Viel Sympathie für den ländlichen Raum
Podiumsdiskussion mit Agrarpolitikern in Edermünde
Die Bauernverbände Kassel und Kurhessen hatten vorvergangene Woche Agrarpolitiker der im Landtag vertretenen Parteien für eine Podiumsdiskussion nach Edermünde-Besse eingeladen, um angesichts der Landtagswahl am 8. Oktober die unterschiedlichen Ziele der Parteien herauszustellen. Wie auch bei anderen Veranstaltungen, die von den Kreisbauernverbänden angeboten wurden, wurde vielfach Sympathie gegenüber der Landwirtschaft und dem ländlichen Raum bekundet, wobei dies hier durch fachliche Kenntnisse und jeweils durch die ländliche Herkunft der Kandidaten untermauert wurde. Bedingt durch das vorgegebene Format gab es vorrangig Statements, gelegentlich auch einen Schlagabtausch.

Foto: Mohr
Ländlichen Raum vernachlässigt
Die Politikwissenschaftlerin Wiebke Knell von der FDP ist seit sechs Jahre im Landtag und stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Sie sei ein Dorfmensch, und der ländliche Raum sei für ihre Partei ein sehr wichtiges Thema, sagt die Jägerin. Der ländliche Raum sei in den vergangenen Jahren von der Landesregierung vernachlässigt worden. Er dürfe nicht nur mit Bürgerbussen abgespeist werden, wenn Millionen Euro für S-Bahnen in der Stadt ausgegeben werden.
Unterschiedliche Meinungen bei Ressorteinteilung
Auch für Betriebswirtschaftlerin Lena Arnoldt von der CDU ist Landwirtschaft das zentrale Thema. Sie wolle eine praxisorientierte, ideologiefreie Landwirtschaftspolitik. Die Politik um Tierschutz und Insektenschutz sollten im Dialog mit den Landwirten formuliert werden. Arnoldt plädierte für ein eigenständiges Landwirtschaftsministerium – eine Forderung, die das Podium unterschiedlich bewertete. Der Grünen-Abgeordnete Müller findet, das Umwelt und Landwirtschaft in einem Hause besser aufgehoben sind. „Sonst gibt es nur noch Blockaden.“
Knut John, agrarpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion findet es sogar gut, wenn ein eigenständiges Landwirtschaftsministerium in Kassel angesiedelt werde. „Das wäre ein Signal für Nordhessen.“ Wiebke Knell dagegen hält nichts von dieser Idee. In Kassel wäre das Ministerium abgehängt. Gleichwohl sind nach ihrer Ansicht Parteien im Landtag sehr auf das Rhein-Main-Gebiet zentriert. Nach ihrer Ansicht müssten alle relevanten Ressorts, so auch Tourismus, in ein Ministerium für den ländlichen Raum zusammengefasst werden.
Behörden für den ländlichen Raum
SPD-Politiker John hatte zuvor in seinem Statement zum ländlichen Raum die Meinung vertreten, dass es keine gleichen Lebensverhältnisse gebe, obwohl dort immerhin 50 Prozent der Hessen lebten. Er plädierte dafür, dass Behörden im ländlichen Raum angesiedelt werden, um ihn zu beleben.
Laut Arnoldt wird dies von der Landesregierung aber schon betrieben. So werde in Eschwege in den Sitz des Finanzamtes investiert als eine von sieben hessischen zentralen Grundsteuer-Bewertungsstellen mit 60 neuen Arbeitsplätzen. Außerdem nannte sie die hessische Zentrale für Grunderwerbssteuer in Lauterbach und das zentrale Studienzentrum für Finanzverwaltung in Rotenburg/Fulda. Darüber hinaus seien 3 Mrd. im Doppelhaushalt für den Aktionsplan ländlicher Raum vorgesehen.
Eine Kontroverse gab es auch um die Stellung des Landes im Ranking bei der Versorgung mit schnellem Internet und Mobilfunk. Arnoldt sieht Hessen dabei weit oben. Wiebke Knell bestritt dies und verwies auf zahlreiche Funklöcher im ländlichen Raum. Knell kritisierte auch den Plan der Landesregierung zum Erhalt der Berufsschulen. Mit den vorgegebenen Mindestzahlen bei den Schülern gehe dies am Bedarf vorbei, viele junge Leute könnten nicht mehr in den gewünschten Berufen ausgebildet werden.
Mit Blick auf den ländlichen Raum kritisierte Arnoldt die Ampelregierung in Berlin, die die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe ländlicher Raum kürzen wolle, was allein 20 Mio. Euro weniger für Hessen bedeute.
Der SPD-Politiker John betonte mehrfach die Idee des Niedersächsischen Weges, wonach laut seinen Angaben Naturschutzgesetze und -verordnungen erst nach Anhörung beziehungsweise nach einem Kompromiss aller beteiligten Verbände aus Umwelt und Landwirtschaft verabschiedet werden sollen.
„Wir sollten den ländlichen Raum nicht schlechtreden“, sagte der Grünenpolitiker Müller. „Ich möchte nicht mit dem Rhein-Main-Gebiet tauschen.“ Die Lebensqualität sei eine Entschädigung, und es könne nicht überall ein so großes kulturelles Angebot geben
Der Linken-Politiker Sebastian Schackert aus Homberg/Efze ist Gymnasiallehrer für Französisch an einer kooperativen Gesamtschule und nach eigenen Angaben kein Landwirtschaftsexperte. Gleichwohl lebe er auf dem Dorf und halte einige Hühner. Der Kandidat für den Landtag sprach sich mit Blick auf die Daseinsvorsorge im Ländlichen Raum dafür aus, Krankenhäuser wieder in die öffentliche Hand zu überführen. Außerdem sollte sich der Busverkehr auf dem Lande an den Schulzeiten orientieren und nicht die Schulen an Busfahrpläne.
