Turbo im Betrieb, aber Kolbenfresser in der Familie?

Fünfter Tag der Landwirtschaft in Mittelhessen

Mitte der vergangenen Woche fand in Buseck der inzwischen fünfte „Tag der Landwirtschaft in Mittelhessen“ statt. Eröffnet wurde die Veranstaltung durch Landfrauenpräsidentin Hildegard Schuster. Ein Grußwort sprach Dr. Beatrix Tappeser vom hessischen Landwirtschaftsministerium. Es folgten Fachvorträge und Diskussionsrunden.

HMUKLV-Staatssekretärin, Dr. Beatrix Tappeser sprach ein Grußwort.

Foto: Ernst-August Hildebrandt

LFV-Präsidentin Hildegard Schuster begrüßte rund 200 Teilnehmer, die zu der Veranstaltung von Regierungspräsidium Gießen, dem Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen, der Universität Gießen, dem Förderkreis Agrarwissenschaften Gießen, den regionalen Bauernverbänden Mittelhessens, dem Hessischen Bauernverband und in diesem Jahr erstmals auch vom hessischen Landfrauenverband ausgerichtet wurde.

Liquiditätsengpässe durch Verfall der Erzeugerpreise

Staatssekretärin Dr. Beatrix Tappeser griff unter anderem die unerfreuliche Entwicklung auf den landwirtschaftlichen Märkten mit erheblichen Preiseinbrüchen bei Milch und Veredlungsprodukten auf. Neben den Exportrückgängen, deren Ursache auch im Wirtschafts­boykott gegenüber Russland begründet seien, habe sich in diesem Jahr auch die lang anhaltende Frühjahrs- und Sommertrockenheit negativ auf die Einkommen der landwirtschaftlichen Betriebe und Familien ausgewirkt. Im Rahmen der möglichen und zulässigen EU-Hilfen habe man angesichts erheblicher Liquiditätsengpässe für besonders betroffene Betriebe Liquiditätshilfen bereitgestellt. Dieses sei für vie­le Betriebe nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein, so die Staatssekretärin. Daher würden weitere Maßnahmen diskutiert, wobei auch die Molkereien und der Lebensmitteleinzelhandel ins Boot geholt werden sollen.

Auch an den runden Tischen zur Tierhaltung mit Vertretern vieler Interessenverbände sei die Suche nach Lösungsmöglichkeiten auf einem guten Weg.

Zum Thema „Turbo im Betrieb, Kolbenfresser in der Familie“ sprach Rolf Brauch von der Evangelischen Landeskirche in Baden.

Foto: Ernst-August Hildebrandt

Mit dem Öko-Aktionsplan zeigten sich in der ersten Jahresbilanz positive Entwicklungen, die in Hessen künftig den völligen Verzicht auf gentechnisch veränderte Futtermittel, einen Rückgang der Sojaimporte und gleichzeitiger Ausweitung des heimischen Leguminosenanbaus in Aussicht stellen.

Für Hessen sieht die Staatssekretärin gute Chancen für eine Abkehr von Sojaimporten, da schon jetzt circa 80 Prozent des eingesetzten Futtereiweißes durch verfügbares Rapsextraktionsschrot ersetzt werden könne. In der Rindviehhaltung sogar 100 Prozent.

Ursachen, die den Familienfrieden gefährden

Zu dieser Thematik nahm mit dem Titel „Turbo im Betrieb - Kolbenfresser in der Familie“ Diplom-Agraringenieur Rolf Brauch, Berater und Seelsorger in der Evangelischen Landeskirche Baden, Stellung. Aus einer sehr intensiven und langjährigen Beratung für landwirtschaftliche Familien zeigte der Referent aus seinem Erfahrungsschatz die Gefährdungen für den Familienfrieden auf, wenn der (erfolgreiche) Betrieb zu sehr im Fokus des Denkens und Wirtschaftens liegt. Allgemein habe der Landwirt in der Gesellschaft zwar eine hohe Wertschätzung und Anerkennung, in den Diskussionen um die Erzeugung von Nahrungsmitteln entstehen aber Meinungsverschiedenheiten und Konflikte mit den Verbrauchern, die Brauch als eine „gewisse Agrarschizophrenie“ bezeichnet.

Dies sei einer Entfremdung zwischen Verbraucher und Landwirtschaft geschuldet, an denen beide Teile Schuld tragen. Die intensivere Beschäftigung mit den Betriebsabläufen, der Turbo in den landwirtschaftlichen Produktionsprozessen führe zur Verarmung der Gespräche mit Nachbarn und Uneingeweihten und damit zur Entfremdung, die wie ein Kolbenfresser zum Aus führen kann. Brauch sieht eine hohe Volatilität, nicht nur bei den Märkten und Preisen, sondern auch in den Beziehungen. Selbst in Partnerbeziehungen trete die Volatilität auf.

Stabilität könne man nur dann erreichen, wenn die Beziehungen gepflegt würden. Brauch vergleicht eine nachhaltige und feste Beziehung mit Humus, der auch sehr langsam gebildet werde, dann aber nachhaltig und lang positiv wirke. Dazu brauche man aber Haltepunkte im Leben und Entschleunigung. Denn wenn der Leistungsdruck und die Arbeit über den Kopf wachse, lasse die Kommunikation mit anderen nach.

