Die Küstentanne: Mehr als nur ein Weihnachtsbaum

LW-Baumartenserie „Alternativen zur Fichte für den Privatwald“

Nach Auswertung der letzten Bundeswaldinventur und der Inventurstudie 2008 zeichnen sich mittelfristig Versorgungs­engpässe für schwächere Nadelholzsortimente ab, aufgrund von steigender Nachfrage und großflächigen Umwand­lungen von Nadelholz- in Laubholzbestände. Verschärft wird dieses Problem noch durch eine prognostizierte Verringerung der für den Fichtenanbau geeigneten Standorte infolge des Klimawandels – geringere Niederschläge und steigende Temperaturen in der Vegeta­tionszeit. Eine Möglichkeit für Waldbesitzer, auf dieses Holzmarktproblem zu reagieren, bietet sich mit dem Anbau der schnellwachsenden Großen Küstentanne.

Was den Holzzuwachs angeht, kann die Küstentanne gut mit der Douglasie und der Fichte mithalten. Noch ein Vorteil: Sie wurzelt sehr viel tiefer und ist somit nicht sturmwurfgefährdet.

Foto: Spellmann

Die Große Küstentanne, Abies grandis, auch Riesentanne oder Vancouvertanne genannt, stammt ursprünglich aus dem westlichen Nordamerika. Ihre beiden voneinander getrennten Hauptver­brei­tungs­gebiete sind zum einen die Kaskaden und die Pazifikküste von British Columbia bis Nordwestkalifornien und zum anderen die Rocky Moun­tains in Idaho und West-Montana. Sie wächst in Höhenlagen von knapp über Seehöhe auf Vancouver Island bis 1 800 m ü. NN in den Blue Mountains in Oregon. Entsprechend viel­fältig sind auch die klima­tischen Verhältnisse in ihrem Verbrei­tungsgebiet. Die durchschnitt­lichen jährlichen Nieder­schläge reichen von 360 mm bis 2800 mm, die durchschnitt­lichen Jahrestempe­raturen von 6° C bis 10° C. Die Dauer der Vegetationszeit beträgt 100 bis 250 Tage (Foiles et al. 1990).

Die Küstentanne ist ein Pfahlwurzler mit guter Tiefenerschließung und kommt mit unterschiedlichen Böden zurecht, bevor­zugt aber frische, tiefgründige Standorte und meidet dichte Tonböden mit stagnierender Nässe. Sie wächst häufig in Tal­gründen entlang von Flüssen, aber auch in trockeneren, flächgründigeren Hanglagen.

Je nach Wuchsgebiet bildet sie Mischbestände mit unterschiedlichen Baumarten, wie mit Douglasie, Westliche Hemlockstanne, Riesen­lebensbaum, Sitkafichte, Purpurtanne, Westliche Weymouthkiefer, West­amerikanische Lärche, kommt aber auch vergesellschaftet mit Laubbäumen wie Oregon-Ahorn, Oregon-Esche, Amerikanische Roterle oder Westliche Balsam-Pappel vor und ist recht schattentolerant. In Gebieten, in denen die Küstentanne mit der Kolorado-Tanne (Abies concolor) vergesellschaftet ist, können sich Hybride der beiden Arten bilden.

In der Regel erreichen Küstentannen in ihrer Heimat Höhen von 40 bis 60 m, der Spitzenwert beträgt aber sagenhafte 81,4 m bei einem Baum in der Glacier Peak Wilderness in Washington. Den Durch­messer­rekord erreicht eine Küstentanne aus British Columbia mit einem BHD von 220 cm und der höchste Vorrat wurde bei einem Stamm aus dem Olympic National Park mit 68,3 m³ gemessen. Küstentannen werden zirka 250 Jahre alt, das Höchstalter von 472 Jahren erreichte ein Baum, der sehr lange Zeit im Unterstand wuchs.

Unempfindlich gegenüber Extremen

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die Große Küstentanne zuerst in England, später auch in Deutschland eingeführt. Zahlreiche Anbauversuche der Forstlichen Versuchs­anstalten in Deutschland belegen seitdem ihre Anbauwürdigkeit und ökologische Zuträglich­keit. Sie weist ein breites Anbauspektrums auf und gedeiht auf sehr verschiedenen Standorten. Die Küstentanne ist darüber hinaus unempfindlich gegenüber Wasser­mangel und klimatischen Extremen. Außerdem ist sie stand­ort­pfleglich – gute Streuzer­setzung, große Tiefen­er­schließung durch Pfahl­wurzel­system, überzeugt durch ihre über­ragende Wuchs­leistung und bietet gute wald­bau­liche Steuerungs­möglichkeiten. Infolge ihrer relativ hohen Schatten­toleranz in der Jugend – Halbschattbaumart, gedeiht auf Freiflächen, aber auch unter lichten Schirm – und der schmalen Kronen und starken Selbstdiffe­renzierung ist sie sehr gut mit heimischen Baumarten mischbar. Sie verträgt hohe Luftfeuchtigkeit und übersteht auch Trocken­perioden sehr gut. Dies macht sie zu einer interessanten Alternativbaumart angesichts des Klima­wandels mit zunehmendem Wasser­stress im Sommer auf vielen Standorten. So zeigten Küstentannen in den Anbauversuchen der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt (NW-FVA) nach dem Dürresommer 2003 – im Gegensatz zu vielen anderen Baumarten – keine Schad­symptome. Auch in Deutschland eignet sie sich weniger für den Anbau auf staunassen, grundnassen und wechsel­trockenen Standorten. Gegenüber Schäd­lingen ist sie weitgehend resistent, aller­dings standortsabhängig anfällig für wurzelpathogene Pilze, wie den Hallimasch. In Rot­wild­gebieten treten Schäl- und Schlagschäden auf.

