Bestehendes weiterentwickeln, Vergessenes wiederbeleben und Neues entdecken

Nachgefragt bei Hildegard Schuster, Präsidentin des Landfrauenverbandes Hessen

Hildegard Schuster wurde im November 2013 in Butzbach zur Präsidentin des Landfrauenverbandes Hessen (LFV) gewählt. Mit viel Elan und Schwung hat sie ihr Ehrenamt angetreten. Ihr Hauptamt als Referentin im Fortbildungswerk des LFV beendet sie an diesem Wochenende – ihre passive Altersteilzeit beginnt. Wie waren die ersten Monate als LFV-Präsidentin und wohin geht die gemeinsame Reise, die Hildegard Schuster nun ehrenamtlich als Vorruheständlerin steuert? Das LW hat nachgefragt.

Hildegard Schuster, Präsidentin des Landfrauenverbandes Hessen.

Foto: Lehmkühler

LW: Frau Schuster, Sie kennen die Landfrauen schon lange und sind selbst seit 1983 Mitglied beim Landfrauenverband Hessen. Seit dem 7. November 2013 sind Sie nun dessen Präsidentin. Aus diesem Blickwinkel: Wie ist Ihr Eindruck von den hessischen Landfrauen?

Hildegard Schuster: Glücklicherweise konnte ich schon seit meinem Ehrenamtsbeginn viele Landfrauenveranstaltungen sowie Orts- und Bezirkslandfrauenvereine besuchen. Und ich bin begeistert von unserer bunten, fröhlichen Gemeinschaft. Es ist toll zu sehen, was Frauen erreichen können, wenn sie selbstbestimmt etwas in die Hand nehmen. Mir ist aber auch klar geworden, welch großes Schiff die Landfrauengemeinschaft ist.

LW: Wie wollen Sie dieses Schiff als Präsidentin steuern?

Schuster: Kurz gesagt, möchte ich Bestehendes weiterentwickeln, Vergessenes wiederbeleben und Neues entdecken.

LW: Und die Langfassung?

Schuster: Meine klaren Zielvorstellungen habe ich bei meiner Bewerbung für dieses Amt in einem 10-Punkteprogramm zusammengefasst. Daraus leite ich vier Arbeitsbereiche und Fragenkomplexe ab. Da ist zum einen die Fragestellung: Wie entwickele ich den Verband inhaltlich weiter? Dann gibt es den Bereich des Außenbildes mit den Fragen: Wie steht der Verband auf kommunaler Ebene da? Mit wem kommunizieren wir beispielsweise auf Landkreisebene, bei den Körperschaften und den Nachbarverbänden? Der dritte Bereich ist: Wie beteiligen wir uns an der politischen Diskussion, um die Weichen für die Zukunft zu stellen? Und der vierte Bereich ist die Öffentlichkeitsarbeit: Wie wirken wir in der Öffentlichkeit? Wie können wir mit unserer Öffentlichkeitsarbeit noch mehr Mitglieder gewinnen?

LW: Wo stehen Sie derzeit?

Schuster: Wir sind schon ein Stück in einem grundlegenden Punkt vorangekommen. Damit meine ich die interne Transparenz und die Informationsweitergabe untereinander. Ich möchte den Verband dahingehend weiterentwickeln, dass die Frauen wissen, warum sie in unserem Verband sind. Dieses Selbstverständnis möchte ich weiter wachküssen. Das ist etwas verloren gegangen.

LW: Wie gehen Sie diesbezüglich vor?

Schuster: Wir haben damit angefangen, dass wir die Aufgaben im Landesvorstand aufgeteilt haben. Jedes Vorstandsmitglied hat eigenverantwortlich einen eigenen Bereich und ist dazu auch für die Landfrauen Ansprechpartnerin. Und auch die Gremienarbeit ist entsprechend aufgeteilt (siehe Tabelle).

Außerdem haben wir die Bezirksvorsitzendenarbeitstagung so strukturiert, dass jeder Bezirk seine Arbeit vorstellen und seine Anliegen sowie Erwartungen vorbringen konnte. Umgekehrt haben wir die Bezirksvorsitzenden mit den Standpunkten und Meinungen des Vorstandsteams konfrontiert. Dann haben wir zusammen beschlossen, welche Arbeitsschritte wir in diesem Jahr gemeinsam gehen und welche Themen ins Jahresprogramm aufgenommen werden. Der Austausch kam gut an und soll auch Vorbild sein für die Arbeit von der Bezirks- zur Orts­ebene. Miteinander reden und zusammen mehr erreichen!

LW: Welche Schritte und Themen haben Sie beschlossen?

Schuster: Alle Vorständlerinnen arbeiten an den Themen, die mit den Bezirksvorsitzenden abgestimmt wurden. Das heißt, sie bereiten die Themen jetzt weiter auf, bis sie im Oktober von den Bezirksvorsitzenden verabschiedet werden und ins Jahresprogramm aufgenommen werden können. Das Ergebnis wird dann bei der Vertreterinnenversammlung im November vorgestellt.

