist, ist
die Entwicklung eines anwenderfreundlichen Bodengranulates sowie einer spritzbaren Formulierung des Pilzes. Der Pilz parasitiert die Larven des Schnellkäfers, die zu den wichtigsten Schädlingen im Kartoffelanbau zählen.
Unabhängigkeit durch eigene Forschung
Mit seinem Fachwissen berät das JKI-Institut die Politik. Die Bundesbehörde stellt Expertisen aus und berät bei Regelungen im Fachrecht oder bei der Erarbeitung von Strategien. Um unabhängig beraten zu können, ist eine eigene Forschung nötig, wie Jehle erklärte. Dazu stellt das JKI-Institut eigene Versuche an und arbeitet mit wissenschaftlichen Einrichtungen im In- und Ausland zusammen.
60 Prozent des wissenschaftlichen Personals des JKI sind in der Forschung tätig. DaÂrüber hinaus werden auch Pflanzenschutzmittel und Wirkstoffe im Rahmen der Zulassung bewertet. Das Institut in Darmstadt beschäftigt 45 Mitarbeiter, davon viele Doktoranden. Die Einrichtung wird Hessen allerdings nicht mehr lange erhalten bleiben, sondern bis 2021 nach Dossenheim bei Heidelberg verlagert werden, wo ein SchwesterÂinstitut besteht und neu gebaut wird.
Auf ein grundsätzliches Problem machte Jehle die Besucher aufmerksam. Nämlich auf die Rechtfertigung des Pflanzenschutzes. „Wir kommen mit unserer Botschaft nicht mehr rüber, dass Pflanzen geschützt werden müssen, wenn die Verbraucher die Lebensmittel nicht mehr wertschätzen. Dies werde gerade an der Lebensmittelverschwendung beim Verbraucher deutlich, die mittlerweile weit über den Verlusten vor und nach der Ernte und auf dem Feld liege.
CM – LW 1/2019