Einen Mehrwert schaffen für die Region durch Baukultur
Baukulturinitiativen können eine Region bereichern
Die Fachveranstaltung der Architektenkammer Rheinland-Pfalz und des Landkreistages Rheinland-Pfalz, die als Livestream vergangenen Mittwoch im Internet zu sehen war, widmete sich dem Thema „Wie kann Baukultur zum Hebel positiver Entwicklung auf dem Land beitragen?“ In einer Podiumsdiskussion unterhielten sich die Landräte Dr. Joachim Streit, Gründer der Baukulturinitiative Eifel und Hans-Ulrich Ihlenfeld, Initiator der Baukulturinitiative Deutsche Weinstraße mit Vertretern der Architektur und Wissenschaft.

Foto: dwi
Es gibt eine Verpflichtung zur Baukultur
Für Gerold Reker, den Präsidenten der Architektenkammer RLP, stellt Baukultur ein Oberbegriff dar für das architektonische Bauwerk, das Ökologie, Ökonomie, Nachhaltigkeit, Historie, Funktionalität und Ästethik vereint. Laut § 15 des Architektengesetzes gibt es eine Verpflichtung zur Baukultur. In der Praxis sei dies jedoch bei kommunalen Vergaben nicht angekommen, beklagte Reker. Es gehe bei der Baukultur um ein Anheben der Qualität, wenn die baulichen Werke zueinander passen, wenn sie harmonisch einander ergänzen und so „einen Mehrwert“ generieren, den Touristen und Einheimische zu schätzen wissen.
Von der Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Bonn war Prof. Dr. Florian Kluge zugeschaltet. Er berichtete von einem Projekt im Alpenvorland, in dem sich zahlreiche Dörfer zusammengeschlossen haben, um ihre typische Region weiterzuentwickeln. Mit Spaziergängen durch die Dörfer, aufgrund von Corona nur digital, Exkursionen, einem Baukulturstammtisch, Online-Kino, einer Baukulturwerkstatt und Online-Sprechtagen für die Bürger haben Studenten verschiedener Hochschulen die Historie der Orte erfasst. Es wurden die aktuellen Problemstellungen der Bürger aufgenommen und auf der Ebene der Bürgermeister ein regelmäßiges Online-Frühstück installiert, damit der Austausch zwischen den Gemeinden gewährleistet ist. Auf diese Weise können die Eigenheiten der Ortschaften erhalten und dennoch Neues weiterentwickelt werden.
Ein Teilnehmer der Diskussionsrunde war auch Dr. Joachim Streit, Landrat des Landkreises Bitburg-Prüm. Er hat die erste Baukulturinitiative in Rheinland-Pfalz für die Region Eifel gegründet. „Wichtig ist, dass kommunalen Vertretern und Bauherren in den Dörfern bewusst wird, dass sie nicht für sich selbst bauen. Ich baue für meine Umwelt, für meine Straße ja für das ganze Dorf.“ Dass dies immer auch in Kombination der regionaltypischen Materialien erfolgt, die auch mit Modernem kombiniert werden können, das mache den Reiz der Baukultur für jede Region aus. Schartz betonte, es gehe darum, Bewusstsein zu schaffen bei den Dorfbewohnern. Eine Sensibilität für die Baustoffe und die Historie zu schärfen. Dies möchten auch Landrat Hans-Ulrich Ihlenfeld aus dem Kreis Bad Dürkheim mit seinem Kollegen aus dem Kreis Südliche Weinstraße, Dietmar Seefeldt sowie den Oberbürgermeistern von Neustadt Marc Weigel und von Bad Dürkheim Thomas Hirsch mit der Baukulturinitiative Deutsche Weinstraße. Diese wurde im vergangenen Sommer mit einer Auftaktveranstaltung auf dem Hambacher Schloss gegründet.
Kommunen und Bauherren sensibilisieren
Auf der Internetseite des Landkreises Bad Dürkheim ist zu lesen, dass die Initiative vor allem das Bewusstsein der politisch Verantwortlichen, der Bauherren und der Architekten schärfen möchte. Eine wichtige Frage sei dabei: Wie kann Baukultur aussehen, um positiv auf die Umwelt zu wirken. Ihlenfeld sagte in der Diskussionsrunde: „Uns eint die reizvolle Landschaft. So wollen wir die Region für die Zukunft stärken.“ Dass dabei die typische Haus-Hofbauweise und der Sandstein eine große Rolle spielen, sei für Ihlenfeld ein Muss. Er sehe deutlich Verbesserungsbedarf in Neubaugebieten. Auch die Tatsache, dass die Weinbaubetriebe in der Region abnehmen und die ältere Bevölkerung zunehme, das müsse sich in Maßnahmen spiegeln, damit die Menschen auch zukünftig gerne in die Pfalz kommen.
