Der Markt kennt keine Preisgrenzen
Was man aus der Milchkrise lernen sollte
Der zweite Tag der Landwirtschaftlichen Woche Nordhessen, vorige Woche in Baunatal, stand ganz im Zeichen der Milcherzeugung. Referenten beleuchteten die Situation der Betriebe, welche die jüngste Milchkrise bis dato überstanden haben. Weiterhin stellten sie betriebliche Instrumente vor, die im Einzelfall Landwirten helfen können, um ihre Betriebe besser vor Unwegsamkeiten schützen zu können.
Foto: Moe
Aus seiner Sicht darf man die Erwartungen an die Politik zur Hilfe bei Krisen nicht zu hoch bewerten, wie auch das EU-Programm zur Mengenreduzierung deutlich mache. Für ihn hat es lediglich symbolischen Charakter, rettet aber nicht einen einzigen Betrieb und hilft auch nicht, das Preistal zu verkürzen. „Wen trifft die Schuld?“, fragte der Ökonom. Vor allem: „Was sollte man aus der jüngsten Krise lernen?“ Er setzte an den Kosten der Erzeugung an, es sei die einzige Möglichkeit des Landwirts, den Erfolg der MilcherzeuÂgung zu erhöhen. Er analysierte, wie sich die Branche in den letzten Jahren verhalten hat und stellte für die letzten zwei Jahre mit dem Ende der politikinduzierten Mengenregulierung fest, dass sich sowohl die Politik, als auch die Märkte geändert haben.
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Stottert die Weltnachfrage, rotieren die Agrarpreise
Die Finanzkrise im Jahr 2008 hat den Agrarmärkten kurzzeitig zwar eine Preisdelle beschert, sie ist seiner Ansicht nach aber nicht für die folgende Entwicklung am Markt ausschlaggebend. Ursache aus seiner Sicht ist die scheinbar nicht zu sättigende NachfraÂge. Die Weltbevölkerung hat schon vor etwa zwei Jahren die 7 Mrd. Grenze überÂschritten. In dem neuen Umfeld der Agrarmärkte mit Marktliberalisierung auf der einen Seite und laufend wachsenÂder NachfraÂge auf der anderen bei insgesamt freundlichen Agrarmärkten bis 2008/09 registrierten die Milcherzeuger, dass jede zusätzliche Menge von den Märkten aufgenommen wird. Das hatte Einfluss auf die InvestiÂtionsfreude, so Dr. Fuhrmann.
Pessimismus folgte zu großer Optimismus
Der Agronom folgerte, dass sich die Phase von 2007 bis 2008 massiv von der heute unterÂscheiÂdet. So stieg Ende 2008 die Investitionsbereitschaft im Milchviehsektor stark an, während zuvor vielfach Pessimismus bei jungen Landwirten herrschte – wie derzeit auch. In der Phase von Mitte 2009 bis Anfang 2014 stiegen die Erzeugerpreise tendenziell stetig an, obwohl die Mengen erhöht wurden. Das hat dann laut Fuhrmann zu Optimismus bei den Landwirten geführt, der sie in den letzten Jahren zu zusätzlichen Investitionen anregte.
Er gab relativ einfache Erklärungen ab, weshalb immer mehr investiert worden ist. Neben der wachsenden Weltbevölkerung ist es der steigende Wohlstand. Mit der Folge: „Wir wussten, dass wir künftig volatile Preise haben. Wir dachten aber, bei Milch fallen wir nicht unter die 30 Cent-Grenze je Liter und bem Weizen nicht unter 20 EuÂro/dt. Tatsächlich wissen wir jetzt, der Markt kennt keine Preisgrenzen.“ Muss man also in die Märkte eingreifen? Daraufhin Fuhrmann: „Man muss in die Märkte eingreifen, wenn sie nicht funktionieren. Aber die Märkte haben funktioniert“, lautete seine Antwort. Die Märkte sind nicht mehr die gleichen, wie vor fünf Jahren. Was ist auf der Verbraucherseite passiert? China hat jahrelang Wirtschaft-Wachstumsraten von weit über zehn Prozent gehabt. Jetzt „nur“ noch rund sieben Prozent. Die Nachfrage wächst in Asien weiter, aber sie wächst langsamer. Sie ist in der letzten Zeit nicht so stark angestiegen, wie das Angebot. Das lag auch daran, dass das RussÂlandÂembargo umgesetzt wurde.
