Die Köpfe müssen wie rohe Eier behandelt werden

Reportage zum Kohlanbau in Nordhessen

Im nordhessischen Schwalm-Eder-Kreis steht nicht nur das Südzucker-Werk Wabern, dort befindet sich auch gleich im benachbarten Fritzlar ein Standort der Hengstenberg GmbH, die unter anderem für ihre Sauerkrautprodukte bekannt ist. Der dafür benötigte Kohl wird größtenteils in der Region angebaut; das LW Hessenbauer, Pfälzer Bauer/der Landbote hat einen der Erzeuger besucht.

Werner und Dirk Raute bei der Einlagerung ihrer Kohlernte.

Foto: Becker

In der Region wird Weiß- und Rotkohl für Hengstenberg im Vertragsgemüseanbau betrieben. Hier werden etwa 350 ha Weißkohl und 100 ha Rotkohl angebaut. Rund 40 Landwirte ernten jährlich etwa 30 000 t der vitaminhaltigen Köpfe, die bei Hengstenberg zu Rot- und Sauerkraut verarbeitet werden.

Werner Rauthe bewirtschaftet mit seiner Frau Renate und Sohn Dirk in Wabern-Zennern einen 180-ha-Ackerbaubetrieb, der neben Winterweizen 35 ha Zuckerrüben und 28 ha Kohlanbau umfasst. Die Fruchtfolge auf den besseren Standorten mit Ackerzahlen um 70 lautet Weizen-Rüben-Weizen-Kohl; auf schlechteren Schlägen mit AZ um 60 und auch darunter kommt Mais hinzu, der an eine Biogasanlage abgegeben wird. Raps spielt nur eine untergeordnete Rolle, da er nur auf Flächen angebaut werden kann, die nicht für die Kohlerzeugung vorgesehen sind.

Auch der Kohl litt regional unter der Sommertrockenheit

„In diesem Jahr können wir uns über eine sehr gute Ernte freuen, da zum rechten Zeitpunkt im August ausreichend Regen gefallen ist, wenn auch regional begrenzt. Bei einigen Kollegen, die nur wenige Kilometer entfernt sind, sieht es aber schon wieder schlechter aus und die Köpfe sind relativ klein“, beschreibt Rauthe die Situation des aktuellen Anbaujahres. In der Erntesaison, die etwa vom 20. August bis Ende November dauert, werden im Betrieb Rauthe rund 95 Tonnen Kohl pro Hektar geerntet.

Vermarktung ist durch Vertragsanbau und Erzeugergemeinschaft gesichert

Die gesamte Erntemenge von rund 2100 t wird komplett an Hengstenberg im Vertragsanbau abgesetzt. „Die Verhandlungen für die bevorstehende Anbausaison finden bereits im Januar statt, die Verträge liegen dann im Februar vor. Das ermöglicht uns eine zielgenaue Produktion und gewährleistet die Absatzsicherheit. Die Bestellung der Pflänzchen beziehungsweise des Saatgutes erfolgt ebenfalls schon im Januar“, so Rauthe. „Je nach Marktlage kann es natürlich auch vorkommen, dass ein kleiner Teil der Ernte nicht abgesetzt werden kann und untergepflügt wird. In diesem Jahr zum Beispiel nimmt unser Vertragspartner aber die gesamte Ernte auf.“

Um eine stärkere Marktposition einzunehmen, sind alle Anbauer in der Erzeugergemeinschaft Industriegemüse zusammengeschlossen, deren Geschäftsführung vom Kreisbauernverband Schwalm-Eder wahrgenommen wird. Eine wichtige Aufgabe ist dabei die Unterstützung der Erzeuger bei der Vermittlung, Beantragung und Abrechnung von Saisonarbeitskräften.

Intensive Betreuung der Bestände

Die Aussaat beziehungsweise die Pflanzung erfolgt innerhalb von zwei Tagen gegen Ende April bis Anfang Mai. „Wichtiger als der Termin ist aber ein abgetrockneter Boden“, betont Rauthe. Auf den guten Standorten werden mit der Pflanzmaschine, der eine Kreiselegge voran läuft und die mit vier Personen besetzt ist, die Pflänzchen in den Boden gebracht. Auf schlechteren Schlägen wird eine Direktsaat durchgeführt. Dabei werden 50 000 Körner pro Hektar gesät und später vereinzelt, um auf die gewünschte Anzahl von 25 000 Kohlköpfe/ha zu kommen.