Ein Ort ist kein Bild, sondern immer ein Prozess
Gute Voraussetzungen gibt es in der Pfalz mit einer hohen Dichte an historischen Bauten. Nun den Denkmalschutz, die Wirtschaftsförderung, Architekten und Bauherren zusammenzubringen, sei die Aufgabe, um gemeinsam die Qualität der Region anzuheben, sagte Reker. Denn ein Ort, eine Stadt oder eine Landschaft sei kein Bild, sondern es sei immer ein Prozess. Die Kommunen tragen hier eine besondere Verantwortung. Denn wenn diese nicht hochwertig für die Region bauen, wie kann dies dann von privaten Bauherren verlangt werden? Reiner Nagel als Vorsitzender der Bundesstiftung Baukultur bemerkte, dass soziale Anknüpfungspunkte gebraucht werden. Die autoaffinen Einkaufsmärkte auf der grünen Wiese seien dafür nicht geeignet und seien auch nicht die Zukunft. Streit blickte zurück in die Historie als die Häuser nach dem Krieg mit wenig Materialien gebaut wurden. In den 60er und 70er Jahren hatte man dann Geld, um diese zu renovieren. „Leider gingen die Menschen in die Baumärkte, wo sie günstig Alutüren kauften, um ihre Holztüren zu ersetzen.“ Streit sprach sich für einen Wettbewerb Baukulturdörfer aus und möchte den Dorfbewohnern Fachleute an die Hand geben. Ihlenfeld äußerte die Idee, dass die Baukultur in den Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ eingefügt werde.
Sehnsucht nach ländlichem Raum wächst
Kluge ergänzte, dass die Dörfer derzeit gute Chancen haben, mehr Bewohner zu bekommen. In der Corona-Pandemie spüre doch der ein oder andere, dass das Leben in der Stadt sehr beengt ist, während die Dorfbewohner deutlich weniger Einschränkungen erfahren. „Die Sehnsucht nach dem ländlichen Raum wächst.“ Schartz wies darauf hin, dass die Attraktivität der Dörfer von Innen komme. In seinem Landkreis wurden alte Sparkassenfilialen zu Co-Working-Spaces umgebaut, so könne Urlaub und Arbeiten vereinbart werden. Kluge gab in seinem Fazit den Hinweis, dass man die Bürger vor Ort ernst nehmen müsse, deren Wissen sei ein großer Schatz. Streit wünscht sich, dass Eltern bereits ihren Kindern vermitteln, was die Schönheit der Region ausmacht und so viele junge Leute sich für Baukultur begeistern.
Konkrete Maßnahmen ergreifen
Ihlenfeld gab die nächsten Schritte in der Baukulturinitiative Deutsche Weinstraße bekannt: Man wolle ein konkretes Handlungsprogramm erarbeiten, wie in verschiedenen Aktionen auf die Bedeutung der Baukultur hingewiesen werden kann, zum Beispiel in Workshops und letztlich Gestaltungsrichtlinien.
Das Projekt Baukulturinitiative Deutsche Weinstraße wird unterstützt von der Baukultur RLP im Finanzministerium, der Architektenkammer RLP, der Metropolregion, der Generaldirektion Kulturelles Erbe, den Mittelbehörden des Landes, kommunalen Spitzenverbänden und der Pfalz-Touristik.
Initiative Baukultur Deutsche Weinstraße
Aktueller Stand der Bemühungen um Baukultur
Wie in dieser Ausgabe (Artikel: Einen Mehrwert für die Region schaffen durch Baukultur) zu lesen, gibt es seit August 2020 die Baukulturinitiative Deutsche Weinstraße der Landkreise Südliche Weinstraße, Bad Dürkheim und den beiden Städten Bad Dürkheim und Neustadt. Worum geht es und was konnte bisher erreicht werden? Das fragte das LW Hans-Ulrich Ihlenfeld, Landrat im Kreis Bad Dürkheim.
LW: Wie weit ist die Initiative Baukultur Deutsche Weinstraße mittlerweile in der Erarbeitung gemeinsamer Strategien und Grundsätze?
