Der Zwang zum Wachstum zwingt zum Strukturwandel

Flächenausstattung und Schlaggröße oft begrenzende Faktoren

Der mächtige Anpassungsdruck, dem die Landwirtschaft in unserer dynamischen Wirtschaft ausgesetzt ist, erfordert einen permanenten Konkurrenzkampf der landwirtschaftlichen Unternehmen um Märkte und Produktionsanteile. Kostenbewusste Produktion von Standardprodukten und/oder Erzeugung von Spezialprodukten mit dem Absatz über spezielle Vertriebswege sind Entwicklungspfade, um Höfe auch für die Zukunft erhalten zu können. Dr. Günther Lißmann, Dezernatsleiter Landwirtschaft im Regierungspräsidium Kassel, erläutert Zusammenhänge und Tendenzen.

Die technischen Fortschritte bei der Mechanisierung der Außen- und Innenwirtschaft sowie im Stallbau sind die Taktgeber für eine sich stetig zu größeren Einheiten verändernde Agrarstruktur.

Foto: Moennig

Landwirte in Hessen konkurrieren um die Kaufkraft der Verbraucher, nicht nur mit ihren hessischen Berufskollegen, sondern mit allen Landwirten in Deutschland, in Europa und inzwischen auch mit der ganzen Weltagrarwirtschaft. Spätestens seit der Agenda 2000 und der schrittweise Liberalisierung der Agrarmärkte, ist jedem Landwirt klar geworden, dass seine nachhaltige betriebliche Existenzfähig­keit von den Weltmarktpreisen für Agrarprodukte maß­­gebend mitbestimmt wird.

Produktivität und Wachstum

Die konsequente Nutzung des technischen, biologischen sowie organisatorischen Fortschritts zur Produktivitätssteigerung und der damit verbundene Zwang zum Unternehmenswachstum wird, wie in der Vergangenheit auch in Zukunft, die einzige Strategie zur Sicherung der betrieblichen Existenz sein. Dabei ist es unerheblich ob das Wachstum über die kostengünstige Mengenproduktion von Standardprodukten (Kostenführerschaft) oder über die Eroberung von speziellen Märkten mit neuen Produkten und Vertriebswegen (Produktführerschaft) realisiert wird. Wichtig ist das Er­gebnis. Die Multiplikation von erzieltem Umsatz mit der betriebsindividuellen Umsatzrentabilität muss ein Gewinn bringen, der im langfristigen Durchschnitt Lebenshaltungskosten und sonstige Privatentnahmen für die Unternehmerfamilie sowie die Nettoinvestitionen für eine nachhaltige Unternehmensentwicklung garantiert.

Wandel in der Agrarstruktur

Angemessene Einkommen in der Landwirtschaft können bei real sinkenden Produktpreisen, ausgelöst durch Liberalisierung der Weltagrarmärkte und steigende Produktivität, nur durch quantitative und/oder qualitative Mehrproduktion erwirtschaftet werden. Die sich daraus ergebenden einzelbetrieblichen Entschei­dungen zur Rationalisierung und zum Unter­neh­menswachstum sind die Schlüssel zur Erhaltung des landwirtschaftlichen Unternehmens als dauerhafte Einkommensquelle. Der Agrarstrukturwandel in den vergangenen 60 Jahren ist mit nichts besser beschrieben als mit dem Schlagwort „Wachsen oder Weichen“. Die Ãœbersicht „Agrarstrukturelle Entwicklung seit 1950 in Hessen“ belegt diese Zusammenhänge für Hessen seit dem Jahre 1950. Rückgang der Anzahl Betriebe von rund 160 000 im Jahre 1950 auf heute rund 20 000 Betriebe.

Hohe Konkurrenz um die Flächen

Die Flächenausstattung der Haupterwerbsbetriebe entwickelte sich von durchschnittlich 9,5 ha im Jahre 1950 auf heute rund 100 ha LF. Die enorm gestiegene Produktivität durch den Einsatz arbeitssparender Maschinen und baulicher Anlagen wird daran deutlich, dass im Jahre 1950 pro 100 ha etwa 36 Arbeitskräfte (AK) tätig waren und heute nur noch rund 2 AK. Ein weiteres Indiz für die in den 50er Jahren nicht für möglich gehaltene Produktivitätssteigerung ist, dass heute 150 Menschen von einer AK in der Landwirtschaft ernährt werden. Im Jahre 1950 dagegen konnte ein Landwirt die Nahrung für nur 10 Menschen produzieren. Unternehmenswachstum ist fast immer an ein Wachstum der landwirtschaftlich genutzten Fläche (LF) gebunden. Da LF nicht vermehrbar ist, bedeutet Wachstum des einen Betriebs immer auch die Abstockung oder Aufgabe eines anderen Betriebs. Der massive Rückgang der landwirtschaftlichen Betriebe seit den 50er Jahren belegt diese logische Konsequenz (siehe Ãœbersicht unten). Trotz der starken Ab­wanderung aus der Landwirtschaft hat sich der Konkurrenzkampf um die verbleibende LF ste­tig vergrößert. Verschärft wird diese Flächenkonkurrenz zusätzlich, insbesondere in den dicht besiedelten Bundesländern wie beispielsweise Hessen, um die nicht landwirtschaftliche Flächen­nachfrage für Siedlungs- und Verkehrsmaßnahmen sowie Aufforstungs-, Kompensations- und Naturschutzmaßnahmen. Diese nicht landwirtschaftliche Flächennachfrage hat der Landwirtschaft in Hessen seit 1950 20 Pro­zent der LF entzogen. Das sind insgesamt rund 200 000 ha LF, die demzufolge der hessischen Landwirtschaft seit 1950 nicht mehr für die Produktion von Nahrungsgütern und nachwachsenden Rohstoffen zur Verfügung stehen. Bundesweit liegt der vergleichbare Flächenverlust bei rund 3 000 000 ha LF, was einem Anteil von 15 Prozent der ursprünglichen LF in Deutschland entspricht. Das stetige, durch immer neuen technischen Fortschritt ausgelöste Unternehmenswachstum einerseits und der erhebliche Verbrauch an LF für nicht landwirtschaftliche Nut­zungen andererseits, sind bei nicht vermehrbarer LF die Ursa­che dafür, dass in Hessen im Durchschnitt der vergangenen 60 Jahre, jährlich 3 Prozent der Höfe die Landwirtschaft aufgegeben haben.

