Ist die Rückkehr der Wölfe mit der Weidewirtschaft vereinbar?

Versammlung der Kreisjagdgenossenschaft Waldeck

Die wachsende Zahl von Wolfsrudeln in Deutschland stellt vor allem die Tierhalter vor neue Anforderungen und spaltet die Gemüter. Vor dem waldeckischen Verband der Eigenjagdbesitzer und Jagdrechtsinhaber (VEJ) hielt Eckhard Fuhr aus Groß-Rohrheim im Kreis Bergstraße, Jäger sowie Journalist der Zeitung „Die Welt“, einen Vortrag über die Entwicklung der Wolfspopulationen in Deutschland.

Eckhard Fuhr hielt beim VJE Waldeck einen Vortrag über den Wolf, der zum Politikum geworden ist und eine neue Konkurrenz für Jäger und Tierhalter ist, die ihre Herden schützen müssen.

Foto: Ute Germann-Gysen

Fuhr plädiert für die konsequente Umsetzung der Wolfsmanagementpläne. Aber auch für eine sachliche Einstellung gegenüber den großen Prädatoren.

Bis Ende des 19. Jahrhunderts hatte der Mensch den Wolf in West- und Mitteleuropa weitestgehend ausgerottet und niemand trauerte dem Raubtier nach. Seitdem hat sich die Landschaft gravierend verändert. Anhaltender Flächenverbrauch drängt die Bereiche, in denen sich Flora und Fauna noch frei entfalten können, immer weiter zurück. An alarmierende Nachrichten über einen unaufhaltsamen Artenschwund haben wir uns gewöhnt.

„Artenvielfalt lautet heute das Stichwort“

Politik und Naturschützer versuchen, dem Schwund der Biodiversität entgegenzuwirken. „Artenvielfalt lautet heute das Stichwort“, sagte Fuhr. Der Schwund der Biodiversität könne nicht egal sein. Inzwischen beobachteten wir in Europa eine Rückkehr großer Prädatoren. Der Bär, der Luchs und in Skandinavien der Vielfraß breiteten sich wieder aus. Die Rückkehr der Wölfe sei nur ein besonders spektakulärer Ausschnitt aus diesem Gesamtgeschehen. Der Wolf werde umgedeutet zum „Friedensboten der Natur“ und seine Rückkehr gelte als „Zeichen, dass die Natur den Menschen verzeiht, was sie ihr angetan haben“. Das Märchen vom bösen Wolf habe Gesellschaft bekommen, durch ein Märchen vom guten Wolf.

Vor drei Jahren veröffentlichte das Wissenschaftsjournal „Science“ eine europäische Untersuchung über die Verbreitung und Populationsgrößen in Europa. Demnach lebten etwa 17 000 Individuen in 23 europäischen Ländern. Etwa 500 Wölfe gebe es inzwischen in Deutschland. Eine Grafik über deren Verteilung zeigte im Wesentlichen einen Streifen von Ostdeutschland nach Nordwest, von Sachsen und Brandenburg bis zur Nordseeküste. Zwei Paare seien in Bayern bestätigt. Fuhr rechnet damit, dass dort in wenigen Wochen Nachwuchs festgestellt wird. Das wären dann die ersten etablierten Wolfsvorkommen in Süddeutschland.

Wolf findet einen „reich gedeckten Tisch“ in Europa

Fuhr erklärte die Ausbreitung des Wolfs mit einem reich gedeckten Tisch in Europa. Der vom Menschen geformte Lebensraum biete ein Schlaraffenland für große Pflanzenfresser, die ein „historisches Populationshoch“ aufweisen. „Europa ist vollgepumpt mit Stickstoff und vollgestopft mit Schalenwild“, beschrieb Fuhr die Lebensbedingungen, die von den großen Räubern ganz selbstverständlich genutzt werden. Entgegen den Erwartungen lasse sich das Raubtier aber nicht vorwiegend in zusammenhängenden Waldschutzgebieten und Nationalparks nieder, wo es in den Kernzonen ja ausgesprochen ruhig sei – und wie wir es uns wünschen würden.

