Wendepolitik
Die meisten Bauern haben sich sicherlich ein anderes Ergebnis bei der hessischen Landtagswahl gewünscht. So wie es aussieht, ist eine Fortführung der jetzigen Koalition wahrscheinlich. Die Landwirtschaft wird sich also damit arrangieren müssen, dass auch künftig das Agrarressort grün besetzt wird. Das Unbehagen hat seinen Grund: Nachdem die Zusammenarbeit mit dem Ministerium zu Beginn der vergangenen Legislaturperiode gut anlief, hat sich das Verhältnis zum Berufsstand eingetrübt. Streitpunkte sind die Sauenhaltung, die Ferkelerzeugung, aber auch die Vorreiterrolle des Ministeriums bei einem Verbot von Glyphosat, die NichtÂumsetzung eines praxisgerechteren Greenings und der Vorstoß des Ressorts bei der Abschaffung der Schulmilchförderung. Jetzt steht ein Neubeginn an. Allerdings gehen die Grünen nach der kräftigen Stärkung durch die Wähler noch selbstbewusster ans Regieren. Die schlechte Vorstellung der großen Koalition im Bund, der Streit über das Verbot von Dieselfahrzeugen in den Städten und das Ringen um den Braunkohleausstieg kam ihnen zugute. Profitiert haben sie sicherlich auch von der Dürre in diesem Jahr, die vielen Menschen noch stärkere Anstrengungen im Klimaschutz sinnvoll erscheinen lässt.
Dass die Agrarwende auf gleicher Höhe mit der Verkehrs- und der Energiewende auf der Agenda der Grünen steht, zeigt zum einen, dass die Landwirtschaft ein Kernthema und das Agrarressort ein Schlüsselressort für die Grünen ist. Es lässt zum anderen eine noch einseitigere (Förder-) Politik und noch stärkere Regulierungen im Wirtschaften der Landwirte befürchten. Doch eine Agrarwende ist keine Weiterentwicklung des Bestehenden und taugt deshalb nicht als politisches Konzept.
Zu denken gibt, dass die Grünen in den Großstädten mittlerweile zur stärksten Kraft zählen, in den ländlichen Räumen aber weitaus schwächer sind. Selbst Ministerin Priska Hinz brachte es im ländlichen Lahn-Dill-Kreis „nur“ auf 12,6 Prozent. Die Grünen müssen aufpassen, dass die Verwirklichung der Wünsche der städtischen Bevölkerung – Bilderbuchlandwirtschaft, saubere Energie (Windkraft), saubere Fahrzeuge – nicht einseitig auf Kosten der ländlichen Bevölkerung gehen.
Cornelius Mohr – LW 44/2018