Welche Strategie ist die Richtige?
Pfälzer Gemüsebautag: Auswirkungen des Mindestlohns
Der Mindestlohn treibt alle Gemüseerzeuger um und stellt sie vor enorme Herausforderungen. Welche Strategie ist die Richtige, um die Mehrkosten aufzufangen? Auf dem Pfälzer Gemüsebautag in Mutterstadt vergangenen Freitag wurde der Fokus auf die Marktentwicklung und Rationalisierungsmöglichkeiten in den Betrieben gelegt.
Der Leiter des DLR Rheinpfalz, Dr. Günter Hoos, nannte die Einführung des Mindestlohns einen großen rahmen- und arbeitspolitischen Einschnitt, der die Gemüsebaubetriebe vor enorme Herausforderungen stellt. Staatssekretär Dr. Thomas Griese bezeichnete das Mindestlohngesetz vom Grundsatz her als von der Mitte der Gesellschaft akzeptiert. Kritische Stimmen dazu kamen von Joachim Schneider, Justitiar beim BWV Rheinland-Pfalz Süd. Er sprang kurzfristig für den erkrankten Christian Ufen ein und mahnte aus Sicht des Arbeitgeberverbandes, dass durch den Mindestlohn die arbeitsschwächeren Arbeitnehmer, die nicht die erforderliche Leistung erbringen, aus dem System fallen. Schneider erläuterte noch einmal die Auszahlungsmodalitäten des Lohns. Wenig Hoffnung konnte der Justitiar den Gemüseanbauern hinsichtlich einer Lockerung des Arbeitszeitgesetzes machen. „Wir stehen in Verhandlungen mit der Gewerkschaft, dass wir über einen Manteltarifvertrag längere Arbeitszeiten ermöglichen können. Es sieht aber nicht danach aus, dass wir Erfolg haben. Aber es ist ein gewisses Entgegenkommen von Seiten der Gewerkschaft bei der Nachtruhe erkennbar.“ Als Fortschritt wertete Schneider auch eine Senkung der Gebühren für Anträge auf eine Ausweitung der täglichen Arbeitszeit auf 12 Stunden, was nach dem Gesetz möglich ist.Preisdruck im LebensÂmitteleinzelhandel
Die Hoffnung auf bessere Preise für Gemüse im Lebensmitteleinzelhandel sind in diesem Jahr erfüllt worden. Aber nicht aufgrund der Einführung des Mindestlohns, sondern eher aufgrund des Wetters. „Die Wetterkomponente hat sich in diesem Jahr ausgewirkt. Durch die Trockenheit und die vielen Sonnenstunden war das Angebot eingeschränkt“, erklärte der Marktanalyst Michael Koch von der Agrarmarkt-Informationsgesellschaft (AMI). Er machte deutlich, dass sich der Trend, mengenmäßig weniger Gemüse einzukaufen, fortgesetzt hat.
„Allerdings sind die Verbraucherausgaben gestiegen, bei fast allen Produkten hat es in allen Monaten Preissteigerungen gegenüber 2014 gegeben“, fasste Koch die Verbraucherseite zusammen. Auch wenn in diesem Jahr die Gemüseerzeugerpreise gestiegen sind, reichen diese Preissteigerungen nicht aus, um den Mindestlohn aufzufangen. Um die Inflationsrate bereinigt, bleibe davon ohnehin nicht viel übrig, so der Analyst.
Arbeitsintensiver Anbau in der Pfalz
Wenn der Mindestlohn im Handel nicht zu Preiserhöhungen für Gemüse führt, und danach sieht es nach den Ausführungen von Michael Koch nicht aus, bleibt nur, die Produktionskosten kritisch unter die Lupe zu nehmen. „Wir haben langfristig einen Anstieg der Lohnkosten und laufen bei nahezu gleichbleibenden Erzeugerpreisen voll in die Preiskostenschere hinein“, sagte Joachim Ziegler vom DLR Rheinpfalz. Er hat zusammen mit Iris Milla, ebenfalls DLR Rheinpfalz, die Kostenstrukturen von Pfälzer Freiland-Gemüsebaubetrieben mit indirektem Absatz über eine Zeitspanne von acht Jahren im Zeitraum von 2005 bis 2012 mit Hauptaugenmerk auf die Lohnkostenentwicklung ausgewertet.
Arbeitskräfteeinsatz nach Fähigkeiten
Iris Milla stellte eine Vielzahl an Auswertungen vor, die die Leistungsfähigkeit des Pfälzer Gemüsebaus widerspiegeln. So schneiden die Betriebe hinsichtlich der Spezialkosten um 3,7 Prozent besser ab als die Betriebe im bundesweiten Vergleich. Allerdings werden nach Aussage von Iris Milla die Pfälzer Betriebe arbeitsintensiver betrieben. Die Fremdlohnquote beträgt im Mittel der Jahre 33,3 Prozent am Betriebsertrag, wohingegen sie in bundesweiten Durchschnitt mit 28,4 Prozent am Betriebsertrag deutlich geringer ausfällt. Die Pfälzer Betriebe arbeiten zudem mit einem hohen Anteil an Saison-Arbeitskräften (SAK), sie machen 91 Prozent an den gesamten Fremd-AK aus, im bundesdeutschen Vergleich sind es 81 Prozent.
