Bangen um die Fallzahlen

Ernteverzögerung in Hessen – Auswuchsgefahr durch anhaltende Nässe

Die anhaltend nasse Witterung hat die Raps- und Getreideernte in Hessen ins Stocken gebracht. Am Donnerstag vergangener Woche (4. August) waren die Mähdrescher letztmalig unterwegs (Stand 10. August) und nutzten die trockenen Witterungsabschnitte bis spät in die Nacht hinein. Nervös und frustriert beobachten die Bauern derzeit die Wettervorhersage. Schließlich steht auf dem Acker noch Getreide im Wert von zig Tausend Euro pro Betrieb. Und die Qualität der Ware wird nicht besser, wenn sie steht. Das LW hat sich über den Stand der Ernte bei den Getreidehandelshäusern informiert.

So sieht der Weizen vielfach aus: Schwärzepilze, aber bislang noch kein offener Auswuchs.

Foto: agrarpress

In Südhessen beginnt aufgrund des wärmeren Klimas die Ernte rund zehn Tage früher als in Nordhessen. Nach Auskunft von Nicolai von Roenne, Geschäftsführer der Vertriebsgruppe Hessen der Raiffeisen Waren-Zentrale Rhein-Main eG ist der Raps in Süd- und Mittelhessen fast vollständig geerntet. Die Erträge schwanken sehr stark und zwar zwischen 20 und 40 Dezitonnen. Die Ölgehalte liegen in der Tendenz etwas schwächer als in Durchschnitt und liegen zwischen 38 und 41 Prozent.

Stark schwankende Wintergerstenerträge

Dr. Nicolai von Roenne, RWZ Rhein-Main

Foto: Mohr

Auch die Erträge der Wintergerste schwanken in einer großen Bandbreite zwischen 50 und 75 Dezitonnen pro Hektar. In Süd und Mittelhessen ist, abgesehen von Höhenlagen, die Ernte weitgehend abgeschlossen. Die Qualitäten seien durchweg gut. Die Hektolitergewichte der Partien bewegten sich zwischen 67 und 68 Kilogramm, so von Roenne. Auch die Winterbraugerste habe mit einem Vollgerstenanteil von über 90 Prozent eine gute Qualität. Probleme sieht von Roenne bei der Sommerbraugerste. Hier geht er insgesamt von 30 bis 40 Prozent weniger Menge aus. Nördlich der Mainlinie stünden noch 40 bis 70 Prozent der Sommergerste auf dem Acker. „Was da noch geerntet wird, ist keine Braugerste mehr“, befürchtet von Roenne. Er geht davon aus, dass der Handel Ersatzbeschaffungen tätigen muss. Braugerste wir fast ausschließlich durch Vorverträge abgesichert und muss in der Regel physisch geliefert werden. Der Weizen ist in Südhessen laut von Roenne zu etwa 95 Prozent geerntet, in Mittelhessen rund die Hälfte. Hier sind die Erträge nicht schlecht und liegen zum Teil bis zu 90 und 95 Dezitonnen.
In Nordhessen stehen nach Angaben von Ullrich Schenk von der Raiffeisen-Warenzentrale Kurhessen-Thüringen noch Restbestände beim Raps. 90 Prozent sind geerntet. Den Ertragsrückgang schätzt er auf 20 Prozent des Durchschnitts der letzten Jahre. Aber auch hier gehen die Erträge sehr weit auseinander, manche Landwirte ernteten unter 30 Dezitonnen. Der Ölgehalt lag etwa 10 Prozent niedriger als in Durschnittsjahren. Auch die Wintergerste ist laut Schenk zu 95 Prozent geerntet. Er schätzt das Ertragsminus auf 20 bis 25 Prozent. „Die Hektolitergewichte sind O.K.“, so Schenk.

Ullrich Schenk, RWZ Kassel

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Das Sorgenkind ist der Weizen. Hier sind laut Schenk erst 40 Prozent geerntet worden, die Qualitäten waren bislang noch in Ordnung. „Bis Donnerstag vergangener Woche hatten wir Fallzahlen von 280 Sekunden“. Doch mit dem anhaltenden Regen sei ein rapides Absinken der Fallzahl zu befürchten.

