Im Spannungsfeld von Weltmarkt und Politikabhängigkeit

Vortrag von Prof. Folkart Isermeyer beim KBV Kassel

Anlässlich seiner Mitgliederversammlung in Wolfhagen-Istha hatte der KBV Kassel den Präsidenten des Thünen-Institut Prof. Dr. Folkart Isermeyer als Referent zum Thema „Unsere Landwirtschaft im Spannungsfeld zwischen Weltmarkt und Politikabhängigkeit“ gewonnen. Nach Begrüßung durch den Vorsitzenden Erich Schaumburg und Erläuterungen zum Geschäftsbericht und der Öffentlichkeitsarbeit durch Stefanie Wittich und Geschäftsführer Reinhard Schulte-Ebbert skizzierte Isermeyer die Situation des Agrarmarkts.

Erich Schaumburg überreicht Prof. Isermeyer als Dank für seinen Vortrag einen Präsentkorb mit nordhessischen Produkten.

Foto: Hildebrandt

Dabei sehe er für die deutsche Landwirtschaft eine positive Entwicklung, die in erster Linie auf einen starken Strukturwandel zurückzuführen sei. Allerorts sei festzustellen, dass die Zahl der landwirtschaftlichen Haupterwerbsbetriebe in den Dörfern erheblich zurückgegangen sei, und diese Entwicklung weiter anhalte.

In der breiten Öffentlichkeit sehe man diese Entwicklung mit Skepsis. Obwohl man, wie Umfragen immer wieder bestätigten, die Landwirte für eine hoch respektable Berufsgruppe halte, vermute man, dass sie mit ihren modernen Produktionsweisen falschen Systemvorgaben folge. Dabei verständen die Verbraucher nicht, dass die Landwirtschaft wie viele andere Branchen auch, den Gesetzen des Marktes folgen müsse. Es sei eine Tatsache, dass die Mehrzahl der Konsumenten eine andere, mehr ökologisch ausgerichtete Landwirtschaft wünsche, bei ihrem Einkaufsverhalten aber trotzdem nach den billigsten Produkten in den Einkaufsregalen greife. „Die Menschen sind inkonsequent!“, so Isermeyer. Und alle Apelle, die ein verändertes Einkaufsverhalten forderten, liefen bei der Mehrzahl der Verbraucher ins Leere.

Billig-Wünsche führen zu Fehlinvestitionen

Das führe dazu, dass Landwirte bei Investitionsentscheidungen in eine Zwickmühle geraten können. Sollen sie ihre Produktion an den ökologischen Wünschen der Verbraucher ausrichten oder ihre Chancen im Wettbewerb des europäischen Agrarmarkts suchen? Der Referent hält keinen eindeutigen Rat bereit und gibt zu bedenken, dass die Ausrichtung auf ökologische Produktionssysteme zu höheren Stückkosten führten, die am Markt umgesetzt werden müssten. Die Entscheidung zu größeren Produktionsmengen mit sinkenden Produktionskosten könnten hingegen zu Widerständen in der Öffentlichkeit führen (Bürgerinitiativen gegen Tierhaltungen) und damit ebenfalls eine Gefahr für Fehlinvestitionen sein. Hierfür stehen nach Isermeyer die Chancen oft bei 50 zu 50. Um aus diesem Dilemma herauszukommen, diskutiert der Referent drei Beispielskonstellationen. Als ersten Themenkomplex nennt Isermeyer den Pflanzenschutz in Zusammenhang mit dem Insektensterben und Glyphosat. Das zweite Thema ist der Bereich immer größerer Maschinen mit zunehmendem Bodendruck und drittens die Frage nach den Aussichten einer zukünftigen Nutztierhaltung.

