Die überlebenden Junghasen bestimmen die Besatzgröße

Feldhase ist auch in der heutigen Kulturlandschaft noch zu retten

Seit acht Jahren befinden sich die Besätze des Feldhasen im Sinkflug. Wer ihm helfen will, muss wissen, was er liebt und was er braucht. Dr. Thomas Gehle fasst die Bedürfnisse von Meister Lampe zusammen.

Der Feldhase kommt mit der heutigen Kulturlandschaft zurecht, sagen Experten.

Foto: Michael Breuer

Den großen Rodungsperioden in Europa verdanken wir die Artenvielfalt in der Agrarlandschaft. Bereits mit dem Ende des Mittelalters, also etwa nach dem Jahr 1300, war diejenige Wald-Feld-Verteilung erreicht, die das Landschaftsbild heute noch prägt. Ursprüng-lich Steppentier des Nahen Ostens und Südosteuropas, ging es dem Feldhasen zu der Zeit der kleinbäuerlichen Landwirtschaft am besten. Angesichts des europaweiten Rückgangs Ende der 1970er Jahre, von dem er sich nicht wieder völlig erholen konnte, wird erst die Zukunft zeigen, ob der einstige Profiteur der Landwirtschaft zu ihrem Opfer wird, oder ob wir es schaffen, dem Hasen zu helfen.

Höchste Dichten auf Ackerland, nicht auf Grünland

Mit einer geringen Dichte von etwa ein bis zwei Tieren pro 100 ha kommt der Feldhase zwar auch im Wald vor, doch ist er – ähnlich dem Feldhamster, der Feldlerche oder dem Rebhuhn – nicht nur eine der Charakterarten unserer Agrarlandschaft schlechthin, sondern wohl auch eines der bekanntesten Wildtiere überhaupt. Seine höchsten Dichten erreicht er auf Ackerland, nicht auf Grünland. Mehrjährige, systematische Habitatvergleiche zwischen Acker- und Grünland im Nordwestdeutschen Tiefland zeigten, dass er auf Ackerland sehr sensibel auf den Verlust von Offen­landstrukturen zu reagieren scheint, während die Hasendichten auf Grünland nahezu völlig entkoppelt von der Vielfalt der Wiesen, Weiden und ihren Saum- und Randhabitaten variieren. Im Winter finden sich Hasen bevorzugt auf den eher struktur- und artenarmen Wiesen ein, nicht aber auf dem vom Vieh geprägten Weideland. Kein anderes Wildtier vereinigt so viele Krankheiten auf sich wie der Feldhase. Von Bedeutung sind nach wie vor bakterielle und virale Infektionen wie Kokzidiose, Pseudotuberkulose (Yersiniose), Pasteurellose („Hasenseuche“), EBHS (European Brown Hare Syndrome), Staphylomykose, aber auch der Befall mit Magen- und Dünndarmwürmern. Welche dieser Erkrankungen wann, wo und mit welchem Einfluss auf die Gesamtsterblichkeit auftritt, kann man nicht vorhersagen. Neben den Krankheiten tragen vor allem die Beutegreifer zur Gesamtsterblichkeit bei. Zudem sind kranke Hasen eine leichte Beute. Aus der Jagdkunde ist bekannt, dass gute Herbstdichten möglich sind, wenn nur wenige Beutegreifer da sind.

Zweidrittel des Jahresbesatzes bestehen aus Junghasen

Auch das Kleinklima vor Ort (Niederschläge, Lufttemperaturen) bestimmt Krankheitsverläufe mit. Zwischen 60 und 90 Prozent beträgt die Verlustrate der gesetzten Junghasen im ersten Jahr. Und da in der Regel über Zweidrittel eines Jahresbesatzes aus Junghasen bestehen, bestimmen allein die überlebenden Junghasen die Besatzgröße. Doch selbst bei hoher Sterblichkeit kann der Besatz zunehmen. Ein Hase „bewohnt“ etwa 40 ha Fläche. Mal lebt er allein, mal in Gruppen. Sieht ein Hase einen anderen, steigt die Neigung, sich zu ihm zu gesellen. Gruppen entstehen so kurzfristig bei der Nahrungsaufnahme oder zur Paarung. Erst 2008 wurde geklärt, dass Häsinnen wieder trächtig werden können, obwohl sie noch trächtig sind. Im Frühjahr auch tagaktiv, werden Hasen gewöhnlich erst eine Stunde nach Sonnenuntergang mobil. In Ruhezeiten liegen sie in der Sasse. Dies dient der Feindvermeidung, ebenso wie das nächtliche Säugen der Jungen von nur wenigen Minuten. Junghasen sind Nestflüchter und an deckungsfreies Offenland angepasst. Sie sind sogar in der Lage, Umgebungskälte mit erhöhter Wärmeproduktion auszugleichen. Doch dazu brauchen die Jungen qualitativ hochwertige Milch. Vermutet wird, dass fettreiche Pflanzenteile wie die Früchte des Klatschmohns der Häsin helfen, Milch mit ausreichend hohem Fettgehalt von über 20 Prozent zu produzieren. Welche Rolle dabei die viel zitierte Hasenapotheke spielt, ist unklar. Doch gibt es Hinweise darauf, dass ganz allgemein krankes oder verletztes Wild zielsicher diejenigen Pflanzen aufsucht, die einen möglichen Heilungsprozess fördern. Man denke etwa an die Wilde Möhre, deren ätherische Öle unter anderem wurmtreibende Wirkung haben. Zwar umfasst die bisher bekannte Nahrungspalette über 100 verschiedene Gräser, krautige Pflanzen, Sträucher und Gehölze, doch die Hauptnahrungsmenge besteht nur aus wenigen Arten, und dies sind vor allem Kulturpflanzen.