Die äußeren Blätter bleiben bei der Ernte von Hand auf der Fläche und werden eingearbeitet.

Foto: Becker

„Die Düngung erfolgt anhand von Bodenuntersuchungen, die beim LHL in Kassel vorgenommen werden, nach Stickstoffbedarfsanalyse und Beratungsempfehlungen. So fallen etwa 210 bis 250 kg Stickstoff pro Hektar. Seit dem wir vor 15 Jahren mit der Kali-Kopfdüngung begonnen haben, haben wir in unseren Beständen keine Probleme mit Nekrosen mehr“, erläutert Rauthe.

„Das Saatgut ist gebeizt und die Pflänzchen sind gegen Kohlfliege, Läuse und Erdfloh vorbehandelt. Der Pflanzenschutz im Feld beginnt mit einer vorherigen Herbizidmaßnahme und es folgen Insektizideinsätze je nach festgestelltem Befall und Bekämpfungsschwellen. Meist müssen Erdfloh, Kohlblattlaus, weiße Fliege und Kohlweißlinge bekämpft werden; gegen Schnecken reicht oft eine Randbehandlung aus. Pro Sommer erfolgen etwa vier Behandlungen, die letzten davon auch mit Fungiziden ‑ vor allem gegen Alternaria.“

Rauthe beklagt, dass die Palette der zur Verfügung stehenden Mittel leider relativ klein ist, weil sich Neuentwicklungen für die Pflanzenschutzmittelindustrie wegen der geringen Anbaufläche kaum lohnen.

Der immense Aufwand muss sich lohnen

Draußen auf dem Feld, wohin er per Schlepper gerade leere Kisten gefahren hat, erläutert Rauthe, dass der Kohlanbau mit einem hohen Aufwand verbunden ist. Neben der ständigen Beobachtung und Führung der Kultur im Sommer sind die arbeitsintensive Pflanzung und die Vereinzelung bei Direktsaat sowie vor allem die sehr aufwändige Ernte zu nennen. Im Sommer kommen die Saisonarbeiter ein erstes Mal, um vier Wochen lang in den Kohlfeldern zu hacken.

„In der Ernte liefern wir just in time zur Verarbeitung in Fritzlar; dabei wird mit unserer Erntemaschine gearbeitet. Diese Ware kann man maximal zwei Tage liegen lassen. Etwa 20 Prozent der Erntemenge werden bei uns eingelagert, um später abgeliefert zu werden. Diese Kohlköpfe müsse wie rohe Eier behandelt werden und dann kommen unsere fünf polnischen Ernte­helfer für weitere vier Wochen zum Einsatz.

Wenn man bedenke, dass für die maschinelle Ernte von einem Hektar Kohl im Schnitt ein ganzer Tag und für die Handernte gut das Doppelte benötigt wird, werde klar, dass der erzielbare Preis auch im Verhältnis zum Weizen stimmen muss. Rauthe: „Zum jetzigen Zeitpunkt der Saison erzielen wir 55 Euro pro Tonne. Zu Erntebeginn waren es 45 und zum Ende hin, wenn die Lagerware verarbeitet wird, sind es im Januar 95 Euro/t.“ KB

Der Kohlanbau ist ein Geschäft für Spezialisten

Fragen an Dr. Bernd Wenck, KBV Schwalm Eder

Der Anbau von Rot- und Weißkohl ist ein wichtiges Standbein vieler Bauern in Nordhessen. Zu den Rahmenbedingungen des Anbaus befragte das LW Dr. Bernd Wenck vom Kreisbauernverband Schwalm-Eder, der auch die Geschäfte der Erzeugergemeinschaft Industriegemüse, in dem die Kohlanbauer der Region zusammengeschlossen sind, führt.

Dr. Bernd Wenk, Geschäftsführer der Erzeugergemeinschaft Industriegemüse.

