30 Jahre Marktgemeinschaft KraichgauKorn

Getreideanbau im Einklang mit der Natur

Seit dreißig Jahren bauen die Landwirte der Marktgemeinschaft KraichgauKorn Getreide ohne chemischen Pflanzenschutz an und vermarkten es an Mühlenbetriebe und Bäcker. Neben der regionalen Erzeugung und Vermarktung ist das Thema Biodiversität als wichtiges Verkaufsargument immer weiter in den Vordergrund gerückt.

Ackerwildkräuter sind auf den Lebensraum Acker angewiesen. Auf den Feldern der KraichgauKorn-Erzeuger sind sie durch den Verzicht auf chemischen Pflanzenschutz anzutreffen und bieten Nahrung für viele Insekten.

Foto: Brammert-Schröder

Als hätten die Gründungsväter der Marktgemeinschaft gewusst, dass das Thema Biodiversität heute aktueller ist denn je: sie haben bereits 1990 festgelegt, dass das Getreide für KraichgauKorn ohne den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln produziert werden soll. Heute ist das „System KraichgauKorn“ auch Vorbild für andere Regionen. Roland Waldi, erster Vorsitzender der Marktgemeinschaft, ist öfter in ganz Deutschland unterwegs, um Interessengruppen über die Arbeitsweise und die Richtlinien von KraichgauKorn zu informieren. Mitte September wurde das dreißigjährige Jubiläum im kleinen Rahmen auf dem Moserhof von Familie Moser in Waibstadt gefeiert.

Schon seit 1990 ohne chemischen Pflanzenschutz

Gründungsmitglied Holger Söhner blickte auf die Anfänge zurück: „Die Idee ist beim Kirchlichen Dienst auf dem Lande entstanden. Wir überlegten, was und wie wir trotz der neuen Vorgaben produzieren können.“ In der Zeit wurde in Baden-Württemberg die Schutzgebiets- und Ausgleichsverordnung (SchALVO) und damit etliche Wasserschutzgebiete mit Auflagen bei der Düngung eingeführt, die Partei der Grünen wurde gegründet – der Wind für die Landwirtschaft wehte auf einmal aus einer anderen Richtung. „Mit dem Wasserschutzgebiet im Hintergrund überlegten wir, dass die Bäcker dennoch gutes, qualitativ hochwertiges Getreide brauchen“, so Söhner. Die 15 Landwirte der ersten Stunde beschlossen, E-Weizen anzubauen und legten dabei fest, dass alle

Marcus Moser baut im zweiten Jahr Getreide für KraichgauKorn an. Es werden nur so viele Anbauer in die Marktgemeinschaft aufgenommen wie Getreide vermarktet werden kann.

Foto: Brammert-Schröder

Erzeuger im Getreide auf chemischen Pflanzenschutz verzichten, einen Blühstreifen zum Nachbarschlag anlegen, um Abdrift zu vermeiden und eine möglichst vielfältige Fruchtfolge einhalten. Eine Getreidemühle konnte als Partner gewonnen werden. Gestartet wurde mit 50 ha Weizen und 10 ha Roggen.

47 Betriebe erzeugen auf 1570 ha Getreide

Heute gehören 47 landwirtschaftliche Familienbetriebe mit ganz unterschiedlichen Betriebsschwerpunkten zur Marktgemeinschaft KraichgauKorn. Sie erzeugen rund 1000 ha Winterweizen, 250 ha Roggen, 270 ha Dinkel, 30 ha Einkorn und 20 ha Emmer. Zwei Mühlen verarbeiten das Getreide, 40 Bäcker und einige Hofläden gehören zu den Abnehmern des Mehls. Die Landwirte erzielen für das Getreide höhere Preise als am Markt üblich. „Heute sind die Richtlinien nahezu unverändert“, sagte Söhner nicht ohne Stolz. „Wir produzieren garantiert ohne Pflanzenschutz.“ Und das mit Brief und Siegel. Gerhard Risser, vereidigter landwirtschaftlicher Sachverständiger, nimmt bei jedem Landwirt der Marktgemeinschaft bereits vor der Ernte Proben der jeweiligen Getreidearten. „Sie sind bisher immer ohne Rückstände von Pflanzenschutzmitteln gewesen“, so Risser, der diese Aufgabe seit 2002 übernimmt. Die Sortenwahl ist bei einem Verzicht auf chemischen Pflanzenschutz besonders wichtig. Es kommen Sorten mit guten Resistenzen gegen Blattkrankheiten zum Einsatz, die auch in eigenen Versuchen getestet werden.

