Streuobstwiesen: Zukunft nur mit Pflege und Nutzung
Biodiversitätshotspot und Arche Noah
Mit bis zu 5 000 Arten sind sie wahre Biodiversitäts-Hotspots; im Frühjahr prägt ein Blütenmeer unser Landschaftsbild und ein Teil der Ernte fließt in die Herstellung des beliebten Hessischen Apfelweins – klar, die Rede ist von Streuobstwiesen. Am 30. April war europaweit erstmals der „Tag der Streuobstwiesen“, der in Deutschland besondere Bedeutung genießt, denn seit wenigen Wochen gehört der Streuobstanbau zum bundesweiten immateriellen Kulturerbe.

Foto: landpixel
Streuobstwiesen auch in Hessen stark rückläufig
Die Ursprünge ihrer Entstehung reichen bis in die Antike zurück. In Deutschland erlebten sie ihre Hochzeit im 19. und 20. Jahrhundert, trugen bis in die 1950er Jahre hinein maßgeblich zur Lebensmittelversorgung der Bevölkerung bei und wurden intensiv gehegt und gepflegt. Durch die Züchtungserfolge im Niedrigstammsegment wurden die traditionellen Obstwiesen wirtschaftlich unattraktiv und durch moderne Obstbauplantagen verdrängt. Wegen ihrer Siedlungsnähe fallen sie außerdem häufig Bauvorhaben zum Opfer oder sie verfallen schlichtweg, denn „Streuobstwiesen sind Kulturlandschaften, die nur eine Zukunft haben, wenn die Wiesen und Hochstämme auch genutzt und gepflegt werden“, erklärt Beate Reichhold-Appel, Leiterin der HGA beim Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen (LLH).
In Südhessen gibt es noch die meisten Obstwiesen
Hessenweit gibt es noch auf rund 11 718 ha Fläche Streuobstwiesenbestände (Quelle: Analyse der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU), basierend auf einer Luftbildinterpretation des Hessischen Landesamts für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG), Stand 2010). Dabei sind deutliche regionale Tendenzen festzustellen: 81 Prozent der traditionellen Obstwiesen befinden sich in Südhessen (vorrangig im Wetteraukreis, Landkreis Bergstraße und Main-Kinzig-Kreis). In Mittelhessen liegen rund 11 Prozent (vor allem im Landkreis Gießen); in Nordhessen – hier sei der Werra-Meißner-Kreis erwähnt – sind circa 9 Prozent der hessenweiten Bestände zu finden.In aktuellen Erhebungen der JLU konnte exemplarisch für den Landkreis Gießen ein Rückgang um 70 Prozent innerhalb eines halben Jahrhunderts festgestellt werden (Vergleich historischer Luftbildaufnahmen von 1952 bis 1967 des Hessischen Landesamts für Bodenmanagement und Geoinformation (HLBG) mit der Kartierung des HLNUG von 2008 bis 2010). Ein Projekt der JLU entwickelt seit letztem Jahr ein fernerkundungsbasiertes Monitoringverfahren, das eine quantitative aber auch qualitative Erfassung der hessischen Streuobstwiesen ermöglichen soll.
„Entscheidend ist nicht nur die Anzahl der Hochstammbäume, hessenweit sind es mittlerweile weit weniger als eine Million, sondern ganz maßgeblich auch deren Zustand. So ist zum Beispiel ein regelmäßiger Baumschnitt notwendig. Beweidung oder Mahd beugen einer Verbuschung vor. Auch Nachpflanzungen sind von Zeit zu Zeit erforderlich. In den ersten Jahren brauchen die Jungbäume dann besonders viel Pflege. Sie müssen, mit Blick auf die Trockenheit der letzten Jahre, gewässert und die Baumscheiben von Konkurrenzgräsern oder -kräutern freigehalten werden,“ erläutert Reichhold-Appel. Gerade die letzten trockenen Jahre haben den Streuobstwiesen zugesetzt, insbesondere in Südhessen. „Und geschwächte Bäume sind anfällig für Krankheiten und Schädlinge. So wurden seit diesem Jahr in einigen Landkreisen vermehrt und auch flächendeckend Schäden durch den Schwarzen Rindenbrand und den Ungleichen Holzbohrer, eine Borkenkäferart, in Streuobstbeständen festgestellt.“
Erlebt die Streuobstwiese eine Renaissance?
Mittlerweile sind Streuobstwiesen auf der Roten Liste der gefährdeten Biotoptypen Deutschlands als „stark gefährdet“ eingestuft und in Hessen unterliegen sie dem gesetzlichen Schutz (§13 Abs. 1 Nr. 2 des Hessischen Ausführungsgesetz zum Bundesnaturschutzgesetz). Mit dem Hessischen Programm für Agrarumwelt- und Landschaftspflege-Maßnahmen (HALM) möchte das Land die Pflege von Streuobstbeständen und den Erhalt beispielsweise durch Nachpflanzungen fördern. „Das öffentliche Interesse an Streuobstwiesen nimmt wieder zu, die Nachfrage nach Hochstamm-Schnitt- und Pflegekursen steigt merklich“, berichtet Reichhold-Appel. „Es braucht auch immer wieder Aktionstage, damit die Bedeutung von Streuobstwiesen sowie das Engagement der Streuobstaktiven wertgeschätzt werden. Unser Apfelweinseminar – dieses Jahr am 29. Mai – bietet eine solche Gelegenheit“, schließt sie. Für das kommende Jahr plant der LLH, einen Streuobsttag auszurichten.
Karl-Josef Walmanns, LLH – LW 19/2021