Wuchsleistung übertrifft Douglasie

In Deutschland erreicht die Große Küstentanne zwar nicht die gleichen Wuchsleistungen wie in ihrer Heimat, zeigt aber dennoch ein sehr hohes Leistungspotenzial, das dem der Douglasie nicht nachsteht. Sie kann hier im Alter von 30 Jahren schon einen BHD von über 40 cm erreichen.

In einer 1980/81 von der Nds. Forstlichen Versuchsanstalt begründeten Anbau­versuchs­serie auf verschiedenen Standorten in Nord­westdeutschland mit jeweils mehreren Versuchs­parzellen lagen die Bestandes­spitzen­höhen (H100 = Höhe der 100 stärksten Stämme pro ha) im Alter 27 größtenteils zwischen der II. und I. Douglasien-Ertragstafel, teilweise darüber (Bergel 1985, st. Df.). Die mitange­bauten Douglasien waren der Küstentanne in diesem Alter in ihrer Höhenwuchsleistung größtenteils noch leicht überlegen, während sich bezüglich der Gesamtwuchsleistungen ein differenzierteres Bild bot. Da die Küstentanne im Vergleich zur Douglasie, aber auch zur Fichte, deutlich schlankere Kronen ausbildet, also eine geringere Kronenbreite aufweist, ist ihre Stammzahlhaltefähigkeit pro Flächen­einheit größer. So bildeten die Küsten­tannen im Alter 27 trotz etwas geringerer Bestandesspitzenhöhen mehr Bio­masse pro Hektar als die Douglasien. In den Versuchen lagen die Gesamtwuchsleistungen von mehr als der Hälfte der unter­suchten Küstentannen-Parzellen über den Werten der Douglasien-Ertragsklasse nach Bergel.

Im Rahmen eines Forschungsprojektes an der NW-FVA gingen die Daten dieser Versuchs­flächen auch in die Modellierung des Höhenwachstums und die Ableitung eines Bonitierungs­fächers für Nordwestdeutschland ein.

Im Vergleich zu den Küsten­tannen-Bonitierungsfächern von Christie und Lewis (1961) für England und Lockow und Lockow (2007) für Brandenburg sowie zu den Douglasien-Ertrags­tafeln nach Bergel (1985) ähneln die Höhenverläufe des Nordwestdeutschen Bonitierungs­fächers am ehesten denjenigen der Douglasien-Ertragstafeln, liegen aber zum Teil deutlich darüber.

Auch ein Vorratsvergleich 32-jähriger Küstentanne mit gleichaltriger Douglasie, Fichte und 36-jähriger Buche auf vergleichbaren frischen und vorratsfrischen, ziemlich gut nährstoff­versorgten Standorten im nieder­sächsischen Solling unterstreicht das hohe Leistungspotenzial der Küstentanne. Bei jeweils gleicher Durchforstungsart und -stärke sind die Küstentannenparzellen denjenigen der Douglasie um jeweils 100 Vfm/ha, denjenigen der Buche um 500 bis 350 Vfm/ha überlegen. Gegenüber der Fichte (st. Ndf.) beträgt der Vorsprung der stark hochdurchforsteten Küstentannenparzelle 200 Vfm/ha (s. Grafik S. 17).

Bestandesbegründung und -behandlung

Als besonders empfehlenswert gelten Herkünfte aus West-Washington (West-Kaskaden, Olympic Peninsula, Puget Sound) und Vancouver Island in British Columbia. Abgeraten werden muss von Herkünften aus den Küstengebieten Süd-Oregons (Rau 2008). Es ist aber zu beachten, dass die Küstentanne in Deutschland dem Forstvermehrungsgutgesetz unterliegt. Danach darf nur Vermehrungsgut der Kategorien „geprüft“, „qualifiziert“ oder „ausgewählt“ in den Verkehr gebracht werden. Weil es diese Kategorien bislang in den Ursprungsländern USA und Kanada nicht gibt, kann daher de facto nur innerhalb der EU gewonnenes Saat- und Pflanzgut in den Handel gebracht werden. Ausgewiesene deutsche „Herkunftsgebiete“ sind „Nord­deutsches Tiefland“ (Kennziffer 830 01) und „Ãœbriges Bundesgebiet“ (830 02).

