Viele Radfahrer sehen Risiken auf Wirtschaftswegen nicht

Radtouristischer Plan Rheinhessen umstritten

Seit dem Jahr 2019 arbeitet die Rheinhessen Touristik GmbH unter der Geschäftsführung von Christian Halbig am radtouristischen Entwicklungsplan Rheinhessen im Rahmen der neuen Tourismustrategie Rheinhessen 2025. Es sollen zehn Radrouten in Rheinhessen, meist Rundwege auf das radtouristische Angebot des Wettbewerbs weiterentwickelt werden. Das soll auch Weinkunden in die Region bringen.

Auf den Hiwweltouren, das sind Wanderwege durch Rheinhessen, wurden an gefährlichen Stellen diese Schilder aufgestellt. Doch beim Radfahren ist man schnell am Schild vorbei ohne dies zu lesen.

Foto: Rheinhessen Touristik

Nun gibt es jedoch nicht nur an einem Ort, sondern gleich in mehreren rheinhessischen Ortschaften vehementen Widerstand gegen die ausgewiesene Routenführung. In Nackenheim am Roten Hang stoßen die Rebzeilen der Steilhänge direkt auf den Radweg ohne dass der Winzer die Radfahrer von rechts oder links beim Ausfahren aus der Zeile frühzeitig sehen könnte. Unfälle sind so vorprogrammiert und eventuelle Klagen auf Schmerzensgeld an Landwirte oder Winzer auch.

Vom Steilhang auf die Gasse, kein Einblick

Berthold Schmitz, Winzer in Nackenheim, sorgt sich daher lieber frühzeitig um das Wohl der Radfahrer: „Wir können hier nicht für die Sicherheit der Radfahrer garantieren, wenn wir aus dem Steilhang auf die Gasse fahren. Es ist unmöglich aus der Zeile auf die Fahrbahn zu sehen.“ Laut der neuen Straßenverkehrs-Verordnung müsse auch ein Abstand von 2 m beim Ãœberholen eines Radfahrers eingehalten werden, auf den schmalen Wirtschaftswegen sei das oft gar nicht möglich, so die Erfahrungen. Er weist auch darauf hin, dass die Wirtschaftswege nach der neuen Straßenverkehrs-Verordnung gar nicht als Radwege ausgewiesen werden dürfen, da es reine Wirtschaftswege sind, die mit Geldern der Landwirte instand gehalten werden.

Schmitz ist bewusst, dass sich die Situation derzeit durch Corona und durch den steigenden E-Bike-Verkehr zugespitzt habe. Letzterer werde bestimmt nicht mehr sinken. Die hohen Geschwindigkeiten der E-Bikefahrer verschärfen das Problem noch. In Nackenheim haben die Landwirte und Winzer nun selbst nach alternativen Routen gesucht und welche gefunden. „Wir haben Routen genommen, an denen die Rebzeilen parallel zum Weg laufen, dann tritt das Problem gar nicht erst auf“, bemerkt Schmitz, der nicht nur die hohe Unfallgefahr, sondern auch den Hundekot und den steigenden Abfall in den Weinbergen, Wiesen und Äckern entlang der ausgwiesenen Radstrecken beklagt. Nun muss jedoch die Gemeinde noch die Zustimmung für die alternative Route geben. Ob die Sorgen der Landwirte und Winzer um die finanziellen Auswirkungen der Radwegeplanung gehört werden?

Winzer und Landwirte suchen nach Alternativen

Auch in Hahnheim und Sörgenloch soll parallel zur Selz, entlang einer Landstraße ein neuer Radweg gebaut werden. Vor Ort regt sich Widerstand gegen die geplante Wegeführung. Der Ortsverein Hahnheim-Selzen des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Pfalz Süd hatte sogar Vertreter der Ortsgemeinderäte aus Hahnheim und Sörgenloch zu einer Informationsveranstaltung Anfang Juli eingeladen. Man wollte die Gemeindevertreter beider Ortsgemeinden über die aus Bewirtschafterseite optimale Wegelösung auf der Talseite der L 432 informieren. Dann könne auch hier die hohe Unfallgefahr beim Ausfahren aus der Rebzeile vermieden werden. Seit Beginn der Planungen weise der BWV Ortsverein Hahnheim-Selzen auf diese Problematik hin, schreibt dieser in einer Pressemitteilung, leider ohne Gehör zu finden, obwohl sich mittlerweile auch die Landwirtschaftskammer und die Flurbereinigungsbehörde am DLR für die Variante auf der Talseite ausgesprochen haben. Während sich der Sörgenlocher Rat dem Hahnheimer anschließen werde, glänzte eine Fraktion in Hahnheim sowie die Ortsverwaltung Hahnheim an dem Informationstag durch Abwesenheit – kein Beispiel zur Konfliktlösung.