Ideologiefreie Naturschutzpolitik
Beim Thema Naturschutz hob die FDP-Politikerin Knell hervor, dass man hierzulande schon hohe Standards habe. Sie sprach sich gegen Ideologie bei der Gesetzgebung aus. Beim Naturmonument Grünes Band müsse man zurück zum Vertragsnaturschutz. Das hessische Naturschutzgesetz ist ihrer Auffassung nach ein schlechter Kompromiss der schwarz-grünen Koalitionsregierung in Wiesbaden mit Verboten und einem Vorkaufsrecht des Landes. Bei der Ausbreitung des Wolfes würden Sorgen ignoriert, was zur Aufgabe der Weidetierhaltung führe, so Knell weiter. Ignoriert werde auch die Möglichkeit, Wasserkraft stärker zu nutzen mit der Mindestwasserverordnung.
Der Sozialdemokrat John beklagte, dass es in Hessen nur noch 0,6 Großvieheinheiten pro Hektar gebe. „Das ist doch schlimm.“ Der Metzgermeister und studierte Ökotrophologe John hatte bei seiner Vorstellung von seinen Erfahrungen bei der Vermarktung regional erzeugter Lebensmittel als Manager bei verschiedenen Lebensmittelhandelsunternehmen wie Tegut berichtet. Landwirtschaft liefere neben Lebensmitteln auch das Produkt Naturschutz. „Das müssen wir auch bezahlen.“ Bei der Naturschutzgesetzgebung habe die schwarzgrüne Landesregierung nur auf die Naturschutzverbände gehört, so seine Ansicht.
Zum Thema Wolf verwies der Linken-Politiker Schackert darauf, dass es eine hohe Förderung für den Herdenschutz gebe. Zudem gebe es auch andere Probleme wie den Waschbären.
„Herumeiern“ der Politik bei der Tierhaltung
Die CDU-Abgeordnete Arnoldt plädierte für eine Aussetzung der Stilllegung im Rahmen der Konditionalität bei der GAP und gegen pauschale Verbote bei der Verwendung von Pflanzenschutzmitteln. Mit Blick auf die Verlängerung der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln müsse dies nach wissenschaftlicher Basis erfolgen. Außerdem sprach auch sie sich für mehr Tierhaltung aus. „Dazu brauchen die Landwirte aber Planungssicherheit.“ John räumte ein, dass die Ampelregierung in Berlin hier „herumÂeiere“. „Wir haben keine Sicherheit für die Tierhalter.“ Der Grünenpolitiker Müller dagegen verteidigte die Stilllegung im Rahmen der GAP und nannte in diesem Zusammenhang den Klimaschutz, der der künftigen Generation den Boden entziehe. „Wir haben kein Problem, die Welt zu ernähren, wir haben ein Verteilungsproblem.“ Zudem würden 70 Prozent des Getreides an Tiere verfüttert. Tierhaltung sieht er vor allem zum Zwecke der Nutzung des Grünlandes. John dagegen sagte „Wir ernten in diesem Jahr viel Futterweizen. Es ist doch gut, dass wir das an die Tiere verfüttern können.“
Das Nitratproblem ist nach Ansicht von Müller in den Tierhaltungshochburgen in Nordwestdeutschland entstanden. Dafür, dass nun viele Gebiete auch in Hessen als Rote Gebiet eingestuft wurden, gab er der vormaligen Bundesregierung eine Mitschuld. Knell forderte mehr Messstellen, um Verursachergerechtigkeit herzustellen.
Thema Schlachtstätten
Eine Diskussion entspann sich beim Thema Schlachtstätten. Das einzig Gute, was Ministerin Hinz geleistet habe, sei die Unterstützung der Schlachtstätte Helwig in Ziegenhain gewesen. Ansonsten habe es in den zehn Jahren einen starken Rückgang der Tierhaltung gegeben, sagte Wiebke Knell.
Ein Landwirt kritisierte, dass kleine Schlachtstätten die gleichen Anforderungen erfüllen müssten wie Großkonzerne. Müller wandte ein, dass bei den in den letzten Jahren stillgelegten Betrieben auch oft von den Betreibern nicht ausreichend in die Schlachtstätten investiert wurde. Zum Schluss sprach Knell auch das Thema Migration an. Sie kritisierte, dass das Thema nicht diskutiert werde und man je nach Auffassung in eine rechte Ecke gestellt werde.
Moderiert wurde die Podiumsdiskussion von Achim Hübner, Geschäftsführer des Landvolkverbandes Göttingen. In seiner Begrüßung ging KBV-Vorsitzender Erich Schaumburg kurz auf die diesjährige Getreideernte und die schlechten Qualitäten ein. RBV-Vorsitzender Norbert Klapp wies im Schlusswort darauf hin, dass dem Staat das Geld ausgehe und dass deshalb Eigeninitiative gefragt sei. Das seien die Stärken des ländlichen Raums.
Von Seiten der AfD wurde die Einladung zum Podiumsgespräch nicht angenommen.
CM – LW 39/2023