Der Sturm im Wasserglas
Pflanzenschutzmittel-Einsatz löste Großalarm aus
Weil ein Hobby-Schafhalter sich über einen Landwirt beschwerte, der neben seinen Tieren einen Rapsschlag mit Pflanzenschutzmitteln behandelt hatte, rückten letzte Woche Polizei und Feuerwehr mit rund 150 Rettungskräften in Friedrichsdorf-Burgholzhausen an. Angeblich seien er sowie seine Schafe und Ziegen vergiftet worden – zwei Lämmer seien verendet. Wie die Veterinär- beziehungsweise die Pressestelle des Hochtaunuskreises am Dienstag morgen dieser Wocher gegenüber dem LW erklärte, hat der Pflanzenschutzmitteleinsatz nach vorläufigen Befund der Gießener Veterinärmedizin nichts mit dem Tod der Tiere zu tun.
Doch vergangenen Woche löste der Einsatz einen riesigen Medienrummel mit zum Teil reißerischer und sachlich falscher Berichterstattung aus. Dies veranlasste den Hessischen Bauernverband (HBV), die Vorverurteilung des Landwirtes aus einer Nachbargemeinde umgehend zurückzuweisen.Es gebe keine Hinweise darauf, dass die Pflanzenschutzmittel – eine Tankmischung aus dem Insektizid Trebon und dem fungiziden Wachstumsregler Carax – unsachgemäß eingesetzt worden seien, teilte der HBV mit. Es handele sich um eine übliche Maßnahme, die keinesfalls mit dem Tod der Lämmer in Verbindung gebracht werden könne – wie die Veterinärbehörden dann auch bestätigten.
Was war geschehen?
Am Abend des 16. April hatte ein Landwirt die oben genannte Tankmischung auf einem Rapsschlag ausgebracht, der direkt an die Fläche der Hobby-Schaf- und Ziegenhaltung von Hanibal Saad grenzt. Saad lebt mit Frau und Kind auf einem von ihm gepachteten ehemaligen Aussiedlerhof am Ortsrand.
Er ging nach eigenen Aussagen daraufhin zu den Tieren und habe festgestellt, dass es ihnen nicht gut gehe und dass zwei Lämmer tot seien. Auch er selbst habe ein Kratzen im Hals und Brennen in den Augen verspürt, weshalb er den Bewirtschafter der Nachbarflächen angerufen habe, um ihn zur Rede zu stellen. Dieser habe ihm mittgeteilt, dass dies nichts mit der Pflanzenschutzmaßnahme zu tun haben könne. Weil er sich nicht anders habe zu helfen wissen, rief der Hobby-Tierhalter, der nach eigenen Angaben in ein oder zwei Jahren eine ökologische Schaf- und Ziegenhaltung aufbauen möchte, die Polizei an.
Was wurde daraus gemacht?
Dieser Anruf führte zum Einsatz von etwa 150 Kräften der umliegenden Feuerwehren, des Kreisbrandinspektors, multifunktionaler Einheiten (ABC-Schutz), von drei Rettungswagen, des leitenden Notarztes, der Bereitschaftsärztin des Veterinäramtes sowie von Polizeibeamten der Polizeistationen Bad Homburg, Friedberg und Bad Vilbel. Dieses Aufgebot, unter anderem mit Rettungskräften in ABC-Schutz-Anzügen inklusive Atemschutz, zog eine Berichterstattung nach sich, die der HBV als „Verunglimpfung der Bauern sowie Verunsicherung von Verbrauchern und Landwirten“ kritisierte.In einer Pressemeldung der Polizeidirektion Hochtaunus hieß es am frühen Mittwoch-Morgen unter anderem: „Der Bio-Landwirt stellte während des Besprühens fest, dass zwei seiner Lämmer verstorben waren...“; „dabei wurde er offensichtlich stark kontaminiert und begab sich wegen Ãœbelkeit, Atem- und Augenbeschwerden in das Stadtklinikum Offenbach“; „zwei vor Ort eingesetzte Polizeibeamte ... klagten ebenfalls über Atem-/Augenreizungen“.
In diesem Bericht tauchen erstmals die Bezeichnungen „Bio-Landwirt“ und „Bio-Bauernhof“ auf. Dem Wochenblatt gegenüber zeigte sich Saad sehr erstaunt darüber, er habe sich nie als Bio-Bauer bezeichnet.