Über familiäre Probleme frühzeitig sprechen

Probleme sollten deshalb behandelt werden, solang sie noch klein sind. In vielen Fällen kämen die Beteiligten sehr spät und oft zu spät, um eine Beilegung zu erreichen. Dies gelte auch bei Paarbeziehungen. Familienbetriebe lebten von der Pflege der Paarbeziehungen und die Paarbeziehung steuere die Qualität der Familienbeziehung.

Eine lebhafte Diskussion mit folgenden Podiumsteilnehmern schloss sich an, von links: HBV-Vizepräsident Armin Müller, LLH-Direktor Andreas Sandhäger, Moderatorin Katja Braun, Landfrauenpräsidentin Hildegard Schuster Regierungspräsident Gießen Dr. Christoph Ullrich und Prof. Dr. Klaus Eder von der Universität Gießen.

Foto: Ernst-August Hildebrandt

Vor dem Wachsen sei die Kosteneffizienz zu stellen. Hier würden sich weit bessere Möglichkeiten zu Einkommenssicherung und Einkommensvermehrung erschließen. Dabei bleibe der Zeitaufwand und auch die Lebensqualität gleich. Wer zu groß sein wolle, werde scheitern. Wer klein sei und Produkte und Dienstleistungen erzeuge, die aus Sicht des Kunden einen höheren Preis haben können, werde auch so ökonomisch erfolgreich sein.

Thema „Hofübergabe“ in den Fokus

Bei der Hofübergabe sei die wichtigste Frage nicht der Weg zur größten Steuerersparnis, sondern der respektvolle Übergang der Geschäfte von der Senioren- zur Nachfolgegeneration. Bausch formulierte für den scheidenden Betriebsleiter an seinen Nachfolger sinngemäß: „Gehe deinen Weg, du musst nicht meinen Weg kopieren!“ Es sei Respekt, den anderen so sein zu lassen, wie er will.

Der neue Unternehmer habe drei wichtige Phasen zu durchlaufen. Die erste Phase sei Bildung, nicht nur im Sinne von Pro­duktionstechnik, sondern auch in Handlungsfähigkeit. Des Weiteren eine umfassende unternehmerische Kompetenz. Hierzu seien unbedingt vertiefte Kenntnisse in Buchführung notwendig. Dazu komme der Bereich „Fremderfahrungen“. Erst durch Erfahrungen auf anderen Betrieben werde das Sichtfeld so geweitet, dass auch der eigene Betrieb in einem besseren Licht gesehen werde und Schwächen deutlich werden.

Dadurch würden Fehler vermieden, die junge Betriebsleiter ohne Fremderfahrungen zu oft begehen würden. Mit dieser Reifung werde auch die Willensbildung für die Betriebsentwicklung positiv beeinflusst. Jetzt könne man den „Turbo“ einschalten und die nächsten Jahre aktiv und progressiv an der Betriebsentwicklung arbeiten.

Danach komme Phase drei, in der der Turbo wieder raus müsse! Diese Phase sei für den Betriebsleiter am schwierigsten, da er langsam loslassen müsse und den Betrieb in die Hände des Nachfolgers oder der Nachfolgerin legen müsse.

Hier komme der Frau des Betriebsleiters eine wichtige Aufgabe zu. Sie müsse jetzt in der Phase der gleitenden Übergänge zum neuen Betriebsleiter und Hofnachfolger ihren in der Betriebsleitung geprägten Mann zurücknehmen und auf neue „grüne Weiden“ führen.

Das Loslassen werde dadurch erleichtert, indem dem Senior bewusst sei oder bewusst gemacht wird, dass das Leben auch noch viele andere Dinge für ihn und das Betriebsleiterpaar bereit hält. Dass beide die Lebensqualität für sich neu begreifen und damit den „Kolbenfresser“ vermeiden. Gleitende Übergänge würden erfolgreichen Betrieben gelingen und würden Betriebe erfolgreich machen. Loslassen sei allerdings eine Übung, die 10 Jahre brauche und damit lange vor der eigentlichen Maßnahme eingeleitet werden soll.

Fünf Punkte der „funktionierenden Ehe“

Zu funktionierenden Ehen (nicht nur in der Landwirtschaft) und zur Vermeidung des „Kolbenfressers in der Familie“ zählte Bausch fünf wesentliche Eigenschaften auf:

  • 1. Jede Ehe brauche einen Rahmen mit Gemeinsamkeiten (zum Beispiel gemeinsame Werte, gemeinsame Freizeit oder gemeinsame Hobbys).
  • 2. stabile Ehen brauchen Kom­munikation und gemeinsame Aktivitäten, dabei seien die Männer oft viel zu schwach.
  • 3. sei entscheidend, den anderen nicht ändern zu wollen.
  • 4. Wichtiger Faktor sei, selbst stark zu sein. Aus der Position der eigenen Stärke solle eine Partnerschaft eingegangen werden (gilt für Mann und Frau).
  • 5. der vielleicht wichtigste Faktor für eine stabile Ehe sei: verzeihen zu können.

Großer Unterschied zwischen einem erfolgreichen Betrieb und einer erfolgreichen Familie bestehe darin, dass der Betrieb Effizienz und die Familie Präsenz brauche. Präsenz führe den Betrieb auf Dauer in die Insolvenz. Demgegenüber führe Effizienz die Familie ins Chaos. Unmittelbare Nähe der Produktionsstätte und der Lebenswelt der Familie sei ein Problem der Landwirtschaft. Um Profi in der Familie und Profi im Betrieb zu sein, müsse es gelingen, beides voneinander zu unterscheiden und zu trennen.

Dr. Hildebrandt – LW 48/2015