Jetzt kann ich die Themen noch nicht nennen. Nur so viel: Es werden neue Anregungen für die Orts- und Bezirksvereine dabei sein.

LW: Wie könnte man dieses Vorgehen beschreiben?

Schuster: Um es noch einmal zusammenzufassen: Es geht mir um die Informationsweitergabe und das transparente miteinander Arbeiten. Das sind für mich die Grundlagen in diesem ersten Jahr, um den Verband weiterzuentwickeln.

Uns ist es wichtig, dass jede Landfrau versteht, warum wir als großer Frauenverband in so vielen Verbänden und kommunalen Gremien vertreten sind. Auch dieses Wissen muss bei den Frauen wieder ankommen. Durch den sinnvollen Austausch von Informationen und Erfahrungswerten kann so viel mehr erreicht werden. Dazu wollen wir auffordern!

LW: Was ist Ihnen noch wichtig?

Schuster: Wir bitten die Bezirksvorstände, engagierte Frauen zu finden, die in die Regionalforen gehen. Denn diese Foren haben meist eine stärkere Aufgabe als die Bürgermeister, weil sie die Gelder für die nächsten sieben Jahre von der EU für die Kommune herunterholen. Die Regionalforen setzen die Mittel für die Daseinsvorsorge ein, sei es für den Erhalt des Dorfladens, der Busverbindungen, die höher werdenden Müllgebühren oder für Servicebörsen. Die Themen betreffen jeden von uns. Es geht darum, Fördergelder in die Region für die Region einzuholen. Das ist vielen Frauen nicht bewusst. Um sich in den Foren gut einbringen zu können, ist geplant, die Frauen von uns besonders zu schulen und zu vernetzen.

Aber auch in anderen Gremien wie dem Agrarausschuss oder Frauenbüro ist es wichtig, dass sich unsere Frauen immer wieder mit einbringen und auch untereinander kommunizieren, was sie dort erfahren. Die Frauen sollen wissen, was dort thematisiert wird, warum und wofür. Und jede hat eine Stimme, unsere Forderungen mit einzubringen und etwas für sich, für den Ort, die Region, den Bezirk zu tun.

Das soll nicht heißen, dass die üblichen Aktionen in den Ortsvereinen wie gemeinsames Singen, Kochen oder Nordic Walking nicht auch wichtiger Bestandteil der Mitgliedschaft im Landfrauenverein sind. Aber das ist nicht das Netzwerk, das wir benötigen, um als große Stimme, die wir als Verband haben, wahrgenommen zu werden. Das scheint etwas in Vergessenheit geraten zu sein.

LW: Auf welchen Kanälen erreichen Sie die Landfrauen, um Ihnen zu berichten, welche Themen für die Stimme nach außen wichtig sind?

Schuster: Das ist zum einen auf den Veranstaltungen möglich, zu denen wir eingeladen sind. Zum anderen geht es über unsere neu entstehende Website. Außerdem gibt der Deutsche Landfrauenverband Positionspapiere zu Themen heraus, die bundesweit passieren. Und auch die Veröffentlichungen auf Bezirksebene im Landwirtschaftlichen Wochenblatt Hessenbauer sorgen dafür, dass wichtige Informationen multipliziert werden.

LW: Was passiert auf ministerieller Ebene?

Schuster: Hessenweit führen wir Gespräche mit der Landesregierung. Wir arbeiten zum Beispiel mit dem Sozialministerium zusammen für neue Präventionsmaßnahmen. Ein neues Thema wird Hautkrebs sein. Gerade beim Sozialministerium haben wir einen sehr guten Ruf, weil wir mit den Maßnahmen in die Fläche gehen können. Das heißt, wir haben die Strukturen, mit den Aktionen vielerorts Frauen und ihre Familien zu erreichen. Das bietet kein anderer Verband.

Auch beim Landwirtschaftsministerium sitzen wir mit im Boot. Wir sind aufgenommen in den Zukunftspakt Landwirtschaft und beobachten hier genau, dass es nicht zu einem Ungleichgewicht im Land kommt in Bezug auf Öko- und konventionellen Anbau.

Ende August wird ein zweites Bäuerinnengespräch mit Ministerin Hinz stattfinden, in dem es speziell um die Problematik geht, die unsere Bäuerinnen betreffen.

LW: Die Mitglieder im Landfrauenverband sind Bäuerinnen sowie Land- und auch Stadtfrauen. Wie gehen Sie mit dieser unterschiedlichen Klientel um, insbesondere in Bezug auf die landwirtschaftliche Politik? Gibt es Interessen- oder Meinungskonflikte?

Schuster: Nein. Im Gegenteil. Auch Bäuerinnen sind Verbraucherinnen. Und sie wissen am besten, wie die Qualität der Nahrungsmittel beschaffen sein muss, die wir unseren Familien anbieten. Kein anderer Verband deckt diese Bandbreite ab. Mein Ziel ist es, abseits jedweder Ideologie alle Verbraucherinnen anzusprechen und ihnen das Gefühl und die Gewissheit zu geben, dass ihre Interessen gerade von diesem Verband in den politischen Gremien und in der Gesellschaft vertreten werden.

