Von der Wissenschafts- zur Glaubensgesellschaft

24. Landwirtschaftliche Fachtagung Nassauer Land

Glaubt man den Medien, steht unsere Gesundheit ständig auf dem Spiel. Sei es die Gefahr durch Pflanzenschutzmittelrückstände in Nahrungsmitteln, die Feinstaub-Belastung in Städten oder das Glyphosat in Bier und Muttermilch. Doch wie relevant sind diese tatsächlich? Dies war nur eine Frage, die auf der landwirtschaftlichen Fachtagung des VLF Nassauer Land diskutiert wurde. Zu dieser begrüßte VLF-Vorsitzender Jürgen Dexheimer die Teilnehmer am Mittwoch vergangener Woche in Idstein.

Die Akteure der Veranstaltung v.l.: Dr. Norbert U. Haase, MRI, HBV-Vizepräsident Thomas Kunz, Dr. Christina Well, VHD, Jürgen Dexheimer, Vorsitzender VLF Hessen, Dr. Mark Lohmann, BfR, Werner Born, VLF Hof Geisberg-Wiesbaden, Dr. Gerald Thalheim, Staatssekretär a. D., und die Milchkönigin Laura I.

Foto: Krämer

Zu Beginn zeigte HBV-Vizepräsident Thomas Kunz, der die Tagung moderierte, auf, wie heutzutage nach seiner Einschätzung politische Entscheidungen entstehen. Früher seien die Entscheidungen vorrangig nach wissenschaftlichen Vorgaben gefällt worden. „Heute hat man das Gefühl, dass die Politik durch Stimmungen der Gesellschaft zum Entscheiden gedrängt wird“, sagte Kunz. Trotz einer immer höheren Lebenserwartung und einem hohen Gesundheitslevel gebe es große Ängste in Bezug auf die eigene Gesundheit. Staatlichen Instituten, die zahlreiche Untersuchungen zur Risikobewertung durchführen, werde wenig Glauben geschenkt.

Bevölkerung über Risiken aufklären

Dies bestätigte Dr. Mark Lohmann vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin, der einen Vortrag zum Thema „Lebensmittelsicherheit: Wahrnehmung gegen Wirklichkeit“ hielt. Das BfR hat den gesetzlichen Auftrag, die Bevölkerung über wissenschaftlich nachgewiesene Risiken, die Lebensmittel, Stoffe und Produkte für den Verbraucher bergen können, aufzuklären. Dies müsse transparent geschehen, da das Institut eine Kommunikationspflicht hätte, so der Referent. Durch eine umfassende und nachvollziehbare Risikokommunikation will das BfR Wissenschaft für den Verbraucher sichtbar und nutzbar machen. „Wir wollen die Risikomündigkeit verbessern, jeder muss seine Risikoentscheidung aber selbst treffen“, sagte Lohmann.

Zur realistischen Risikoabschätzung werde zunächst untersucht, was die möglicherweise gefährdende Substanz überhaupt anrichten kann. Dann wird herausgefunden, welche Dosis oder Konzentration vorhanden sein muss, um eine Wirkung zu haben. Anschließend schätzt man die Exposition ab, also die Menge, mit der man überhaupt in Kontakt kommen kann. Dazu gehören Angaben zum Verhalten der Personen (beispielsweise Kontaktzeit) ebenso wie persönliche Konstellationen (Größe, Gewicht, Alter). Aus allen Faktoren wird dann eine quantitative Charakterisierung des gesundheitlichen Risikos abgeleitet.

Nachrichten brauchen Panikpotenzial

Werden in Lebensmitteln gesundheitsgefährdende Stoffe gefunden, werden vor allem die Nachrichten mit hohem Panikpotenzial in den Medien veröffentlicht, sagte Lohmann. Die Fragen, wie viel gefunden wurde und wie gefährlich dieser ist, blieben meist unbeantwortet. Dass beispielsweise Glyphosat in Bier nachgewiesen wurde, hat die Bevölkerung zutiefst beunruhigt. Dass für eine Gefährdung etwa 1 000 Liter pro Tag ein Leben lang getrunken werden müsste und dass der enthaltene Alkohol komplett unberücksichtigt blieb, war den meisten Menschen nicht bewusst oder egal. Spätestens als dann 2015 auch noch Glyphosat in Muttermilch nachgewiesen wurde, hatte das Pflanzenschutzmittel seinen Ruf weg. Auch hier müsste man 4 000 Liter Muttermilch pro Tag trinken, um seine Gesundheit zu gefährden, so der Referent. Zusätzlich sei die Untersuchung mit einer Methode durchgeführt worden, die nur für wasserlösliche Stoffe praktikabel ist ab Werten von 0,75 ng/ml. Bei Muttermilch handele es sich jedoch um eine Fettemulsion, zusätzlich lag der gemessene Glyphosatwert bei maximal 0,43 ng/ml. Damit handelte es sich um eine Falschmeldung, die die Medien aber meist nicht revidieren, so Lohmann.

