Neue Lämmerkrankheit in Hessen

Schmallenberg-Virus vermutet / Neue Impfung gegen Q-Fieber

Der Hessische Verband für Schafzucht und Haltung veranstaltet zurzeit gemeinsam mit dem Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen Bezirksversammlungen für Schäfer. Die Veranstaltungen finden stets zu Beginn des Jahres in ganz Hessen statt, sie informieren Schaf- und Ziegenhalter über Aktuelles aus dem Veterinärwesen und gesetzliche Neuerungen.

Die erste der Bezirksversammlungen fand am Montag dieser Woche mit etwa 80 Teilnehmern in Hüttenberg im Lahn-Dill-Kreis statt. Im Mittelpunkt standen Informationen über das zunehmende Auftreten toter und schwer missgebildeter Lämmer auch in Hessen – wahrscheinlich aufgrund des Schmallenberg-Virus – sowie das Verhalten beim Auftreten von Q-Fieber.

Krankheitsbild erläutert

Dr. Henrik Wagner, Tierarzt an der Universität Gießen, zeigte sich alarmiert von zunehmenden „unerklärlichen Veränderungen an neugeborenen Lämmern“, zu denen er gerufen wird. Das Krankheitsbild: Lämmer kommen tot oder sehr lebensschwach zur Welt, mit schweren Veränderungen im Knochengerüst sowie verknöcherten und verkrümmten Gelenken. Die Verhärtungen am toten Tier könnten so stark sein, „dass man den Hals nicht mehr bewegen kann“.

Reinhard Heintz.

Foto: Michael Schlag

Dr. Henrik Wagner.

Foto: Michael Schlag

Nikita Wimmershof.

Foto: Michael Schlag

Dr. Björn Seelig.

Foto: Michael Schlag

Auch komme es vor, dass der Unterkiefer deutlich kürzer als der Oberkiefer gewachsen ist und die Kauwerkzeuge – wie ein Röntgenbild zeigte – nicht mehr zusammenpassen. Die Deformationen können sogar dazu führen, dass der Schädel eines Lamms ungleich wächst und die Augen des Tieres links und rechts unterschiedliche Positionen haben. Die Muttertiere selber werden nicht geschädigt, aber die Geburten verlaufen oft schwierig, die Geburtsorgane sind länger eitrig, es kommt zu Nachgeburtsverhaltung, teilweise ist Kaiserschnitt notwendig.

„Schmallenberg-Virus“ möglich

Ursache ist wahrscheinlich das im vergangenen Jahr zuerst in den Niederlanden aufgetretene „Schmallenberg-Virus“, das jetzt Hessen erreicht hat. Die Veterinärklinik und das Hessische Landeslabor in Gießen sind mit der Aufarbeitung des bisher bekannten Krankheitsgeschehens beschäftigt und Dr. Wagner appellierte an die Schäfer: „Melden Sie neue Fälle, wir brauchen unbedingt mehr Informationen“, damit man sich ein genaueres Bild von der Krankheit machen könne, etwa welche Rassen sind besonders betroffen, in welchen Haltungen tritt es auf, sind es mehr männliche oder weibliche Lämmer? Rätselhaft sei auch, warum es bei Zwillingsgeburten vorkommt, dass eins der Lämmer missgebildet zur Welt kommt, während das andere vollkommen gesund sein kann. Dass es nicht mehr nur Einzelfälle sind, zeigte die Frage an die Schäfer-Versammlung, bei wem die beschriebenen Krankheitsbilder denn schon aufgetreten sind. Gleich mehrere Schäfer meldeten sich.