Ihlenfeld: Gegenwärtig stimmen wir eine Vereinbarung der vier GebietsÂkörperschaften zur Zusammenarbeit ab. Es wird Arbeitsgruppen geben, in die Institutionen und Fachleute aus Architektur, Denkmalschutz, Weinbau und Landwirtschaft, Gewerbe, Energie und Verkehr einbezogen werden. Bei den zu formulierenden Strategien und Grundsätzen wird es vor allem darum gehen, wie wir es schaffen, die Orte in ihrem unverwechselbaren Erscheinungsbild zu erhalten, sie aber gleichzeitig für die Anforderungen der modernen Welt zu stärken.
LW: Was ist das langfristige Ziel?
Ihlenfeld: Wir wollen die Identifikation der Bürger mit der Deutschen Weinstraße und damit deren unverwechselbare Identität stärken. So wollen wir bewirken, dass das einprägsame Bild der Bebauung unter Verwendung von Sandstein, rotbraunen Ziegeldächern und Holz erhalten bleibt. Damit stärken wir den Standort und die touristische Marke „Deutsche Weinstraße“ aber auch heimisches traditionelles Handwerk.
LW: Wie werden die Bürger vor Ort einbezogen?
Ihlenfeld: Wichtig ist, dass die Bürger „Baukultur“ als ihr eigenes Anliegen begreifen. Dazu sind vielfältige öffentliche Veranstaltungen und Diskussionsforen vor allem auf der
Ebene der Ortsgemeinden erforderlich. Wichtig sind Handreichungen oder Baufibeln, die dem privaten Bauherrn Hilfestellung geben. Durch Baukultur-Wettbewerbe, frühe Orientierungen in den Kindergärten und Schulen und eine intensive Öffentlichkeitsarbeit schaffen wir Aufmerksamkeit für Baukultur.
Wir müssen hier aber auch die Fachvertreter eng einbeziehen. Hier befinden wir uns in guter Abstimmung mit der Architektenkammer Rheinland-Pfalz. Denn die Architektenschaft ist ein Multiplikator zur Bürgerschaft und kann sowohl den Kommunen und Landkreisen als auch den Bauherren Impulse geben.
LW: Baukultur hat immer auch etwas mit der Historie zu tun. Welche Bauform ist die typische am Haardtrand?
Ihlenfeld: Es ist nicht eine Epoche ausschlaggebend, sondern das Zusammenspiel der baulichen Entwicklungen in einem Ort oder einer Region.
Typisch ist hier vor allem die fränkische Haus-Hofbauweise, die seit Jahrhunderten den Anforderungen von Landwirtschaft und Weinbau gerecht wurde. Dabei dominiert der sogenannte Dreiseithof. Etwas seltener jedoch auch als typisch anzusehen ist der Vierseithof. In vielen Fällen ist heute die Funktion dieser Anwesen verschwunden und die Kleinteiligkeit der Betriebe nicht mehr vorhanden.
LW: Wie können Sie sich eine Fortentwicklung vorstellen?
Ihlenfeld: Wir müssen vor allem die Akteure vor Ort erreichen. Dazu gehören neben den Gemeinderäten, die über die bauliche Fortentwicklung ihrer Gemeinde entscheiden, die Bauherren und Hauseigentümer direkt. Dort gilt es ein Verständnis für die gebaute Umwelt und deren Wirkung zu erzeugen und für ein harmonisches Gesamtbild zu sensibilisieren.
Da an die Stelle des Weinbaus heute verstärkt das Wohnen oder eine gewerblich-touristische Nutzung tritt, ist es wichtig, diese „Umnutzung“ auch besonders in den Fokus zu stellen. Entlang der Weinstraße gibt es viele gelungene aber auch weniger vorzeigbare Beispiele. Hier müssen wir den Blick schärfen. Es existieren noch viele alte Winzerhäuser, die Brach liegen oder vor einer grundlegenden Sanierung stehen.
LW: Welches sind die nächsten Schritte der Initiative Baukultur Deutsche Weinstraße?
Ihlenfeld: Aktuell sind wir dabei in Zusammenarbeit mit der TU Kaiserslautern ein bereits aufgelegtes Malbuch für Kinder und Grundschulen als „regionale Ausgabe“ zu fasÂsen. Baukulturelle Bildung fängt spielerisch bei den KleinsÂten an.
Coronabedingt verzögert werden die vier Körperschaften einen Fahrplan für die weitere Arbeit erstellen. Wir werden in die Öffentlichkeitsarbeit gehen, indem wir über die Amtsblätter und Medien Beispiele für gelungene Baukultur zeigen. Im Landkreis Bad Dürkheim wird Baukultur Teil eines Kreisentwicklungsprozesses sein, der im Juni starten soll.
Mit Hans-Ulrich Ihlenfeld sprach Elke Setzepfand