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Der Rohölmarkt ist für die Nachfrage von Agrarrohstoffen von großer BeÂdeutung. „Wenn die Weltnachfrage stottert, wirkt das auf die Preise für Agrarprodukte“, so der Finanzmann. Die Investitionsbereitschaft der Betriebe hat sich von 2014/15 im Vergleich zu zehn JahÂren zuvor verdoppelt, von etwa 100 Euro je ha auf 227 Euro je ha. Die Bestandsentwicklung bei Milchvieh ist in Hessen ist im Jahr 2003 von 29 Kühen auf 46 Tiere im Jahr 2015 gestiegen. 2009 waren es 34 Kühe, danach wurde ein steiler Anstieg der Bestände registriert.
Investitionsgüter in zehn Jahren um ein Drittel teurer
Investitionsgüter haben sich deutlich verteuert. Das Jahr 2005 wurde indiziert, also gleich 100 gesetzt und es ergab sich für 2016 ein Plus von 30 Prozent. Das Investitionsgut ist damit in den letzten zehn Jahren um fast ein Drittel teurer geworden. „Wenn von Investitionen die Rede war, hatten alle nur die Marktpreise im Blick, aber niemand hat von den Kosten gesprochen“, sprach Fuhrmann Fehlverhalten bei InvesÂtitionsÂentÂscheidungen an. Teils werden nach positiven Jahren die Produktionsfaktoren zu wenig berücksichtigt. Die Märkte wurden überschätzt und es wurde kaum auf die Kosten der Erzeugung geschaut. Von 2005 bis 2016 sind aber auch die Betriebsmittelpreise relativ parallel zu den Erzeugerpreisen gestiegen. Weiteres Beispiel dafür sei die Pachtentwicklung, die Kosten für Boden hat man aus den Augen verloren. Der Preis einer NeuÂÂverpachtung in Hessen lag laut Statistischem Landesamt 1999 bei circa 160 Euro/ha, 2015 bei 290 Euro/ha. „Bei Pachtzahlungen haben Sie einen Kostenblock, bei dem Sie erst später die Folgen spüren, weil die meist höheren Preise einer Neuverpachtung sukzessive auf bestehende Pachtverträge wirken“, ergänzte Dr. Fuhrmann.
Kreditzinsen sind von 4,5 auf 0,6 Prozent gefallen
Die Märkte gehen aber nicht nur in eine Richtung. Wenn die Märkte gut laufen und auch der weniger effizient Produzierende Erfolg hat, beginnt auch dieser zu investieren. Auffällig sei, dass auch das untere Drittel der Betriebe nach 2009 stark investiert hat. „Es haben nicht immer nur die Richtigen investiert“, stellte der Agrar-Finanzwirt fest.
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Wie wettbewerbsfähig sind die Betriebe in Deutschland?