Der Anbau der Küstentanne kann unter lichtem Kiefern- oder Lärchenschirm, aber auch auf Freiflächen erfolgen. Ohne Schirm empfiehlt sich ein Seitenschutz von Altbeständen, um die Gefahr von Frostschäden zu verringern. Ansonsten ist die Küstentanne in der Kulturphase – abgesehen vom Befall durch Hallimasch – nicht besonders anfällig für Krankheiten und Schäden. Als Sortiment sind 2+1-jährige Pflanzen 30 bis 50 cm zu empfehlen. Um die Küsten­tanne besser in die heimischen Waldökosysteme zu integrieren, sollte sie in Mischung mit Buche angebaut werden. Dabei darf die Mischung nicht zu intensiv sein, weil die Küsten­tanne im Vergleich zur Buche wesentlich wüchsiger und ihr Produktions­zeitraum zudem viel kürzer ist. Andernfalls besteht die Gefahr breiter Jahrringe und der Grob­astigkeit. Durch die starke natürliche Durch­messerdifferenzierung der Küstentanne weist ohnehin jeder Bestand viele Vorwüchse auf, deren Holz infolge ihrer breiten Jahrringe oft nur für die Zellstoff- und Holzwerk­stoffindustrie und weniger für den Sägeholzeinschnitt geeignet ist.

Aufgrund der ökologischen Eigenschaften der Küsten­tanne empfehlen sich verwendungsorientierte Manage­mentstrategien, die das Produktionsziel Säge- und Indus­trie­holz oder Zell- und Holz­werkstoff verfolgen. Beim Produktionsziel Zellstoff und Holz­werkstoff soll in einem relativ kurzen Zeitraum von 30 bis 40 Jahren ungeachtet des Jahrringaufbaus möglichst schnell viel Holzmasse produ­ziert werden. Beim Produk­tionsziel Industrie- und Sägeholz ist es hingegen das Ziel, in einem längeren Produktions­zeit­raum von 40 bis 60 Jahren qualitativ höher­wertiges, fein­ringigeres Holz mit einer Zielstärke von 45 cm und mehr zu erzeugen. Diese beiden Management­strate­gien unter­scheiden sich außer in ihren Produktions­zielen auch im Mischungsverhältnis von Buche und Küstentanne, der Mischungsform, der Aus­gangs­pflanzenzahl, der Pflege­intensität, der Anzahl von Z-Bäumen, der Durch­forstungs­art und -stärke, der Endnutzungsform und der Verjüngung der Bestände. Eine Übersicht der verwen­dungsorientierten Managementstrategien liefern die unten stehenden Abbildungen.

Hinsichtlich der Bestandespflege empfiehlt sich beim Produktionsziel Industrie- und Sägeholz ein frühzeitiger Auszug der Vorwüchse (Vorerträge) und dann eine mäßige Hoch­durchforstung zugunsten der bestveranlagten Bäume der herrschenden Schicht. Eine Ästung ist aufgrund der fehlenden Honorierung auf dem Holzmarkt für geästetes Küstentannenholz nicht zu empfehlen. Beim Produktionsziel Zellstoff und Holzwerkstoff werden aus dem Kollektiv der Vorwüchse mehr Z-Bäume ausgewählt und diese durch starke Hochdurchforstungen konsequent gefördert, sodass sie bereits im Alter 30 zum Zeitpunkt des höchsten Volumen­zuwachses die Zielstärke von 30 cm erreichen.

Holz bestens zur Verarbeitung geeignet

Die Küstentanne hat ein helles, weiches, im getrockneten Zustand geruchloses Holz mit gleichmäßigem Faserverlauf ohne Harzkanäle und einer je nach Standort und waldbaulicher Behandlung sehr unterschiedlichen Jahrringbreite. Der oft als Mangel ins Feld geführte Nasskern verschwindet nach der Trocknung. Die mechanischen Eigenschaften des Holzes ähneln bei entsprechender waldbaulicher Behandlung denen von Fichtenholz. Küsten­tannen­holz lässt sich gut bearbeiten, mäßig gut imprägnieren, trocknet schnell ohne zu reißen, kann Farben und Lacke gut halten und weist hervorragende Verleimungseigenschaften auf (Hapla et al. 2009). Es bietet sich damit sowohl für den Bau- und Konstruktionsbereich als auch für den Innenausbau an. Darüber hinaus ist Küstentannenholz hervorragend für die Herstellung von Holzwerk­stoffen, wie Faser-, Spanplatten und Dämmstoffe, geeignet. Spanplatten aus Küstentanne sind im Vergleich zu gleichstarken Spanplatten aus Fichte wesentlich leichter, weisen trotzdem vergleichbare Festigkeitseigenschaften auf und quellen und schwinden weniger (Kharazipour 2009). Außerdem ist Küstentannenholz ein begehrter Rohstoff für die Zellstoffherstellung.

Die Preise für Küstentannenholz liegen in den Gebieten, in denen die Küstentanne schon seit längerer Zeit auf größeren Flächen angebaut wird, wie in Nordwestdeutsch­land, in Höhe der Fichtenpreise. Ulrike Gaertner und Dr. Hermann Spellmann, Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt (NW-FVA)