Akzeptanz-Gewinnung durch Reduktions-Strategie

Zu Glyphosphat bezieht sich der Referent auf die Einschätzung des Bundesamts für Risikobewertung wonach bei ordnungsgemäßer Anwendung des Pflanzenschutzwirkstoffs keine Gesundheitsgefahren bestehen. Hierzu seien sehr komplexe Untersuchungen und Literatursichtungen vorgenommen worden, die aus wissenschaftlicher Sicht zu keinem anderen Ergebnis führten, es sei denn, dass die Anwender völlig unsachgemäß mit dem Mittel umgegeangen seien. Trotzdem sei die Diskussion um Glyphosat so sehr vergiftet, dass der Wirkstoff durch den öffentlichen Druck wohl vom Markt verschwinden werde. Als weiteren Aspekt müsse man auch sehen, dass durch den Einsatz von Totalherbiziden ein erheblicher Eingriff in natürliche Kreisläufe erfolge. Allerdings sei zu berücksichtigen, dass durch Glyphosat eine bodenschonendere und pfluglose Bearbeitung ermöglicht wird, die bei schwierigen Böden unverzichtbar sei. Isermeyer regt an, eine Glyphosatreduktionsstrategie zu entwickeln, die einen langsamen Ausstieg zum Ziel hat und trotzdem die Möglichkeit bodenschonender Bearbeitungssysteme aufrecht erhält. Die Vermittlung von Reduktionsstrategien im chemischen Pflanzenschutz führe auch in der Öffentlichkeit zu einer besseren Akzeptanz. Bei der Pflanzenschutzproblematik brauche man dringend auch mehr wissenschaftliche Erkenntnisse zum Insektenrückgang. Auch hier stehe die Landwirtschaft am Pranger. Dennoch seien die Ursachen nicht eindeutig geklärt. Hier sei ein Biodiversitätsmonitoring mit wissenschaftlicher Begleitung in Agrarsystemen notwendig, das im Auftrag des Bundestages in den nächsten Jahren durchgeführt werden solle. Dabei sollen auch die Zusammenhänge zwischen Blühstreifen, Fruchtfolgen, dem Anteil ökologischer Landwirtschaft und der Insektenpopulationsvielfalt festgestellt werden. Anhand der Ergebnisse könne man dann weitere Strategien zusammen mit der Landwirtschaft entwickeln.

Zum Thema Bodendruck durch immer größere Maschinen verweist der Referent auf Chancen einer fortschreitenden Digitalisierung, mit deren Hilfe derzeit autonome Maschinen für die Landwirtschaft entwickelt würden. Diese sollen künftig unabhängig von menschlichen Arbeitskräften Feldarbeiten verrichten. Dabei könnten die Geräte kleiner und leichter konstruiert werden, womit Gefahren zu hohen Bodendrucks vermindert werden. Dies sei zwar noch Zukunftsmusik, aber die Landtechnik experimentiere bereits mit entsprechenden Lösungen.

Wertewandel durch wachsenden Wohlstand

Zum Themenkomplex Nutztierhaltung stellt Isermeyer fest, dass in der letzten Zeit nach Meinungsumfragen ein Wertewandel stattgefunden habe, der sich durch den wachsenden Wohlstand ergebe. Der heutige Verbraucher vertrete die Ansicht, dass es einem Tier, das durch seine Konsumwünsche sterben müsse, wenigstens zu Lebzeiten gut gegangen sein soll. Ethisch-moralisch sähen die Bürger unsere Nutztiere als Mitgeschöpfe, denen mit Verantwortung zu begegnen sei. Durch tendenziöse Berichterstattung würden viele Verbraucher verunsichert. Am Beispiel der Legehennenhaltung fordert Isermeyer die Entwicklung eines Systems, das die Nachteile der bestehenden Haltungsformen vermeide. Gleiches gelte für andere Nutztierhaltungen. Das Problem der tiergerechten Ställe bestehe allerdings darin, dass die hier entstehenden Produktionskosten nicht mit den Weltmarktpreisen konkurrieren können. Berechnungen zufolge müssten die Erzeugerpreise bei Haltungsbedingungen, die der Verbraucher akzeptiert (bei Schweinen: Strohaufstallung, mehr Platz und Ringelschwänze) um 30 Prozent steigen. Es sei eine politische Entscheidung, dies umzusetzen.

Selbstversorgung mit Fleisch droht einzubrechen

Sollte eine Vorschrift erlassen werden, die von allen Betrieben eine Nutztierhaltung nach diesem Muster fordere, müsse ein Ausgleich für die Tierhalter erfolgen oder die Tierhaltung wandere ab. Die Selbstversorgung mit Fleisch würde nach Erkenntnissen aus Schweden, wo so verfahren wurde, dann auf rund 30 Prozent zurückgehen. Soll die Tierhaltung im gleichen Umfang mit wesentlich höheren Tierwohlstandards bleiben, müssten für die Landwirte Sicherheiten geschaffen werden, die die erhöhten Produktionskosten auffangen. Der Referent könnte sich ein System ähnlich der Biogasförderung vorstellen. Dabei würde die Landwirtschaft allerdings in eine enorme Politikabhängigkeit geraten. „Wollen wir das?“, so die Frage Isermeyers, die im Anschluss eine lebhafte Diskussion unter den rund 80 Besuchern auslöste.

Dr. Ernst-August Hildebrandt – LW 14/2019