Wie die Kosten senken?

Agrarstrukturelle Entwicklung seit 1950 in Hessen.

© Ließmann

Größere Maschinen, größere Ställe und Flächenausstattungen mit größeren Schlägen in den landwirtschaftlichen Unternehmen sind kein Selbstzweck, sondern dringende Notwendigkeit zur Senkung der Stückkosten. Die Landwirtschaft ist dabei der einzige Teil der Volks­­wirtschaft, der neben den Produktionsfaktoren Arbeit und Ka­pital auch den Produktionsfaktor Boden dringend benötigt. Ohne LF gibt es keine Landwirtschaft. Ein Ende des Strukturwandels in der Landwirtschaft ist demzufolge nicht in Sicht, auch wenn in der Gesellschaft heftig über immer größer werdende Betriebe gestritten wird. Die Wachstumsschwelle der Betrie­be, das ist die Betriebsgrößengruppe in der Zuwächse zu verzeichnen sind, hat sich von 30 ha in den 70er Jahren, über 50 ha in den 80er Jahren auf heute 100 ha LF hochgeschoben. Dies ist eine Mindestflächenausstattung der in die Zukunft gerichteten Betriebe. Das Gros der entwicklungsfähigen Betriebe hat heute bereits eine Flächenausstattung von weit über 100 ha LF. Eine Senkung der Stückkosten durch kon­sequenten Einsatz leistungsfähigerer Technik, ist nur erreich­bar wenn Auslastung und Schlag­größen angepasst werden. Die jährliche Kampagneleistung eines Schlepper gezogenen Mähbinders Anfang der 50er Jahre lag bei etwa 20 ha und die Flächenleistung bei 0,20 ha/Stunde, dazu kam das Dreschen mittels Dreschmaschine auf dem Hof. Die Mähdreschergeneration um das Jahr 1980 mit etwa 3 m Schnittbreite, hatte eine Kampag­neleistung von 80 ha und eine Flächenleistung von 0,8 ha/Stunde. Die leistungsfähige Mäh­dreschergeneration von heute dagegen, mit Schnittbreiten von 7,5 m kann pro Stunde rund 3,2 ha abernten und erlangt eine Kampagneleistung von circa 320 ha. Mit jeder dieser Maschinengenerationen wurde die mögliche Erntefläche pro Jahr und die Flächenleistung pro Std. etwa um das Vierfache gesteigert. Zwingende Voraussetzung für diese Leistungssteigerung war jedoch die Anpassung der Agrarstruktur hin zu größeren Flächen. Die jeweils größeren Maschinen können ihr Poten­zial auf kleinen Schlägen nicht ausschöpfen. In klein parzellierten Regionen übersteigen oft die Umsetzungszeiten, bestehend aus den Zeitverlusten durch An- und Abrüsten, den Fahrten zum nächsten Feld sowie das ständige Dreschen von Vorgewenden, die tatsächlichen effektiven Druschzeiten. Konnte der Mähbinder schon auf Schlaggrößen mit 0,20 ha und einer Kampagneleistung von 20 ha wirtschaftlich eingesetzt werden, so benötigte der Mähdrescher von 1980 für einen wirtschaftlichen Einsatz schon eine Schlaggröße von 1 ha und eine Erntefläche von 80 ha. Die übli­chen Leistungs­potenziale der heu­tigen Technik dagegen erfordern für den wirtschaftlichen Einsatz Mindestschlaggrößen von 5 bis 10 ha und eine Kampagneleistung von über 300 ha. Letzteres lässt sich nur in größeren Unternehmen, im Rahmen von Betriebskooperationen, durch Bewirtschaf­tungsverträge oder durch die Vergabe der Arbeit an Lohnunternehmer realisieren. Die technischen Fortschritte bei der Mechanisierung der Außen- und Innenwirtschaft sowie im Stallbau sind die Taktgeber für eine sich stetig zu größeren Einheiten verändernde Agrarstruktur. Die in der betriebs­wirtschaftlichen Literatur seit langem beschriebenen „Economies of Scale“ (Kostendegression durch Größen­vorteile) sind auch in der hoch technisierten Landwirtschaft von heute zur (bitteren) Realität geworden.

Tendenzen in der Entwicklung

Die Entwicklungstrends für Betriebsgröße, Anzahl der Betriebe und die Beschäftigten in der Landwirtschaft können aus der Vergangenheit in die Zukunft extrapoliert werden. Ein Abflachen oder gar Umkehr der Trends ist nicht zu erwarten, da auch in Zukunft hohe technische Innovationskräfte Produktivitäts­steigerungen auslösen werden. Der technische Fortschritt, der in den nächsten zehn Jahren den Strukturwandel verursacht, wird bereits heute bei den Spitzenbetrieben erfolgreich eingesetzt. Die Konkurrenzfähigkeit der hessischen Landwirtschaft auf den nationalen und internationalen Märkten kann nur aufrecht erhalten werden, wenn der Struk­turwandel in der Agrarwirtschaft mit dem technischen Fortschritt Schritt hält.