Für Gelassenheit plädierte Fuhr beim Konfliktfeld „Jagd und Wolf.“ Zurzeit stünden maximal 500 Wölfe etwa vier Mio. wilden Paarhufern gegenüber. Bei der Relation könne er sich den Wolf nicht als entscheidenden Regulator vorstellen. Über Rehwildbestände in Revieren mit Wolfspräsenz gebe es wenig wissenschaftliche Daten. Bei Drückjagden jedenfalls seien viele Rehe wieder da. Die „Halbdomestikation“ großer Schalenwildarten, vor allem von Rotwild, in Gehegen, stehe allerdings vor neuen Problemen: „Wenn der Wolf überall hin darf, kann man das Rotwild eigentlich nicht mehr in Bewirtschaftungsbezirke einsperren“.

Herdenschutzeinrichtungen werden überwunden

Der Wolf folge seiner Beute und verursache einen Zielkonflikt mit der Weidewirtschaft. Einzelne Wölfe fokussierten sich auf Weidetiere und lernten, einfache Herdenschutzeinrichtungen zu überwinden. In den vier Haupt-Wolfsländern Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Niedersachsen seien in 2016 insgesamt rund 730 Nutztiere, überwiegend Schafe, aber auch Gatterwild, gerissen worden.

Die Statistik zähle nicht bestätigte Verdachtsfälle mit. In Brandenburg sei die Polemik dieser Debatte durchaus aufgeflammt: Von 90 000 auf Weiden geborenen Kälbern seien dort maximal 20 vom Wolf ge­rissen worden, was eine übertriebene Angst vor dem „Ende der Mutterkuhhaltung“ heraufbeschworen habe. Auch ging er auf die Gefahr für den Menschen ein: Tödliche Attacken von nicht tollwütigen Wölfen habe es zuletzt in den 1950-er und 1970-er Jahren im Nordwesten Spaniens gegeben. Die Tiere lebten in der Nähe von Geflügelfarmen, seien Menschen gewöhnt und darauf konditioniert gewesen, ihn als Nahrungsquelle zu betrachten. Ein Restrisiko sei nicht auszuschließen. Zu bedenken sei andererseits, dass wir von den Afrikanern erwarteten, dass sie sich mit Löwen, Elefanten, Nilpferden und Krokodilen arrangieren.

Lebhafte Diskussion zum Thema

Hessen gilt noch als „Wolfserwartungsland“. Allerdings gab es eine bestätigte Beobachtung in Waldeck (siehe LW 18, Seite 47). Das Land Hessen ließe Geschädigte auflaufen, weil es derzeit keinerlei Entschädigung gebe, wenn ein Weidetier gerissen werde, war eine Kritik zu hören. Matthias Eckel, Geschäftsführer des VJE Frankenberg, stellte fest, die Entschädigungsregelung werde dann aktuell, sobald ein bestätigter Fall des Wolfrisses in Hessen vorliege.

Er werden die Schafzucht aufgeben, sobald der erste Wolf da sei, meinte ein Zuhörer. Dass er bisher in der Tat keine angemessene Schutzform für kleine Bestände kenne, räumte Fuhr ein. Die Aufnahme des Prädatoren in das hessische Jagdrecht, wie es in Sachsen der Fall sei, wurde von allen Zuhörern befürwortet. Die Einschränkungen im sächsischen Jagdrecht bewirkten jedoch laut Fuhr, dass eine freie Jagd auf den Wolf nicht stattfinde. Eine Bejagung durch speziell ausgebildete Fachleute auf einzelne problematische Tiere könne Fuhr sich jedoch vorstellen.

Die von einem Zuhörer prognostizierte Potenzierung der Bestände hielt der Buchautor aber für ausgeschlossen, weil der Wolf sich selbst der größte Feind sei.

Germann-Gysen  – LW 19/2017