Neue Infrastruktur für Radler schaffen

Ob es auf Wirtschaftswegen überhaupt eine Lösung geben kann, das fragte die Wormser Zeitung in einer Veröffentlichung am vergangenen Freitag unter dem Titel „Radfahrer versus Traktoren – Konflikte auf Wirtschaftswegen“. Holker Pfannebecker, der BWV-Kreisvorsitzende von Alzey-Worms wies darauf hin, dass es Verständnis für die Arbeit der Winzer und Landwirte braucht. „Wir sind bei der Arbeit, während sich die Radfahrer vergnügen.“ Dass oft kein Verständnis für die Arbeit der Landwirte vorhanden ist, zeigt ein Beispiel aus Bodenheim. Dort waren es der schaulustigen Radfahrer in Corona­zeiten so viele, dass manche Landwirte die Silierkette von der Wiese zum Hof nicht einhalten konnten.

Hier durch die Mauern kein Problem, doch wenn die Gassen direkt am Radweg enden, kann der Winzer nicht sehen, ob rechts oder links einer kommt.

Foto: DWI

Eigene Radwege zu bauen, das dauert lange, doch angesichts der Tatsache, dass seit 2017 über drei Millionen E-Bikes in Deutschland verkauft wurden, werden viele Gemeinden langfristig nicht umhinkommen.

Halbig ist der Geschäftsführer von Rheinhessen Touristik und möchte den radtouristischen Entwicklungsplan Rheinhessen umsetzen. Er fokusiert das Ziel – das Erleben der für Rheinhessen typischen Themen Wein, Rhein, Kultur und Weitblick. Basis sei das vorhandene Radstreckennetz des Landes Rheinland-Pfalz, das lediglich in andere Zuschnitte gebracht und in Teilen ergänzt werde. Die Rheinhessen-Touristik übernimmt im Auftrag ihrer Gesellschafter die Koordination für die Umsetzung des wichtigen touristischen Infrastrukturprojekts. Dieses hat laut Halbig in der Region eine breite politische Rückendeckung und wurde bereits im letzten Jahr intensiv mit den Verbandsgemeinden diskutiert. Einzelne Konflikte entstehen aktuell bei der Feinplanung der neuen Streckenabschnitte, gibt Halbig zu. Diese Feinplanung werde aktuell durch ein Verkehrsplanungsbüro vorgenommen. Nach Vorlage der möglichen Optionen, obliege den Kommunen die Entscheidung der Routenführung unter Abwägung der Kosten und der touristischen Attraktivität. Die nun ausstehende finale Routenführung falle somit in das Aufgabengebiet der Kommunen. Natürlich im Einklang mit weiteren Belangen. Hierbei sei eine Mitnahme der ortsansässigen Bauern- und Winzervereine im Entscheidungsprozess dringend geboten, um eine für alle tragbare Entscheidung herzustellen, schreibt Halbig auf Nachfrage von das LW.

Und weiter: Grundsätzlich gelte es bei der weiteren Umsetzung des Projekts, insbesondere bei der Nutzung von Wirtschaftswegen, die einen großen Teil des Netzes ausmachen, auf gegenseitige Rücksichtnahme hinzuwirken. Hierfür sei im Rahmen des Großprojekts eine einheitliche Sensibilisierungsmaßnahme für das touristische Netz in Rheinhessen geplant. Halbig möchte Schilder aufstellen, die auf die Arbeit der Winzer im Weinberg hinweisen und auf die Gefahr, dass diese aus den Gassen fahren. Bei den Hiwweltouren hätte man damit gute Erfahrungen gemacht, so Halbig.

Darüber hinaus sei es erklärtes Ziel der Projektbeteiligten, neben den bereits bestehenden radtouristisch genutzten Wirtschaftswegen, keine neuen Abschnitte auf Wirtschaftswege zu legen und Überschneidungen der Radwege mit wichtigen, priorisierten Wirtschaftswegen zu vermeiden. Insgesamt ermögliche das Projekt der Neuausrichtung in Rheinhessen, die Chance der Besucherlenkung, schreibt Halbig.

zep – LW 31/2020