Agrarsektor hat Produktivität in 20 Jahren um 70 Prozent erhöht

Vortrag von HBV-Präsident Karsten Schmal beim FLV

Im Rahmen der Jahreshauptversammlung des Frankfurter Landwirtschaftlichen Vereins (FLV) referierte der Präsident des Hessischen Bauernverbandes (HBV), Karsten Schmal, über „Landwirtschaft zwischen Preisdruck, Reglementierungen und Verbraucherwünschen – Wie können sich unsere Betriebe behaupten?“

Vorsitzender Karlheinz Gritsch (l.) und stellvertretender Vorsitzender Micha­el Schneller (r.) ehrten Dr. Werner Schaaf aus Friedberg und Paul Gerecht aus Oberursel.

Foto: Jörg Rühlemann

Unbestritten sei, dass wir eine leistungsfähige Wirtschaft haben, zu der auch eine noch leistungsfähigere Landwirtschaft gehöre: Im Agrarsektor sei die Produktivität in den letzten zwanzig Jahren um 72 Prozent gestiegen. In der gesamten Wirtschaft dagegen nur um 44 Prozent, sagte Schmal. Wir könnten stolz darauf sein, dass die Regale hierzulande mit qualitativ hochwertigen und preisgünstigen Lebensmitteln gefüllt seien. Das große Problem dabei ist nur: „Wir sind zu gut. Wir produzieren zu viel.“ Bei steigendem Angebot ist die Nachfrage auf den Exportmärkten stark eingebrochen, mit dem Ergebnis, dass in fast allen Bereichen die Agrarpreise dramatisch gesunken sind. Das treffe insbesondere die Milchpreise, die Schweinepreise, aber auch das Getreide und den Raps. Dadurch sei die Investitionsbereitschaft bereits deutlich gesunken. Im Deutschen Bauernverband solle eine Resolution zur Unterstützung der Landwirtschaft in der Agrarkrise mit konkreten Forderungen auf EU- und nationaler Ebene verabschiedet werden. Erwartet werde, dass sich der vor- und nach­gelagerte Bereich ebenfalls engagiert.

Praxisfremde Vorgaben kosten Konkurrenzfähigkeit

Neben dem Russland-Embargo und überversorgten internationalen Märkten „nutzen der Lebensmitteleinzelhandel und die Ernährungsindustrie ihre Marktmacht schamlos aus“. An den deutschen Lebensmitteleinzelhandel appellierte er, sich mit der heimischen Landwirtschaft beispielsweise bei Preisverhandlungen solidarisch zu erklären. Positiv beurteilt würden verschiedene auch auf Drängen des Bauernverbandes zustande gekommene Hilfen auf EU- oder nationaler Ebene wie das Liquiditätshilfeprogramm für milchvieh- und schweinehaltende Betriebe oder die Erhöhung des Bundeszuschusses zur Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft. Gefordert werde die Fortschreibung dieser Maßnahme auch 2017 und 2018. Was „uns Bauern neben dem ruinösen Preisdruck bei fast allen Agrarprodukten belastet, sind drohende Verschärfungen im Rahmen der anstehenden Novelle der Düngeverordnung“, fuhr Schmal fort. Die vorgesehenen Regelungen und Einschränkungen, auf die er im Einzelnen einging, seien vielfach praxisfremd, führten zu Ertragseinschränkungen, kosteten Marktanteile und seien deshalb inakzeptabel. Kritisch setzte sich der HBV-Präsident mit den unsachlichen, diskriminierenden Behauptungen auseinander, die der Landwirtschaft im Zusammenhang mit dem Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln die Vergiftung von Lebensmitteln, der Umwelt insgesamt und die Ursache für das Artensterben vorwerfen. Auch mit dem Wust bürokratischer Regelungen in vielen Bereichen, die das Wirtschaften erschweren, setzte er sich kritisch auseinander. Den mehrfachen Ankündigungen von Entbürokratisierung müssten endlich Taten folgen.

Wünsche der Verbraucher kosten auch Geld

Auf die Forderung der Verbraucher nach mehr Tierschutz habe die Branche bereits mit der Initiative Tierwohl reagiert. Ohne Aufstockung der Mittel, der sich einige Handelsunternehmen verweigern, sehe er aber schwarz für diese Initiative. Fest stehe, dass „wir Landwirte ein ureigenes Interesse daran haben, dass es unseren Tieren gut geht,“ denn nur dann brächten sie die erwarteten Leistungen. Im Ãœbrigen dürfe die Bereitschaft, auf Wünsche der Verbraucher einzugehen, keine Einbahnstraße sein: Wer mehr Tierwohl oder höhere Standards fordert, müsse auch die damit verbundenen Mehrkosten tragen. Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit verdeutlichen Landwirte, wie verantwortungsvoll sie Tiere halten und umweltgerecht wirtschaften. Für die Beantwortung der Frage, wie sich unsere Betriebe behaupten können, gebe es keine Patentrezepte. Am allerwichtigsten seien aber „kostendeckende Erzeugerpreise, damit wir unsere Familien ernähren und Investitionen tätigen können“. Außerdem brauchten wir unternehmerische Freiheiten, statt immer neuer Auflagen und Reglementierungen. Die Verbraucher erwarten eine leistungsfähige, von der Gesellschaft akzeptierte Landwirtschaft. In der Region erzeugte Lebensmittel aus nachvollziehbarer Herkunft seien zunehmend gefragt. „Region hat Bio deutlich überholt“, ist sich Schmal sicher. Doch selbstverständlich wollen wir auch überregionale Märkte bedienen. Ein großes Problem bestehe allerdings darin, dass der Verbrauch landwirtschaftlicher Flächen für Wohn-, Gewerbe- und Verkehrsflächen weiter steigen werde. Hier werden wir alles daran setzen, großflächige Neubaugebiete „auf der grünen Wiese“ zu verhindern, wenn es alternative Möglichkeiten dafür gebe. „Aufgrund der wachsenden Welt­bevölkerung bei gleichzeitig knapper werdenden Flächen brauchen wir eine intensivere Landwirtschaft. Deshalb hat unsere Landwirtschaft mittel- und langfristig gute Perspektiven“, ist der HBV-Präsident überzeugt.

Ehrung von Mitgliedern

Vorsitzender Karlheinz Gritsch und Geschäftsführer Roger Cromm erläuterten aktuelle Vorhaben. Es folgten Ehrungen von Vereinsmitgliedern für langjährige Mitgliedschaft. Für 50-jährige Mitgliedschaft erhielten Dr. Werner Schaaf aus Friedberg, und Jakob Wolf aus Oberursel, denen der Vorsitzende Karlheinz Gritsch und der stellvertretende Vorsitzender Michael Schneller gratulierten und Urkunden sowie Medaillen in Gold überreichten. Urkunde und Medaille in Silber erhielten Paul Gerecht, Oberursel, Christoph Leyer, Bad Orb, und Albert Reuhl, Maintal. Für 25-jährige Mitgliedschaft wurden Urkunde und Medaille in Bronce überreicht an Walter Engelhardt aus Sulzbach, Dr. Karl-Heinz Heimes, Steinbach, Ursula Einhoff, Niddatal, Walter Greiff, Niederursel, Theodor Waltz, Bad Vilbel, Margret Schiela aus Kelkheim, Elsaba Pfeiffer, Liederbach, Wilfried Faist aus Liederbach, Karl-Adolf Jakob aus Karben, Karl-Heinz Fischer, Liederbach, und Karlfried Cost aus Frankfurt.

Rü – LW 10/2016