In Wehrheim kehrt nach fast 20 Jahren die Zuckerrübe zurück
Logistische Meisterleistung beim Abtransport
Jetzt ist Erntezeit fürs süße Gold. Erstmals seit fast 20 Jahren wurden im Hintertaunus wieder Zuckerrüben angebaut, die der Wehrheimer Landwirt Timo Emmerich kürzlich gerodet hat. Am vorvergangenen Samstag wurden die auf einer Miete am Feldrand aufgetürmten und zwischengelagerten Feldfrüchte zur Zuckerfabrik nach Offstein abtransportiert.

Foto: Pieren
Gerade ist er mit Backblechen von einem Wehrheimer Bäcker zurückgekehrt. Seine Frau Melanie hatte umgehend auf der Heck-Ladefläche eines Pickups den mitgebrachten Streuselkuchen und Kaffee in Thermoskannen hergerichtet.
Schließlich galt es an diesem Tage, all die Helfer zu verköstigen und zu stärken, die am Abtransport beteiligt waren. Und das waren richtig viele. „Es sind rund 20 Fahrer mit ihren Transport-Sattelschleppern der Lade- und Transport-Gemeinschaft Wetterau West am Transport in die Zuckerfabrik nach Offstein beteiligt“, erklärt Emmerich. „Die sollen doch alle etwas zur Stärkung bekommen.“
Transport der Rüben zum Südzucker-Werk Offstein
Jeder Lkw startete nach der Beladung im Taunus auf die rund 120 km bis zum Südzucker-Werk im Landkreis Alzey-Worms. Dort hieß es erst einmal Schlange stehen bis zum Abladen. Dann kehrten die Kraftfahrer nach etwa vier Stunden mit ihren Trucks wieder in Wehrheim zurück, um erneut eine Ladung aufzunehmen.
Früher waren die Transportfahrten für die Taunus-Rüben nicht so weit. Bis 1982 wurde in der Zuckerfabrik Wetterau in Friedberg noch Zucker raffiniert. Das Südzucker-Werk in Groß-Gerau wurde 2007 dicht gemacht. Nun ist Offstein das nächstgelegene Südzucker-Werk. Jährlich werden dort 300 000 bis 360 000 Tonnen von etwa 1 400 Landwirten geerntete Rüben zu Zucker raffiniert.
Vor gut einer Woche rückte bei Emmerichs eine imposante Vollerntemaschine an. Dank ausgefeilter Technik wurden die Rüben in einer Maschinenüberfahrt aus dem Boden gezogen, automatisch von Stil und Runken befreit, über Ernte- und Schneidwerk, Rüttelsieb, Transportbändern und Walzen für die Verarbeitung in der Zuckerfabrik noch im Fahrzeug aufbereitet.
Nach wenigen Minuten war der Laderaum der Rodemaschine mit gut einem Dutzend Tonnen komplett voll. Der Roder lud anschließend die Zuckerrüben auf drei Halden am Wegesrand ab, wo die „Königinnen der Feldfrüchte“ über eine Woche lang zwischengelagert wurden.
Am Samstag schließlich rückte die MAUS an, wie Fahrer Heinz Koch das beeindruckende Mieten-Auflade- und Umlade-System“ liebevoll nennt. „So eine Maschine kostet etwa 600 000 Euro“, sagt Koch, der während der Erntezeit der Zuckerrüben für die LTG Wetterau West pro Woche drei MAUS- und zwei Lkw-Schichten fährt.
Das Anbaugebiet Wetterau ist in vier Regionen eingeteilt. Emmerich und andere Rüben-Bauer aus dem Landkreis Limburg-Weilburg sind der LTG Wetterau West zugeordnet. Wie Dutzende andere Ernte- und Abfuhrgesellschaften sind auch die Teams aus dem Nachbar-Landkreis in einen, ganz Süddeutschland umfassenden Produktionsplan eingebunden.
„Der Einsatzplan orientiert sich nach den Vorgaben von Südzucker. Die Produktion läuft in allen Werken während der Kampagne rund um die Uhr, weil diese ausgelastet sein müssen“, erklärt Koch. „Auch für das Werk in Offstein gibt es von September bis zum Ende der Kampagne am 12. Januar eine klare Anfahrtsfolge der Transporte.“
Entsprechend sind auch die Transportkolonnen rund um die Uhr im Einsatz, weil die Fabriken unentwegt gefüttert werden müssen. Die Wetterauer Lkw fahren ebenso fast pausenlos. Zwischenzeitlich sind lediglich Stopps mit Schlüsselübergaben an vereinbarten Autobahn-Raststätten eingeplant. Dann wird das Lenkrad zum Schichtwechsel an andere Fahrer übergeben.
„Der Zuckermarkt ist seit einigen Jahren leergefegt. Südzucker wirbt unter Landwirten, dass sie den Rübenanbau mit einplanen, weil weltweit Zuckerknappheit herrscht“, benennt Timo Emmerich den Grund, warum er erstmals seit zwei Jahrzehnten auch im Hintertaunus wieder Zuckerrüben angebaut hat.
Matthias Pieren – LW 43/2023