Der langfristig positive Trend auf dem Milchmarkt wird sich nach Einschätzung des Ökonomen fortsetzen. Hier sieht er keine Veränderung der Fundamentaldaten. Allerdings stellt sich für ihn die Frage, wie stehen die Betriebe in Deutschland und Europa künftig im Wettbewerb dar? Tierhaltungsrestriktionen verteuern die Erzeugung. „Um mithalten zu können und wettbewerbsfähig zu bleiben, werden wir noch weiteren Strukturwandel in der Milchviehhaltung brauchen“, so Fuhrmann. Die Marktvolatilitäten der vergangenen Jahre werden auf Dauer bleiben, ist er überzeugt. Die Investitionserfordernisse zur Stärkung der heimischen Betriebe im internationalen Wettbewerb bleiben aber auch künftig hoch, so dass die landwirtschaftlichen Unternehmer weiter investieren müssen. Sein Plädoyer an die Landwirte lautet: „Eine Marktkrise darf nicht zur Unternehmenskrise werden.“ Investitionen antizyklisch zu tätigen, riet er den Landwirten im Saal und stellte fest: „Im letzten Jahr konnte man zu deutlich niedrigeren Kosten zusätzliche Stallkapazität bauen, als in den Boom-Jahren zuvor.“
Milchkasko greift bei „Milchunfällen“
Dr. Gerold Kutscher von der GeÂmeinnützigen Haftpflicht-Versicherungsanstalt Darmstadt (GHV) informierte über die Milchkasko-VerÂsicherung der GHV, die man vor einem Jahr neu im Portfolio der GHV aufgenommen hat. In der GHV-Tierversicherung haben sich alle ehemals selbständigen TierversiÂcherungen in Hessen zusammenÂgeschlossen.
Die Versicherung ist so angelegt, dass sie den direkten Leistungsverlust entschädigt, sie entschädigt den Strafabzug für 30 Tage, plus die Laborkosten. Die VersicherungsÂsumme errechnet sich aus der Anzahl der Tiere und der jährlichen Milchleistung. Versichert sind Betriebe der MilchkasÂko zum Beispiel, wenn die Kühlanlage versagt, Bedienungsfehler auftreten oder es Verunreinigungen in der Milch gibt. Ausgeschlossen sind Marktpreisschwankungen oder Zellzahlen, wie sie eher in den Sommermonaten auftreten können. Wird zum Beispiel eine Hemmstoffbelastung (Antibiotika) in der abgelieferten Milch festgestellt, ist die Milch unbrauchbar. Das führt zu einer Kürzung des MilchÂgeldes, zum Beispiel für dreißig Tage mit fünf Cent je kg Milch. Auch fallen Entsorgungskosten an. Hat dann der Milcherzeuger eine Milchkaskoversicherung abgeschlossen, werden finanzielle Einbußen komplett entschädigt, „als sei der Schaden nicht entstanden“, sagte Dr. Kutscher. Dazu zählen die Entschädigung der zum Verkauf vorgesehenen Milch, die Kosten für die Entsorgung und die entgangenen Einnahmen wegen der Reduzierung des Milchgeldes. „Es landet mehr Milch in die Gülle, als erwartet“, so Dr. Kutscher. Weitere Erfahrung: „Bei großen Betrieben passieren weniger vermeidbare „Milchunfälle“, wie das Melken behandelter Tiere im Tank statt in der Kanne, als bei mittelgroßen Betrieben.
Wann Tierpolicen sinnvoll sind
Mit dem Wachsen der Betriebe und fortschreitender Spezialisierung rücken auch Fragen der Absicherung der Produktion und Erlöse in den Mittelpunkt der Existenzsicherung des landwirtschaftlichen Unternehmens. Arno Werner, Leiter der MS MaÂnagement-Service GmbH aus Gießen, informierte in Baunatal über die Ertragsschadensversicherung der VerÂeinigten Tierversicherung (VTV). Werner stellte fest, gute Agrarpolicen seien nach einem Bausteinprinzip konzipierte Versicherungslösungen, mit denen man sich einen individuellen beÂtrieblichen Versicherungsschutz zusammenstellen kann. Als Beispiel beschrieb er einen Versicherungsfall: Ein Milchviehbetrieb mit 400 Kühen hatte in seiner Herde lange Zeit Zellzahlen im Mittel von 150 000 je ml Milch. Als Folge einer Hitzeperiode stiegen die Zellen auf über 400 000 je ml an, mit der FolÂge, dass die Molkerei den Auszahlungspreis kürzte. Der DeckungsbeitragsverÂlust des Landwirts sei in diesem Praxisfall durch die im Betrieb bestehende ErtragsschaÂdensversicherung reÂguÂliert worden.
Moe – LW 3/2017