Foto: Archiv

LW: Welche Faktoren bestimmen die Eignung Nordhessens für den Kohlanbau?
Dr. Wenck:
Der Kohlanbau hat sich in den letzten 50 Jahren im Raum um Fritzlar etabliert. Für den Kohlanbau in unserem Raum sprechen gute Böden, ein mildes Klima sowie die Erfahrung der Kohl anbauenden Landwirte. Ein ganz wichtiges Moment ist jedoch auch der Marktpartner Hengstenberg. Die Firma Hengstenberg verarbeitet den Fritzlarer Kohl zu hochwertigen Sauerkonserven.

LW: Wie sind Anbau und die Vermarktung für diese Feldfrucht organisiert?
Wenck:
Die Landwirte schließen Anbauverträge mit der Firma Hengstenberg, so dass der Anbau als Vertragsanbau organisiert ist. In den Verträgen werden feste Preise, die jeweils vor der Saison von der Erzeugergemeinschaft, in der alle Kohl anbauenden Landwirte Mitglied sind, mit Hengstenberg vereinbart. Die Sortenwahl erfolgt in Absprache mit der Firma Hengstenberg, um während der gesamten Saison zwischen August und Januar erntereifen Kohl zur Verfügung zu haben. Der Anbau erfolgt nach den Richtlinien des integrierten Pflanzenbaus und alle Anbauer sind QS-zertifiziert.

LW: Welche Bedeutung hat die Erzeugung von Rot- und Weißkohl in der Region im Bundesmaßstab?
Wenck:
Insgesamt ist der Raum Fritzlar ein wichtiges Anbaugebiet für Industrie-Kohl. In diesem Bereich dürfte Nordhessen neben dem Rheinland, Dittmarschen sowie dem Stuttgarter Raum das wichtigste Anbaugebiet für Weiß- und Rotkohl sein. Eine untergeordnete Bedeutung hat der Kohlanbau für den Frischmarkt, hier bauen insgesamt vier Landwirte neben dem Vertragsanbau für Hengstenberg verschiedene Kohlarten für den Frischmarkt an, die Vermarktung erfolgt über EDEKA und REWE.

LW: Wie stellt sich die Preis- und Erlössituation für die Anbaubetriebe dar?
Wenck:
Der Kohlanbau ist für die in der Region wirtschaftenden Ackerbaubetriebe ein wichtiges Standbein. Bei Erträgen zwischen 50 und 60 Tonnen pro ha beim Rotkohl und 70 bis 100 Tonnen bei Weißkohl lassen sich direktkostenfreie Leistungen erzielen, die etwas besser als die von Zuckerrüben sind. Mit dem Kohlanbau ist jedoch ein erhebliches Ertragsrisiko verbunden, ebenso ein erheblicher Arbeitsaufwand bei der Ernte. Insgesamt haben die Landwirte mit dem Vertragsanbau gute Erfahrungen gemacht, da sie mit festen Preisen und gegebenen Kosten kalkulieren können. Natürlich orientiert sich die Preis- und Erlössituation auch am Umfeld der übrigen Feldfrüchte, so mussten die Erzeuger im letzten Jahr einen Preisrückgang von 50 Cent/dt hinnehmen.

LW: Mit welchen Problemen haben die Anbauer zu kämpfen und wie sind die Zukunftsperspektiven zu bewerten?
Wenck:
Hier ist es wichtig, dass die Preis-Kosten-Schere nicht noch enger wird, damit der Anbau weiterhin seine Vorzüglichkeit behält. Die Kohlerzeugung ist ein Geschäft für Spezialisten und kein Betriebszweig, der nebenher läuft. Aufgrund des rückläufigen Arbeitskräfteangebotes wird bereits etwa die Hälfte der Kohlernte mit Maschinen erledigt. Hier ist zu befürchten, dass die Verfügbarkeit von Arbeitskräften in der Kohlernte noch weiter abnimmt. Ein zweites Problem ergibt sich daraus, dass der Kohlanbau im nordhessischen Raum vom Wohl und Wehe der Firma Hengstenberg abhängig ist. Auf der anderen Seite resultiert daraus die gegenseitige Abhängigkeit der Firma Hengstenberg und der Kohl anbauenden Landwirte. Beide Seiten haben erkannt, dass ein nachhaltiger Vertragsanbau nur möglich ist, wenn die Anbauer und der Verarbeiter an einem Strang ziehen. Die Fragen stellte Karsten Becker