Die 1. AgrarWinterTage sind eröffnet

Digitalforum und Diskussion über Nutri-Score

Es ist schon eine surreale Situation: Man sitzt im heimischen Büro und schaut sich die Eröffnung der AgrarWinterTage am Bildschirm an, im Livestream aus der Aula des DLR RNH in Oppenheim – fast wie im Fernsehen bei der Eröffnung der Olympischen Spiele. Doch der Bildungswert ist deutlich höher und die Relevanz für die Branche ebenso. Dass diese Erfahrung überhaupt möglich ist, das verdanken alle den Mitarbeitern des DLR Rheinhessen-Nahe-Hunsrück, die sich technisch mächtig ins Zeug gelegt haben.

Mit drei Kameras im Studio begrüßte Ursula Braunewell die rund 150 zugeschalteten Teilnehmer zum Tag der Landfrauen.

Foto: Setzepfand

Natürlich sind sie alle da, die Größen der regionalen Landwirtschaft: Andy Becht, Staatssekretär im Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau; Michael Lipps, der Dienststellenleiter des DLR RNH; Dirk Hagmaier, der erste Vorsitzende des Vereins Ehemaliger Rheinhessischer Fachschüler Oppenheim (VEO); Hans Willi Knodel, der erste Vorsitzende des Verbandes Kreuznacher Agrarabsolventen (VKA)und Eva Müller, die Deutsche Weinprinzessin aus Rheinhessen.

Silicon Valley der Nahe bringt die Digitalisierung

Sie sprachen kurze Grußworte zur Eröffnung. Becht betonte, wie sehr mit dem Verschmelzen der Veranstaltungen in Bad Kreuznach und Nieder-Olm auch ein Verschmelzen von Anspruch und Wirklichkeit einhergeht. Die Agrarbranche in Rheinland-Pfalz sei mit dem Silicon Valley in Bad Kreuznach ein wichtiger bundesweiter Baustein der Digitalisierung geworden. Dies zeige nun einmal mehr diese virtuelle Veranstaltung. Mit der GeoBox, die um den Feldpass und den Hofpass erweitert werde sowie mit dem GeoBox-Messenger, der noch in der Testphase ist, sei Rheinland-Pfalz auf einem guten Weg. Auch die Nachbarländer Hessen und das Saarland werden mit der Technik ausgerüstet werden.

Auch im Experimentierfeld Südwest sei der Zuschlag für Rheinland-Pfalz gefallen. Hier können neue digitale Anwendungen für die Landwirtschaft erschlossen werden, so der Staatssekretär, der keinen Hehl daraus machte, dass er lieber die Menschen persönlich treffen würde.

Lipps verwies in seiner Rede darauf, dass die Branche immer kleiner werde und man die Kräfte bündeln müsse. Dies sei der Ursprungsgedanke der ersten AgrarWinterTage, die auf dem Messegelände in Mainz stattfinden sollten. Coronabedingt kam es nun zu zwei Premieren: AgrarWinterTage und auch noch digital.

Hagmaier zeigte sich beeindruckt von der Technik in der Aula des DLR und dankte Knodel, diese neue Form der Veranstaltung mitgetragen zu haben. Knodel selbst betonte die Aufgabe der bisherigen Wintertagung und Agrartage: Die Landwirte und Winzer auf den neuesten Stand der Wissenschaft und Technik zu bringen. Das solle auch in diesem Jahr so sein. Lipps ergänzte: „Gehen Sie virtuell auf Entdeckungsreise, auch in die Ausstellung mit den 80 Ausstellern, die diese neue Form der Präsentation gewagt haben.“

Die Deutsche Weinprinzessin Eva Müller zitierte das Motto der Fachschüler, die ihr Projekt trotz Corona realisierten: „Anders ist nicht immer schlecht.“ Die Tatsache, dass alle Weinpakete für die Jung.Wein.Nacht bereits ausverkauft sind, spricht dafür, dass „anders“ auch sehr erfolgreich sein kann.