Der Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt ist für die beteiligten Landwirte mindestens genauso wichtig wie der Aspekt der regionalen Erzeugung. Statt Herbiziden kommt auf den Flächen der Striegel zum Einsatz. „Wir Landwirte haben mit der Zeit viel darüber gelernt, welchen Beitrag die Beikräuter für die Biodiversität leisten“, bekannte KraichgauKorn-Erzeuger Jürgen Schell. Er beteiligt sich an vielen Biodiversitätsmaßnahmen, hat beispielsweise die weite Saatreihe in seinen Getreidebeständen ausprobiert und ist begeistert über die Artenvielfalt der Wildkräuter auf seinen Flächen. „Das ist Öffentlichkeitsarbeit im besten Sinne, wenn die Spaziergänger und Radfahrer an meinen Feldern anhalten und sich über die Mohnblumen freuen.“ Und dabei auf den Schildern lesen, dass sie das Getreide in den Brötchen bei den KraichgauKorn-Bäckern wiederfinden. Schell versucht, typische Pflanzen auf seinen Flächen zu etablieren, indem er Samen, beispielsweise vom Ackerrittersporn, abnimmt und bei der Getreideaussaat mit in die Drillmaschine gibt.

Marktgemeinschaft KraichgauKorn

Die Landwirte der Marktgemeinschaft KraichgauKorn legen Wert auf Regionalität. Sie kommen al-

le aus einem Ackerbaugebiet in Baden-Württemberg zwischen Zabergäu, Enzkreis, Kraichgau, Leintal, Kurpfalz, Hardt und Taubertal. Es wird komplett auf den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln verzichtet.

Neben den klassischen Sorten Weizen, Roggen Dinkel werden auch die beiden Urgetreidesorten Emmer und Einkorn angebaut. Die Anbaufläche beträgt rund 1600 ha. Inzwischen hat das „System KraichgauKorn“ auch außerhalb der Region Anhänger gefunden. Im Rhein-Erftkreis in Nordrhein-Westfalen ist die regionale Erzeugergemeinschaft ErftGold ins Leben gerufen worden.

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Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt

Wie wichtig Ackerwildkräuter für die Insekten sind, erläuterte der Wildkrautexperte Tobias Lepp. Ackerwildkräuter wie Kornblume, Klatschmohn oder Kamille sind für viele Insekten eine unersetzliche Nahrungsgrundlage und haben sich in den letzten Jahrtausenden an den Standort Acker angepasst. „Pro Ackerwildkrautart gibt es mindestens zehn spezialisierte Insektenarten“, sagte Lepp. Das mache auch deutlich, warum der Artenschwund im Lebensraum Acker so groß sei. Sie finden in unkrautfreien Beständen schlicht keine Nahrung. Viele ehemals massenhaft vorkommende Arten stünden heute auf der Roten Liste. „Der Ackerbau muss Hand in Hand mit dem Schutz der Wildkräuter gehen“, forderte er. „Die Erzeuger bei KraichgauKorn leisten einen großen Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt. Auf ihren Flächen finden wir viele Rote Liste-Arten.“

Absatz auch über Onlineshop

Das Konzept von KraichgauKorn ist heute aktueller denn je, der Artenschutz wird in Landes- und Bundesgesetzen verankert. Die Landwirte von KraichgauKorn zeigen, dass Natur- und Umweltschutz mit der Erzeugung von Brotgetreide Hand in Hand gehen kann. „Wir arbeiten mit statt gegen die Natur und sehen sie als Partner“, sagte Xenia Ratzel. Die junge Landwirtin engagiert sich ebenso wie ihr Kollege Tobias Holstein dafür, die Vermarktungsstrukturen zu erweitern. Künftig soll der Absatz von Mehl und Backmischungen im LEH ausgebaut werden. Auch ein Onlineshop wurde eingerichtet.

ibs – LW 40/2020