Täglich treten neue Fälle auf

Dr. Björn Seelig, dessen Tierarztpraxis aus Heidenrod im Landkreis Rheingau-Taunus über 500 Schafherden in ganz Deutschland betreut, meinte zu dem neuen Krankheitsgeschehen sogar: „Es gibt jeden Tag neue Fälle“, täglich spreche er mit bis zu zehn Betrieben, wo sich die Sympto­me gezeigt hätten. Nach seiner Schätzung sind bereits mehrere Hundert Betriebe betroffen, darunter Bestände mit bis zu 15 Prozent Missbildungen. Seelig schilderte weitere Hintergründe zu der Krankheit: Das Virus mit der vorläufigen Bezeichnung „Schmallenberg-Virus“ gehört zur Gattung der „Orthobunya-Viren“ und darin der Gruppe der „Akabane-ähnlichen Viren.“ Es trat bisher in Afrika, dem Mittleren Osten, Süd- und Ostasien sowie Australien auf. Im November 2011 wur­de es zum ersten Mal vom Friedrich-Löffler-Institut (FLI) in Deutschland sicher diagnostiziert, nach ersten Fällen im Sommer 2011 in den Niederlanden und seit September 2011 auch auf deutschen Betrieben. Anders als beim gravierenden Verlauf in Schafherden zeigten Rinder und Milchkühe eher unspezifische Symptome wie hohes Fieber über 40 Grad, Appetitlosigkeit und Milchrückgang. Was dem Tierarzt Sorgen macht: „Wir haben keine Möglichkeit der Diagnostik“, zurzeit sei die Krankheit nur vom FLI auf der Insel Riems sicher festzustellen, möglicherweise werde in den kommenden Wochen aber ein Bluttest zur Verfügung stehen, berief sich Seelig auf eine Information der Tierärztlichen Hochschule in Hannover. Das heißt: Bei allen für Hessen geschilderten Fällen besteht hoher Verdacht auf Schmallenberg-Virus, genotypisch erwiesen ist die Diagnose aber noch nicht.

Infektionsweg über Gnitzen

Beunruhigt zeigten sich die Tierärzte bei ihren Vorträgen auch wegen des Infektionsweges der Viren: Übertragen wird das Schmallenberg-Vi­rus genau so wie die Blau­­zungenkrankheit über Gnitzen (kleine Mücken). Bei Geburten, die jetzt stattfinden, muss die Infektion des Muttertieres mithin im vergangenen Sommer stattgefunden haben. Und, wie Seelig erklärt: Je früher die Infektion während der Trächtigkeit erfolgt sei, um so schwerer würden am Ende die Missbildungen.

Missbildungen werden schlimmer

Das erklärt auch, was der Tierarzt in seiner Praxis festgestellt hat: „Die ersten Lämmer waren noch in Ordnung, aber der Grad der Missbildung wird schlimmer.“ Er befürchtet: „Je weiter die Lammsaison fortschreitet, um so stärker könnte die Krankheit auftreten.“ Auch Seelig appellierte an die Schäfer, neue Fälle zu melden, um mehr Informationen über die Umstände der Krankheit zu bekommen. Nicht nur das Krankheitsbild allein, auch „alles drum herum ist wichtig“, zum Beispiel wann die Tiere zuletzt mit Repellents (Insekten abweisenden Mitteln) behandelt wurden. Eine Behandlungsmöglichkeit gibt es zurzeit nicht, aber „wenn Schäfer jeden Tag mit Aborten zu uns kommen, dann nehmen wir das ernst.“

„Q-Fieber“ weiteres Thema

Auch beim zweiten Hauptthema des Abends ging es um eine Krankheit der Schafe, das „Q-Fieber“, eine bakterielle Infektion, die in Hessen bislang vor allem im Lahn-Dill-Kreis auftrat. Das Q-Fieber ist eine Zoonose, das heißt, sie ist auch auf Menschen übertragbar. Nach einem stärkeren Ausbruch im Jahr 2008 mit 55 erkrankten Personen (davon 18 mit Lungenentzündung) gab es 2011 in den Kreisen Gießen und Lahn-Dill noch eine betroffene Schafherde, sieben Personen infizierten sich. „Q-Fieber beschäftigt uns mit schöner Regelmäßigkeit“, sagt Nikita Wimmershof vom Fachdienst für Tierseuchenbekämpfung beim Lahn-Dill-Kreis. In der Summe der Jahre seit 2001 trat Q-Fieber als Erkrankung beim Menschen 583 Mal in Hessen auf, im gleichen Zeitraum waren es in Baden-Württemberg 815 Fälle und in Nordrhein-Westfalen 566 Fälle. Wimmershof bezieht sich dabei auf Daten des Robert-Koch-Instituts und meint: „Offensichtlich haben auch andere Bundesländer damit zu kämpfen“. Und auch hier ist es kein flächendeckendes Geschehen, sondern schwerpunktmäßig sind einzelne Landkreise von Q-Fieber betroffen. Wo die Krankheit einmal auftrat, kann sie sich hartnäckig halten. Der Erreger, so Wimmershof, „kann im Erdreich ein Jahr überleben und bleibt hochinfektiös, das macht es so brisant.“

Hohe Gefahr beim Lammen

Übertragen wird das Q-Fieber insbesondere während der Ablammsaison und vor allem bei trockenem Wetter. Bei der Geburt werden die Erreger mit infizierten Nachgeburten ausgeschieden. Trocknen diese ab, bleiben die Erreger im Staub erhalten, der dann mit dem Wind über größere Distanzen transportiert werden kann.