Dass Grenzwerte nicht die Grenze zwischen Leben und Tod sind, wie Verbraucher oft denken, machte der Referent deutlich. Bei der Festlegung des Grenzwertes werde die Menge eines Stoffes ermittelt, bei der keinerlei Schadeffekte bei Versuchstieren beobachtet werden können. Dies ist der sogenannte No Observed Adverse Effect Level (NOAEL). Dieser Wert wird dann zur Sicherheit noch durch einen Sicherheitsfaktor geteilt, der meist bei 100 liegt. „So ist gewährleistet, dass auch besonders empfindliche Personen geschützt sind“, sagte Lohmann.

Das BfR führt außerdem regelmäßig Verbraucherumfragen durch, um zu sehen, was die Menschen beunruhigt. Ganz weit vorne steht dabei die Angst vor Pflanzenschutzmittelrückständen in Lebensmitteln, Antibiotikaresistenzen oder gentechnisch veränderten Lebensmitteln. Die eigene Küchenhygiene beispielsweise werde total unterschätzt und nur von sehr wenigen Personen als Gefahr angegeben. Die Risikowahrnehmung hängt dabei von vielen psychologischen Faktoren ab, wie der Referent erläuterte. Ein Beispiel dazu sei der „Mythos der Natur“. „Natürlich“ bedeute für die Menschen Sicherheit, das Krebsrisiko natürlicher Karzinogene werde beispielsweise viel stärker unterschätzt, das Krebsrisiko von Pestiziden dafür überschätzt.

Risikowahrnehmung sehr subjektiv

Insgesamt hält der Referent eine faktenbasierte Risikokommunikation für schwierig, gerade im Hinblick auf Social Media. Falschmeldungen spielten eine große Rolle, Korrekturen seien dabei nur schwer möglich. Außerdem sei die Risikowahrnehmung auch subjektiv abhängig. Doch wie kann das BfR Einfluss auf das Image der Landwirtschaft nehmen? „Das können wir nicht alleine“, sagte Lohmann, „wir liefern nur die wissenschaftlichen Fakten und machen einen Vorschlag. Wir müssen mit den Interessengruppen zusammenarbeiten, um einen direkten Kontakt zur Bevölkerung und damit einen größeren Einfluss zu haben.“ Auch Kunz machte deutlich: „Die Gesellschaft hat sich von einer Wissenschafts- in eine Glaubensgesellschaft verwandelt.“

„Wenn Angst den Verbraucher umtreibt, müssten regionale Produkte uns ja aus den Händen gerissen werden“, leitete Kunz zum nächsten Thema über. Dr. Christina Well, Geschäftsführerin der Vereinigung Hessischer Direktvermarkter (VHD), berichtete von der Marke Landmarkt. Dabei vermarkten Landwirte ihre Produkte in Rewe-Märkten. „Dass Landmarkt eine solche Erfolgsstory schreibt, liegt daran, dass die regionalen Produkte zum Verbraucher in den Supermarkt kommen und dieser nicht erst noch auf den Hof fahren muss“, sagte Kunz. Landmarkt habe sich in den letzten Jahren sehr gut entwickelt, insgesamt werden über 4 000 Produkte in Rewe-Märkten angeboten. Etwa 140 Betriebe in Hessen beliefern 300 Märkte bei durchschnittlich 20 Lieferanten pro Markt. In den letzten Jahren kamen jährlich etwa 25 Märkte hinzu, bei der Umsatzentwicklung ist das Wachstum mittlerweile nicht mehr so groß, da fast alle Märkte ausgestattet sind. „Um die Umsätze zu sichern, werden wir jetzt die Präsentation verbessern“, sagte Well. Dazu werden beispielsweise Verkostungen der Produkte in den Rewe-Märkten angeboten oder Verkaufsstände außerhalb des Marktes aufgebaut.

Landmarkt verzichtet bei seinen Produkten auf jegliche Labels zum Tierwohl, zur Verpackung oder „Frei von...“. Intern gebe es kontroverse Diskussionen dazu, ob es Kriterien geben sollte. Der Tenor der Zuhörer in Idstein machte aber deutlich, dass dies nicht nötig oder gewollt sei. Auch die Frage, ob man „regional“ mit Kilometergrenzen festlegen sollte, beantwortete die Referentin mit: „Für uns ist regional die Region Hessen.“ Mehr zum Konzept Landmarkt auf der LW-Website unter www.lw-heute.de unter dem Suchbegriff „Landmarkt“.

Einfluss einer N-Düngung auf Backqualität von Weizen

Die Herausforderungen bei der Produktion von Qualitätsgetreide werden gerade im Hinblick auf die neue Düngeverordnung nicht kleiner. Der Eiweißgehalt wird schwieriger zu erreichen sein als bisher, wie Kunz betonte. Dr. Norbert U. Haase ging in seinem Vortrag auf Sicherheits- und Qualitätsaspekte bei Brotgetreide und Kartoffeln entlang der Produktionskette ein.