„Deshalb sind die Pfälzer Betriebe von den Vorgaben des Mindestlohns besonders betroffen, sie müssen ihre Kosten genau kalkulieren“, fasste Milla zusammen. Sie wies darauf hin, dass der Mindestlohn auf Arbeitgeberbasis je nach Herkunftsland und Sozialversicherungspflichtigkeit der Arbeitskräfte unterschiedlich hoch ausfällt. Am günstigsten ist, mit einem Grundlohn von 7,40 Euro gerechnet, mit 8,66 Euro der Verrechnungssatz für eine nach deutschem Recht sozialversicherungsfreie Arbeitskraft mit Lohnsteuerkarte. Eine nach polnischem Recht versicherte Saison-AK kostet mit 10,36 Euro gleich 1,70 Euro je Stunde mehr. „Deshalb ist es wichtig, genau zu gucken, wo die verschiedenen Saisonarbeitskräfte ihren Fähigkeiten entsprechend eingesetzt werden können“, machte Milla deutlich. Das gilt in den nächsten Jahren umso mehr:
Joachim Ziegler betrachtete im Anschluss an die allgemeinen Kostenberechnungen von Iris Milla die Auswirkungen des Mindestlohns in der Praxis, indem er sie für einen Modellbetrieb mit 15 Prozent Fest-AK und 85 Prozent Fremd-AK kalkulierte.
„Durch den Mindestlohn kommt es für diesen Betrieb in den nächsten Jahren zu einem Lohnanstieg für den Arbeitgeber von 23 Prozent um 2,37 Euro“, stellte er fest. Ziegler ist davon überzeugt, dass diese Lohnkostensteigerungen allein durch Rationalisierung nicht zu stemmen sind. Folglich seien Preisanpassungen an die veränderten Bedingungen nötig, um den Fortbestand der Produktvielfalt im Pfälzer Gemüsebau zu sichern.Welche Handlungsoptionen haben Gemüsebaubetriebe, um mit dem Mindestlohn klarzukommen? Für diesen Vortrag war Dr. Hubert Renz, Gartenbauingenieur und Sachverständiger für Gartenbau und betriebswirtschaftlicher Berater für Gemüsebaubetriebe, vorgesehen. Er musste krankheitsbedingt absagen. Dr. Norbert Laun vom DLR Rheinpfalz sprang kurzfristig für Renz ein. Laun fasste die aktuellen Rahmenbedingungen kurz zusammen: der Anteil Fremdlohn am Umsatz steigt in vielen Betreiben auf Werte bis zu 50 Prozent. Die Gemüsebaubetriebe sitzen am falschen Ende der Wertschöpfungskette, seit Jahren gibt es zu Zeiten der Hauptproduktion teilweise ein massives Ãœberangebot, in dessen Folge es zu einem stetigen Preisdruck kommt.
Norbert Laun trug vor, welche Möglichkeiten Hubert Renz zur Preisgestaltung der erzeugten Produkte sieht. Zum einen sieht er Chancen in der Direktvermarktung. Doch Laun teilt die Ansicht von Renz nicht, zumindest nicht für mittlere und größere Betriebe: „Das würde für diese Gruppe von Betrieben bedeuten, dass sie 3 bis 4 t Gemüse am Tag vermarkten müssten. Außerdem ist der Wochenmarktverkauf rückläufig, ebenfalls der Verkauf in Hofläden. Das sehe ich skeptisch und würde den Betriebsleitern nicht raten, hierfür Kredite aufzunehmen.“
Direktvermarktung oder Bioanbau keine Lösung für alle
Zweiter Vorschlag: Umstellen auf Bioproduktion. „Es gibt erfolgreiche Biobetriebe“, kommentierte Laun. „Es ist sicher eine Option für kleinere Betriebe. Aber der Betriebsleiter ist mehr gefordert, es ist ein neues Anbausystem. Die Umstellung geht nicht, wenn man finanziell mit dem Rücken zur Wand steht.“
Der dritte Vorschlag von Renz, wonach die Erzeuger, durchaus auch größere, kooperieren, um die Produktion der Nachfrage anzupassen, fand schon eher Anerkennung bei Laun. „Bei Produkten wie Radieschen mit einem großen Mengen-Preis-Hebel kann das funktionieren“, so der Berater. Es komme darauf an, die Mengen zu reduzieren und damit einen besseren Preis zu erzielen. Wenn dies nicht gelingt, so die Annahme von Renz, werde es die arbeitsintensiven Kulturen in der Pfalz bald nicht mehr geben. Für Familienbetriebe ohne Betriebsnachfolger sieht Renz auch die Möglichkeit, die Flächen ganz oder teilweise zu verpachten und als Dienstleister für den Pächter zu fungieren. Familienbetriebe können aber auch die Zusammenarbeit mit anderen Betrieben suchen, um die Maschinen besser auszulasten.
Ein Punkt, der direkt die Produktionskosten beeinflussen kann, ist die Verbesserung der Erntequote. Steigt die Erntequote, wird weniger Fläche zur Produktion der gleichen Menge benötigt. „Aber dafür ist ein sehr guter Pflanzenbau erforderlich“, so Laun. Er fügte an: „Besonders wirken hohe Erntequoten bei reduzierten Anbaumengen.“ Die Pachtpreise sind nach Aussage von Renz auf einem Niveau angekommen, das betriebswirtschaftlich schwer darstellbar ist. „Die Pachtpreise sinken nur, wenn die Flächen eingeschränkt werden“, bemerkte Laun. Er ist überzeugt, dass die Produktionsseite näher zusammenarbeiten muss: „Die Mengen müssen sinken, damit die Preise steigen können“, sagte Laun. „Wir haben in der Pfalz gute Rahmenbedingungen für den Anbau von Obst und Gemüse. Welche Kulturen künftig angebaut werden, hängt auch von der Kostendeckung ab.“
ibs – LW 49/2015