Im Nordosten hat die Weizenernte erst begonnen

In „Waldhessen“ im Nordosten des Landes sieht es noch dramatischer aus. Nach Auskunft von Lars Otto vom Landhandelsunternehmen Triebstein in Wildeck-Obersuhl, waren bis vergangenen Woche erst 50 Prozent des Rapses gedroschen worden mit zum Teil nur 25 bis 30 Dezitonnen Ertrag. Normal sind nach Angaben von Otto etwa 30 bis 40 Dezitonnen. Die Wintergerstenernte in seinem Gebiet ist abgeschlossen. Die Erträge liegen ebenfalls weit streuend in der Regel zwischen 40 und 50 Dezitonnen. Normal sind in dem Gebiet, das durch Hanglagen und flachgründige Böden mit 20 bis 30 Bodenpunkten gekennzeichnet ist, Erträge zwischen 60 und 70 Dezitonnen.
Die Weizenernte hat in Waldhessen erst angefangen. Bis Donnerstag vergangener Woche waren die Fallzahlen noch in Ordnung, allerdings mit etwa 250 Sekunden schon grenzwertig. „Jetzt wird es knapp“, so Otto mit Blick auf das Wetter. Bis 220 Sekunden Fallzahl wird als Backweizen akzeptiert. Was darunter liegt, ist Futtergetreide.
Die Fallzahl vor allem beim Weizen, aber auch beim Roggen, beschäftigt derzeit die Landwirte und den Handel. Sie wird in Sekunden gemessen und gibt die Zeit wider, die ein standardisierter Stab benötigt, um durch einen Stärkekleister aus Mehl und Wasser durchzudringen. Je mehr Widerstand der Teig dem Stab entgegen bringt, umso mehr Sekunden vergehen. Eine höhere Fallzahl kennzeichnet eine höhere Backfähigkeit. Eine niedrige weist auf Auswuchs hin, das heißt die Enzyme im Korn sind schon aktiv geworden und haben die Stärke umgewandelt.

Vor allem frühreife Weizensorten von Auswuchs gefährdet

Lars Otto, Landhandel Triebstein in Wildeck-Obersuhl

Foto: Mohr

„Die frühreifen Sorten, wenn sie nicht zum optimalen Zeitpunkt geerntet wurden, sind die ersten, die angefangen haben, mit der Fallzahl abzustürzen“, sagt Dr. Albert Flaig, Pflanzenbauberater bei der RWZ Kassel. Der Weizen hat im Gegensatz zur Gerste so gut wie keine Keimruhe. Bei feucht-warmer Witterung werden die Enzyme im Korn aktiv. Wie stark die Fallzahl sinken kann und wie sortenabhängig der Rückgang ist, wird an einer Messung deutlich, die bei einer frühen Weizensorte am Standort Gudensberg in Nordhessen durchgeführt wurde. So betrug die Fallzahl nach Angaben von Flaig am 22. Juli noch 366 Sekunden, am 26. Juli waren es nur noch 289 Sekunden; pro Tag also fast 20 Sekunden weniger. Der Teig einer anderen Sorte, die am Standort Antrifttal geprüft wurde, wies am 20. Juli 280 Sekunden auf und am 27. Juli 273 Sekunden.
In Hinblick auf die Erntevorbereitung hat sich laut Flaig die Sikkation, also das Abtöten des Bestandes mit Totalherbziden in diesem Jahr bewährt. Die Ernte werde erleichtert, die Druschleistung erhöht, die Trocknungskosten reduziert und die Bodenbearbeitung nach der Ernte erleichtert.Flaig warnt davor, den Raps zu früh auszusäen, wozu sich manche Landwirte wegen der schlechten Erfahrungen des vergangenen Jahres hinreißen ließen, als die Aussaat aufgrund des Dauerregens schwierig war. Frühestens ab dem 15. August solle die Saat in die Erde. CM