Was dem Hasen im Offenland fehlt, sind optimierte Nahrungs- und Deckungshabitate. Die Grundidee dabei ist, ein Strukturmosaik zu schaffen, welches zugleich ein Sichern vor Feinden ermöglicht. Denn Hasen sind Fluchttiere. Sie mögen freie Sicht, um Feinde rechtzeitig erkennen zu können. Sie drücken sich gern in der Sasse, dem Ruheort, von dem aus sie Ausschau halten. Die unmittelbare Umgebung der Sasse ist in der Regel deckungsfrei, sie findet sich nicht selten auf Schwarzbrachen. Um diesem Grundbedürfnis nach Sicherheit Rechnung zu tragen, werden zwischen den Ansaatflächen entweder Schwarzbrachestreifen oder Streifen mit niedriger Vegetation gehalten. Im Sinne einer „Wegesimulation“ kann sich der Hase dann nach Taunächten auf diesen Streifen morgens trocken laufen.

Dreiklang aus Lebensraum, Beuteschutz und moderater Jagd

Auf der Suche nach Beute nehmen aber auch Fuchs, Krähe oder Habicht diese Streifen bevorzugt an (Räuberfalle). Sie werden jedoch von weitem erkannt. Kommen sie aus der angrenzenden Deckungsfläche, werden sie frühzeitig vernommen. Obwohl bisher gar nicht systematisch untersucht, wird zur Niederwildhege oft gefordert, derartige Refugial-, Saum und Randhabitate sollten einen Flächenanteil zwischen fünf bis zehn Prozent der Of­fenlandfläche ausmachen, sonst zeigten sich keine positiven Effekte. Da aber der Feldhase das Offenland insgesamt besiedelt, braucht die Frage, wie viele Flächen an welchen Stellen angelegt werden sollten, nicht im Vordergrund zu stehen. Für eine über Jahre stabile Tierdichte ist vielmehr ein harmonisch aufeinander abgestimmter Dreiklang aus Lebensraumverbesserung, intensiver Beutegreiferbejagung (vor allem Rabenkrähe und Fuchs) und einer schonenden Bejagung der Hasen selbst entscheidend. Deshalb nimmt in so betreuten Hasenrevieren der Besatz nicht ab. Bereits 1849 wies der damalige Niederwildfachmann Carl Emil Diezel in seinem Standardwerk „Diezels Niederjagd“ darauf hin, vom Herbstbesatz „derart Gebrauch zu machen, dass man sagt, es ist ein Drittel der Zahl von Hasen übrig zu lassen, die man am nächsten Tage zu erlegen rechnet.“ Diese Grundregel, nicht mehr als ein Drittel der Herbstpopulation zu nutzen, konnte über fünf aufeinanderfolgende Jahre (2001 bis 2006) auf 14 000 ha Offenland mit Hilfe von rund 650 Feldhasentaxationen bestätigt werden. Vergleichende Taxationen in der Schweiz zeigten zudem in den 1990er Jahren, dass sich „Kantone ohne Feldhasenjagd bezüglich der Hasendichte und Bestandsentwicklung nicht von anderen Kantonen“ unterschieden. Moderate Bejagung hat eher positive Effekte auf die Reproduktion.

Tipps für den praktischen Jagdbetrieb

Für den praktischen Jagdbetrieb ergeben sich daraus drei goldene Regeln. Erstens: Ein bis zwei Wochen vor der geplanten Jagd ist der Herbstbesatz mit dem Scheinwerfer zu taxieren. Zweitens: Beim Einsatz aller Jagdarten wie Streife, Vorstehtreiben oder Kesseltreiben darf nicht mehr als ein Drittel des erfassten Herbstbesatzes erlegt werden. Und Drittens sollten die Revierteile nur ein Mal pro Saison bejagt werden.

 – LW 30/2017