LW: Der Landfrauenverband setzt sich schon seit Langem für die Vermittlung von Alltagskompetenzen ein. Wie geht es zu diesem Thema weiter?

Schuster: Ja, die Verbraucherbildung und -aufklärung im Hinblick auf die Vermittlung von Alltagskompetenzen und gesunder Ernährung sind wichtige Schwerpunkte unserer Arbeit. Wir stellen immer wieder fest, dass das Wissen um gesunde Ernährung fehlt, sowohl bei Jung als auch bei Alt. Hier wollen wir mit verschiedenen Aktionen Abhilfe schaffen. Zum Beispiel schulen wir die Ernährungsfachfrauen zu Jahresthemen, die dann als Multiplikator in Vereine gehen. Wir bieten Kinder-Kochkurse, Ernährungsführerschein und Brotdosenaktionen in Grundschulen an und können dort sowohl Kochkenntnisse vermitteln als auch über gesunde und regionale Ernährung aufklären. Oder wir schicken Fachreferenten in die Orts- und Bezirksvereine, die über aktuelle Themen informieren. Dabei kann es dann auch mal um den Umgang mit Geld, das Wissen um Nanotechnologie oder um giftige Stoffe in Spielzeug gehen. Wir Landfrauen fungieren hier vielfach als Lotsen, um Vergessenes oder Unbekanntes voranzubringen.

LW: Was können Sie tun, um weitere Landfrauen mit ins Boot zu holen?

Schuster: Die Schulung unserer eigenen Mitglieder ist ja schon eine Werbemaßnahme. Wir können zum Beispiel sagen: Hier erfährst du etwas über Nanotechnologie oder über Inhaltsstoffe in Lebensmitteln.

Wir freuen uns über jedes Mitglied. Alle Frauen sind herzlich willkommen, bei uns mitzumachen! Wir werden weiterhin fröhlich für uns werben und vermitteln, wer wir Landfrauen sind. Wenn jede Landfrau das weiß, dann sollte das anstecken!

Wir beginnen ja schon mit den Mädchengruppen, den Mini-Bienen. Auch wenn diese in ihrer Selbstfindungsphasen bei uns aufhören, so vertrauen wir auf die Nachhaltigkeit. Sprich: Sie werden später wieder zu uns kommen.

LW: Sehen Sie das Ehrenamt langfristig gesichert?

Schuster: Es ist immer gut, wenn sich noch mehr Menschen ehrenamtlich engagieren. Denn dann ist die Arbeit auf mehreren Schultern verteilt und man kann noch mehr erreichen. Die ehrliche Wertschätzung des Ehrenamtes von Seiten der Politik fehlt mir.

LW: Was sollte anders sein?

Schuster: Ich erwarte zum Beispiel statt Ehrenamtskarte kostenlos Räume für Veranstaltungen und Treffen bereitzustellen und nicht, ehrenamtliche Tätigkeiten zu erwarten und dafür auch noch abzukassieren. Ehrenamtliches Engagement sollte auch in die Rentenpunkte einfließen.

Wir leben derzeit noch satt und zufrieden, weil viele Aufgaben im Ehrenamt übernommen werden. Aber das ändert sich durch längere Arbeitszeiten, lange Anfahrtswege, das Arbeiten rund um die Uhr. Daher wird das Ehrenamt in den nächsten Jahrzehnten auf dem Prüfstand stehen. Wenn dann keine ehrliche Anerkennung da ist, wird es mit dem Ehrenamt weiter zurückgehen. Daher fordern wir immer wieder, dass man das Ehrenamt beispielsweise durch Aufwandsentschädigung würdigen muss. Leider sind die kommunalen Kassen leer, sodass noch mehr Ehrenamt gewünscht wird. Hier eine Balance zu finden, ist Sache der Politik. Wir sprechen dazu mit, insbesondere weil es überwiegend die Frauen sind, die ehrenamtlich tätig sind!

LW: Sie haben gerade Ihren Berufsalltag als Referentin im Fortbildungswerk des LFV beendet. Wie geht es jetzt weiter?

Schuster: Ich werde jetzt hoffentlich noch mehr Luft für die Verbandsarbeit haben. Außerdem kann ich mit mehr Abstand darauf schauen und freue mich auf die große Herausforderung, auch noch andere Dinge für die Frauen und ihre Familien eröffnen zu können. Es ist meine Vision, die weibliche Stimmen in den Regionen zu stärken.

Die rund 50 000 Mitglieder in Hessens größter Frauenorganisation sollen wissen, was der Verband für sie tut und wofür sie ihre Beiträge leisten.Die Stärke ist unsere Vernetzung. Wir können miteinander für unsere Familien und für unsere Region etwas erreichen und gemeinsam weiterkommen!

Das Interview führte Stephanie Lehmkühler – LW 33/2014