Er stellte beispielsweise einen Demonstrationsversuch an der TU München vor. In diesem wurde untersucht, welchen Einfluss eine Steigerung der Stickstoffdüngung auf die Backqualität des Weizens hat. Dazu wurden zwei Winterweizensorten angebaut und in Stufen von 0 bis 420 kg N/ha gedüngt. Die Erträge variierten deutlich. So erreichte die Sorte Rumor einen Maximalertrag von 87 dt/ha, die Sorte Discus einen Ertrag von 71 dt/ha. Mit zunehmender N-Düngung stieg erwartungsgemäß der Rohproteingehalt beider Sorten an. Die Sorte Discus zeigte dabei über alle Stufen der Düngung hinweg einen höheren Rohproteingehalt als die Sorte Rumor. Ein Backversuch führte erst im oberen Bereich der Stickstoffzufuhr zu signifikant höheren Backqualitäten bei beiden Sorten. Eine hohe N-Düngung sicherte damit einen hohen Rohproteingehalt und damit eine hohe Backqualität. Doch auch mit niedrigerem Rohproteingehalt konnten diese teilweise erreicht werden.

Vor dem Hintergrund der novellierten DüngeVO zeigte sich, dass auch mit einem Eiweißgehalt von 10,5 Prozent Brot gebacken werden kann. Aktuell werde jedoch am Markt nur ein hoher Eiweißgehalt bezahlt. Aufgrund der vorhandenen Sortenunterschiede hinsichtlich der Rohproteingehalte komme damit in Zukunft der Sortenwahl eine noch größere Bedeutung zu, so Haase.

Trotz der Trockenheit in diesem Jahr seien die Eiweißgehalte und -qualitäten im Getreide überraschenderweise nicht viel schlechter als im Vorjahr, wie Haase sagte. Auch Mykotoxine kämen in diesem Jahr nicht vor.

Verbraucher wollen den Namen der Kartoffel kennen

Zum Kartoffelmarkt stellte Haase eher negative Zahlen vor, der Kartoffelkonsum sinke seit einigen Jahren, es würden immer weniger der Knollen in Deutschland angebaut. Pro Kopf werden etwa 60 kg und Jahr verzehrt, 50 Prozent dabei als veredelte Produkte wie Pommes, Chips und Kroketten. Obwohl es etwa 150 Sorten gebe, würden nur etwa 20 davon in größerem Umfang angebaut, sagte Haase. „Die Verbraucher wollen den Namen der Kartoffeln kennen, die sie kaufen“, so der Referent. Neben der relativ langen Zubereitungszeit machte er auch die schwierige Lagerung der Kartoffel für den sinkenden Konsum verantwortlich. Im Anbau sei die Schwarzfleckigkeit ein großes Problem, die Kaliumdüngung habe darauf einen großen Einfluss, wie er darstellte. Weitere Herausforderungen im Anbau liegen in einer verkürzten Keimruhe durch hohe Temperaturen, der physiologischen Reife bei der Rodung und Beschädigungen der Knolle.

Entwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik

Der ehemalige Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium Dr. Gerald Thalheim (von 1998 bis 2005, zunächst unter Karl Heinz Funke und dann unter der Grünen-Politikerin Renate Künast), zeigte die Entwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik auf, die im Jahre 1962 begann. Grundlegend geändert wurde sie mit der Mac-Sharry-Reform im Jahr 1992. Hintergrund war die Uruguayrunde der Welthandelsorganisation, mit der auch Agrarprodukte den Regeln des internationalen Warenhandels unterworfen wurden. Deshalb wurden Preisstützung und Regulierung der Agrarmärkte Schritt für Schritt aufgegeben. Im Gegenzug bekommen die Landwirte Direktzahlung, die seit 2005 grundsätzlich von der Produktion entkoppelt sind.

Bei der GAP von 2013 bis 2020 war das Greening eine wichtige Neuerung. Das System der GAP hat wie Thalheim darstellte, auf der einen Seite Abhängigkeiten und Besitzansprüche der Landwirte und auf der anderen Seite wachsende Forderungen der Gesellschaft geschaffen. Damit ist die GAP insgesamt teuer und überfrachtet. Zu diesem Spannungsfeld kommen durch den Brexit und durch zusätzliche Aufgaben Mindereinnahmen beziehungsweise Mehrausgaben. Dies führt zu einer Finanzierungslücke der EU, die sich auf den Agrarhaushalt auswirken kann. Mit der sogenannten Konditionalität, die die Kommission in ihrem Vorschlag zur GAP ab 2020 nennt, werden die Anforderungen an der Einhaltung von Umweltstandards für die Erlangung der Gelder aus der ersten Säule nochmals erhöht. Wesentliches Merkmal bei den Vorschlägen sind außerdem mehr Flexibilität der Mitgliedstaaten in der Ausgestaltung der GAP.

jk – LW 49/2018