Von Insekten lernen heißt siegen lernen

Dr. Christoph Ullrich besucht Institut für Bioressourcen

Um später unter anderem auch über invasive Mückenarten forschen zu können, soll am Neubau des Fraunhofer-Institutes in Gießen ein gentechnisches Labor eingerichtet werden. Solche Labore, in denen gentechnische Arbeiten mit Insekten unter der Sicherheitsstufe 3 durchgeführt werden, gibt es bislang nur in Hamburg und Berlin. Regierungs-Präsident Dr. Christoph Ullrich, dessen Umwelt-Abteilung gentechnische Anlagen in Hessen genehmigt und überwacht, informierte sich mit den zwei Fachkolleginnen Dr. Anja Fehrenbach und Dr. Katja Hose vor Ort über den Stand der Dinge.

Prof. Dr. Andreas Vilcinskas (r.) gewährt Regierungspräsident Dr. Christoph Ullrich (l.) sowie Dr. Anja Fehrenbach (2.v.r.) und Dr. Katja Hose (2.v.l.) gerne einen Einblick in den Neubau des fünfstöckigen Institutsgebäudes, während Handwerker noch am Detail arbeiten und Bauabnahmen am laufenden Band stattfinden. Im Zentrum liegt das überglaste Atrium, um das sich dreiseitig in den Obergeschossen die Büros gruppieren. Daran angrenzend befinden sich die Labore als Herz des Instituts.

Foto: RP-Gießen

An der Fassade verrät ein überdimensionales, stilisiertes Insektenhotel: Hier dreht sich alles um Sechsbeiner. Noch ist das Fraunhofer-Institut für Bioressourcen bislang nur von wenigen der später einmal über 100 Beschäftigten bezogen. „Wir betreiben hier Hochtechnologie und machen sie dann marktfähig“, reduziert Institutsleiter Prof. Dr. Andreas Vilcinskas das, was hier geschieht, auf einen Satz. „Von Insekten lernen, heißt siegen lernen.“ Das ist einer der einprägsamen Sätze, die der enthusiastische Zoologe sagt. „Insekten sind die erfolgreichste Lebensform auf unserem Planeten mit über eine Million Arten“, ist ein anderer Satz, der hängenbleibt. Das ist seine große Fähigkeit neben fachlicher Kompetenz: Andreas Vilcinskas kann Komplexes fliegenleicht vermitteln. Nicht nur das, seine Begeisterung überträgt sich automatisch auf das Gegenüber.

Gießen zum Hotspot der Insektenforschung gemacht

Er hat Gießen zu einem Hotspot der Insektenforschung gemacht. „Das sind alles Zukunftsthemen, die wir hier bearbeiten.“ Genau das haben Wissenschaft, Politik und Wirtschaft verstanden. Das Ergebnis ist das im Aufbau befindliche Fraunhofer-Institut für Bioressourcen.

Vor wenigen Wochen erst hat er – mitten in der Coronazeit – sein Büro im dritten Stock bezogen. Finanziert wird der 30 Millionen-Euro teure Hightechwürfel mit seinen fünf Geschossen zur Hälfte von Bund und Land Hessen. Auf einer Hauptnutzfläche von circa 4 000 Quadratmetern wird es neben Laboren auch ein Gewächshaus sowie eine der größten Stammsammlungen von Mikroorganismen weltweit beinhalten.

Insekten als Pflanzenschutz gegen Schädlinge

Weltweit in einmaliger Intensität wird hier künftig rund um Käfer, Motten und Moskitos und deren Larven und alles, was sie sein können, geforscht: Lebensmittel- und Medikamentenlieferant oder umweltschonender Pflanzenschutz gegen Schädlinge.

Seit seinen Kindertagen in Kaiserslautern ist er ein leidenschaftlicher Insektenkundler. Seine Begeisterung für sein Thema und sein Instinkt für die zunehmende Bedeutung des Insekts hat seinen weltweiten Ruf immer weiterwachsen lassen. So war er es auch, der den Begriff der Insekten-Biotechnologie oder „gelben Biotechnologie“ überhaupt erst schuf, abgeleitet vom gelb gefärbten Insektenblut. Darunter versteht man die Anwendung biotechnologischer oder gentechnischer Methoden, um Insekten beziehungsweise ihre Moleküle, Zellen oder Organe als Produkte oder Dienstleistungen nutzbar zu machen.