Die Infektion erfolgt dann durch das Einatmen von erregerhaltigem Staub, der allerdings auch von eingetrockneter Wolle oder aus dem Mist stammen kann. Die Distanz der Ãœbertragung mit dem Wind beträgt etwa einen halben Kilometer, hier setzt auch die Vorsorge an: Infizierte Herden müssen 500 Meter Abstand zur nächsten Wohnbebauung halten. Eine Vorschrift, die für Schafhalter schmerzhaft sein könne, räumt Wimmershof ein, wenn etwa in dem Gebiet Beweidungsverpflichtungen bestünden. Auch dürfen die Tiere nicht mehr auf der Weide lammen, es besteht die Pflicht zur Aufstallung bis 21 Tage nach dem Ablammen. Auch dies nicht unproblematisch, denn „was machen Schafhalter, die keinen ausreichenden Stallraum haben?“

Neuer Impfstoff vorhanden

Die gute Nachricht: Es gibt einen neuen Impfstoff mit dem Namen „Coxevac“, der – anderes als der bisherige Impfstoff – die Erreger-Ausscheidungen der Tiere bei der Geburt deutlich senkt. Zugelassen ist er bislang für Rinder und Ziegen, für die Anwendung bei Schafen sind aber Ausnahmen nach dem Tierseuchengesetz möglich. Die Grundimmunisierung erfolgt durch zwei Impfungen im Abstand von drei Wochen, anschließend muss die Impfung jährlich aufgefrischt werden. Wenn über die Impfung dann eine stabile Immunität in der Herde aufgebaut ist, so Wimmershof, könne man auch über die Abstandsregelung von 500 Metern zur Wohnbebauung reden. Der neue Impfstoff kostet einschließlich Mehrwertsteuer) 1,75 Euro pro Milliliter, das ist für Schafe auch die Impfdosis. Die Grundimmunisierung einer Herde von 100 Schafen mit zwei Impfungen würde demnach 350 Euro kosten und in jedem folgenden Jahr 175 Euro für die Auffrischung. Bei Ziegen ist die Impfdosis mit zwei Millilitern doppelt so hoch, entsprechend höher sind die Kosten.

Krankheitsverlauf wie bei Grippe

Q-Fieber, das beim Menschen mit plötzlichem hohen Fieber beginnt und wie eine starke Grippe verläuft, wird von den Ärzten nicht immer richtig erkannt. Darauf machte Stefanie Graff, Amtstierärztin im Landkreis Gießen, aufmerksam. Sie berichtete von einer Infektion mit Q-Fieber, die bei der Untersuchung durch den Hausarzt nicht erkannt wurde, weil die Infektion noch zu frisch war und sich noch keine Antikörper gebildet hatten. Erst nachdem die erkrankte Frau darauf gedrungen habe, in der Universität Gießen eine weitere Diagnose zu machen, habe sich herausgestellt, dass es tatsächlich eine Infektion mit Q-Fieber war. Dr. Henrik Wagner von der Uni Gießen bekräftigt: „Wir müssen als Schafhalter darauf achten, dass wir auch selbst die richtige Behandlung bekommen.“

Meldungen für ihre Tiere

Reinhard Heintz, Vorsitzender des Hessischen Verbandes für Schafzucht und Haltung, erinnerte die Schäfer an die Abgabe der vorgeschriebenen Meldungen für ihre Tiere: „Macht bitte Eure Meldungen an den HVL und haltet das Bestandsregister in Ordnung.“ Bei den Stichtagsmeldungen zeige sich nämlich, so Stefanie Graff aus Gießen, dass maximal ein Drittel der Schafhalter ihre Meldungen beim Hessische Verband für Leistungs- und Qualitätsprüfungen in der Tierzucht (HVL) in Alsfeld und bei der Tierseuchenkasse abgegeben hätten. Aber „je mehr Betriebe auffallen, um so mehr werden im nächsten Jahr kontrolliert,“ befürchtet Vorsitzender Heintz und es drohe schließlich ein Abzug bei der Betriebsprämie wegen Verstoß gegen die Cross Compliance Vorschriften.

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