Live aus dem Studio der Aula des DLR RNH in Oppenheim, eröffnete Michael Lipps die 1. AgrarWinterTage.

Foto: Setzepfand

Und dann startete der erste Tag der Rheinhessischen Landfrauen digital aus der Aula des DLR RNH mit Moderatorin Ulrike Nehrbaß vom SWR zum Thema „Nutri-Score – ein Notensystem von A bis E“.

Mit knapp 50 000 Landfrauen in Rheinland-Pfalz sei die Ernährungsbildung ein wichtiger Part der Landfrauenarbeit in allen drei Landfrauenverbänden im Land. Seit 6. November 2020 ist der Nutri-Score eine offiziell anerkannte Lebensmittelkennzeichnung in Deutschland. 82 deutsche Unternehmen haben sich bisher registriert, das erste große Lebensmitteleinzelhandelsunternehmen zeichnet seine Eigenmarken damit aus. Nehr­baß fragte: „Was bringt der Nutri-Score?“

Dr. Desireé Schneider von der Hochschule Fulda, die leider an Corona erkrankte, hatte ihren Vortrag aufgezeichnet. Demnach ist Nutri-Score eine Lebensmittelkennzeichnung. Die fünfstufige Farbskala von A bis E versuche eine Gesamtbeurteilung des Lebensmittels in Bezug auf die Nährwertqualität. Es sei eine sinnvolle Ergänzung zur Zutatenliste und zur Nährwerttabelle. Ursula Braunewell, die Vorsitzende der Landfrauen Rheinhessen, bemängelte die kleine Schrift der Nährwerttabelle. Da sei die deutliche Skala auf der Packungsvorderseite besser zu lesen.

Schneider stellte klar, dass der Nutri-Score ein Zusatz zur Nährwerttabelle ist und für die Anwendung in der ganzen EU dienen soll. Die Teilnahme ist freiwillig. In Frankreich, wo der Nutri-Score entwickelt wurde, sind bereits 70 Prozent aller Lebensmittel registriert und mit dem Nutri-Score versehen.

Nutri-Score verbessert Rezepturen in Produkten

Alfred Jansen, der Leiter Unternehmens- und Nachhaltigkeitskommunikation bei Iglo Deutschland, deren Produkte bald alle mit dem Nutri-Score versehen sind, bemerkte, dass es für ihr Unternehmen von Beginn an darum ging, ein gutes Image zu bewahren. Schneider ergänzte, dass der Nutri-Score für Unternehmen darüber hinaus eine kostenfreie Anmeldung in Frankreich, eine unkomplizierte und eigenständige Berechnung ermögliche und schließlich einen Anreiz für die Unternehmen biete, die Produkte hinsichtlich der Nährwertzusammensetzung zu verbessern.

In der Diskussion mit Waltraud Fesser, Fachbereichsleiterin Lebensmittel und Ernährung der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz, wurde schnell deutlich, dass der Nutri-Score keine eierlegende Wollmilchsau darstellt und schon gar nicht die Essgewohnheiten der Deutschen ändern wird. Braunewell kritisierte, dass in der Skalierung Regionalität oder Ökologie gar keine Rolle spielen. Hier verwies Jansen auf den Eco-Score, die nächste Stufe, die eventuell nach dem Nutri-Score Einzug in die Regale halten werde. Dann werde auch der CO2-Fußabdruck berücksichtigt. Jansen sagte: „Wir müssen gelassener mit dem Thema umgehen. Wichtig ist, die Leute dort abzuholen, wo sie sind. Der Nutri-Score ist nur eine kleine Hilfestellung, eine Nährwertorientierung.“

Fesser gab den Hinweis, dass viele Länder beim Nutri-Score mitmachen, es sei ein erster Schritt in die richtige Richtung. Wer mehr möchte, der schaue auf die Zutatenliste. Hier gelte der Grundsatz: Je kürzer, desto besser!

zep – LW 4/2021