Schlagzeile vor Recherche
Leider wurde teilweise auch in der Presse und im Rundfunk nicht ausreichend recherchiert und allzu gerne den heute offenbar üblichen Reflexen nachgegeben: Das Bild vom durch die Agrochemie geschädigten Bio-Bauern wurde gerne aufgenommen und der Pflanzenschutzmitteleinsatz als Ursache für die toten Lämmer festgestellt – ohne auch nur eine erste Einschätzung von Experten abzuwarten. Saad wurde zwar mehrfach in Zeitungen, Radio und Fernsehen zitiert, aber nie nach seiner Betriebsform oder Tierhaltung befragt. Eine Auswahl der resultierenden Überschriften und Textbeiträge finden sich im Kasten.Vor allem der Hessische Rundfunk tat sich in der Hessenschau zur besten Sendezeit mit vorverurteilender und tendenziöser Berichterstattung hervor: Die Tiere des Bio-Bauern müssen durch das Schädlingsbekämpfungsmittel umgekommen sein und eine animierte Grafik zeigte eine enorme Wolke, die über das ganze Areal zieht, obwohl der Wind an diesem Tag leicht aus der Gegenrichtung wehte.
Fakt ist: Bisher keine Anhaltspunkte für Verstöße
Aufgrund des Verdachtes einer fahrlässigen Körperverletzung und des unsachgemäßen Umgangs mit Pflanzenschutzmitteln wurden zunächst der Traktor und die Spritze stillgelegt und der Betrieb des beschuldigten Landwirtes einer Vorort- und Cross-Compliance-Kontrolle unterzogen. Dabei wurden keine Verstöße festgestellt. Sowohl die Spritze als auch die Pflanzenschutzmittel sind zugelassen und die Tankmischung wurde in zugelassener Dosierung angesetzt.
Ob und in welchem Maße eine Abdrift auf die Nachbarfläche stattgefunden hat, muss erst noch geklärt werden. Denn die Untersuchungen der Mittel, der Spritzbrühe sowie der behandelten Fläche und der benachbarten Schafkoppel dauern zurzeit noch an.
Schon vor dem Bekanntwerden der vorläufigen Untersuchungsergebnisse der Veterinärbehörden zur Todesursache der Lämmer hatte Hanibal Saad dem Wochenblatt gegenüber eingeräumt, dass er in diesem Winter schon einige Lämmer verloren habe und daher nicht davon ausgehe, dass die Tiere durch den Pflanzenschutzmittel-Einsatz gestorben sind.
Die Lämmer sind nicht an den Pflanzenschutzmitteln gestorben
Dies wird auch durch die Einschätzung des Pflanzenschutzmittelherstellers BASF untermautert. Angesichts der starken Verdünnung der Wirkstoffe in der Spritzbrühe bei Einhaltung der genannten Anwendungsbedingungen und der mäßigen akuten Toxizität könnten solche gravierenden Folgen ausgeschlossen werden.Nach weiteren Recherchen des LW hatten sich nach ihrem Einsatz zwei Rettungskräfte und zwei Polizisten in die Hochtaunuskliniken in Bad Homburg begeben. Nach Mitteilung des Krankenhauses seien dabei leichte unbedenklichen Reizung der Schleimhäute festgesellt worden. Nach einer kurzen prophylaktischen Untersuchung seien die Personen wieder entlassen worden. Das Offenbacher Klinikum, in das sich der mutmaßlich geschädigte am Dienstag abend begab, sprach gegenüber dem LW ebenfalls nur von einer kurzen ambulanten Behandlung, bei der keine Vergiftung festgestellt wurde.
Für den beschuldigten Landwirt, der aufgrund der Vorwürfe und wegen der Polizeipräsenz nachts um eins auf seinem Hof einiges durchstehen musste, ist die Sache noch nicht erledigt. Die Ermittlungen führt jetzt die Staatsanwaltschaft Frankfurt wegen des Verdachts auf fahrlässige Körperverletzung und des Verstoßes gegen die Umweltgesetzgebung.
Schlagzeilen
Hessenschau vom 17. April: „Giftalarm: Zwei tote Lämmer, ein Bauer leidet unter Ãœbelkeit, Atembeschwerden und brennenden Augen; zwei Polizisten brechen während des Einsatzes zusammen. Und das alles, weil der Nachbar seine Rapsfelder mit Schädlingsbekämpfungsmittel besprüht hat.“
hr-online.de: Zwei Lämmer verendeten, nachdem sie mit dem Dunst aus Pestizid und Wasser in Kontakt gekommen waren.“
Frankfurter Neue Presse, 18. April: „Giftwolke löst Rätselraten aus / War es ein Unfall – oder wurden gar mit Absicht Pestizide auf einem Bio-Hof versprüht?“
Wetterauer Zeitung, 18. April: „Großalarm nach Insektizid-Einsatz / Landwirt aus Rodheim besprüht sein Feld – Lämmer von Biobauer sterben.“
FAZ (Rhein-Main) vom 18. April: „Pflanzenschutzmittel tötet Lämmer“.
Lw