„Unser S3-Labor möchte ich so schnell wie möglich zum Laufen bringen“, sagt Vilcinskas in einem Raum, der noch deutlich Baustelle ist. Sein Institut gehört zu den fast 700 gentechnischen Anlagen in Hessen. Das Labor ist noch lange nicht fertig. „Es braucht bei einem solchen Projekt einen langen Atem“, sagt Vilcinskas. Hier sollen später neue Wirkstoffe gegen Influenza-Viren und der Erreger der Tuberkulose identifiziert werden. Die Anforderungen an die Sicherheit sind deshalb auch hoch.

Weltweiter Vorreiter in Gießen entstanden

Den langen Atem hat Vilcinskas ganz offensichtlich, seit er über die Stationen Berlin und Potsdam vor über zehn Jahren nach Gießen kam. 2015 gründete er an der Justus-Liebig-Universität (JLU) das Institut für Biotechnologie, kooperiert früh mit der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) und baut zeitgleich ein Fraunhofer-Institut für Bioressourcen auf. Beide Institute werden mit dem hessischen LOEWE-Programm (Landesoffensive zur Entwicklung wissenschaftlich-ökonomischer Exzellenz) finanziert. Dem LOEWE-Zentrum für Insektenbiotechnologie & Bioressourcen – kurz ZIB genannt – ist es zu verdanken, dass hier ein weltweiter Vorreiter auf diesem Gebiet entstand. Das Interesse aus der Wirtschaft ist sehr ermutigend: In den vergangenen Jahren hat der Professor mit seinem Team über 100 Mio. Euro an Drittmitteln eingeworben.

Antibiotikafreie Riesengarnelen erzeugen

Für all das hat er jahrelang gekämpft. Nun schaut Vilcinskas schon wieder nach vorn: „Der Neubau ist noch gar nicht in Betrieb und wir haben bereits die erste Ansiedlung einer Firma.“ Auf der anderen Straßenseite des Ohlebergwegs wird sich ein Unternehmen aus Bayern ansiedeln – das Ergebnis einer weiteren Vernetzung. Insekten aus seinem Institut werden dann genutzt, um Black Tiger Prawn und Fische zu züchten. Antibiotikafreie Riesengarnelen „Made in Mittelhessen“: Das ist keine Zukunftsvision, das kommt. „Das wird ein Pilotprojekt, ressourcenschonend hochwertige Lebensmittel zu erzeugen mit Photovoltaik.“

Vilcinskas Motto lautet: „Mein Ziel ist es, immer einen Schritt vorneweg zu gehen.“ Dabei geht es auch um die Existenz der Insekten an sich. Eines seiner bedeutenden Projekte ist es, das Insektensterben zu untersuchen. Dafür ist er auch in die Expertenkommission von Bundesministerin Julia Klöckner berufen worden.

Wenn er von seinen Forschungsprojekten erzählt, wird klar: Die Ideen werden in Gießen nicht so schnell ausgehen. „Ich bin Ãœberzeugungstäter, meine Begeisterung kommt von innen“, sagt er. Im Dialog mit Regierungspräsident Ullrich entsteht die Idee für ein Arbeitstreffen zwischen seinen Mitarbeitern und RP-Pflanzenschützern zum Austausch. Fachleute zusammenbringen, Netzwerke bilden, darum geht es dem Biologen. Und um den Nachwuchs: „Es gibt nämlich nicht nur ein Insektensterben, sondern auch ein Entomologensterben.“

Immer weniger junge Wissenschaftler interessieren sich für die Insektenkunde. Um Nachwuchs für die Entomologie zu gewinnen, hat er den ersten internationalen Masterstudiengang „Insect Biotechnology“ aufgebaut und beherbergt in seinem Institut verschiedene Nachwuchsgruppenleiter – wieder einen Schritt vornweg.

tw – LW 32/2020