Bio alleine reicht nicht mehr

Fachtagung „Regional.Bio.Hessisch“ in Künzell

Die Aktionsgemeinschaft „Echt hessisch“ und die drei hessischen Ökomodellregionen richteten gemeinsam in Künzell die erste Fachtagung „Regional.Bio.Hessisch“ aus. Neben Anbietern und Bündlern regionaler Produkte präsentierten auch hessische Erzeuger und Vermarkter von Bio-Ware ihre Konzepte und Projekte.

Peter Gheorgean vom Regionalbauernverband Starkenburg zeigte im Rahmen des „Speeddatings“, wie man mit einer kleinen Mannschaft 6000 Schüler an 30 Schulen mit regional erzeugtem Essen versorgt.

Foto: Becker

Axel Wirz von der Regio-Marketing GmbH in Friedberg begrüßte für die Aktionsgemeinschaft „Echt hessisch“ die etwa 150 Teilnehmer der Fachtagung in Künzell bei Fulda und umriss die Ziele der Konferenz als Plattform für Erzeuger, Verarbeiter und Vermarkter, die sich unter anderem über aktuelle Projekte und Möglichkeiten zum Absatz ökologischer und regionaler Produkte informieren und austauschen könnten.

Hinz: Lücken zwischen Angebot und Nachfrage

Die Hessische Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Priska Hinz, erläuterte, dass das Land Hessen den Anteil ökologischer Landwirtschaft kontinuierlich erhöhen sowie den Anteil regional erzeugter Produkte im heimischen Markt ausbauen wolle. Ein wichtiger Meilenstein sei hierbei die Ausrufung der drei hessischen Ökomodellregionen sowie der Start des Vermarktungsprojekts der Aktionsgemeinschaft „Echt hessisch“. „Die hessische Landwirtschaft ist vielfältig und bietet enorm viele und hochwertige Produkte. Aber es gibt noch immer Lücken zwischen Angebot und Nachfrage, die wir mit der Aktionsgemeinschaft schließen wollen“, so die Ministerin. Die Vermarktung regionaler und ökologischer Lebensmittel solle verbessert und deren Absatz gesteigert werden, indem Produzenten, Verarbeiter und Handel zusammengebracht werden. Wichtig sei auch, dass die Vermarktungswege über die alten Grenzen von „nur bio“ oder „nur regional“ hinweg gestärkt würden. Rund 5 Prozent des Lebensmittelumsatzes entfielen auf Bio-Produkte, dabei könne die Nachfrage nicht durch hessische Erzeugung gedeckt werden. Natürlich könne nicht alles aus regionaler Produktion kommen, Verbesserungen seien aber möglich und nötig. „Mit 12 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche ist Hessen im Ökolandbau bundesweit Spitze und soll es auch bleiben“, so Hinz.

Einseitige Orientierung am Weltmarkt aufbrechen

Hinz: „Verbraucherinnen und Verbraucher fragen regional und ökologisch erzeugte Lebensmitteln verstärkt nach.“

Foto: Becker

„Es geht uns aber nicht allein um den Ausbau der Ökoanbaufläche, wir wollen auch den Absatz regionaler Produkte in Hessen erhöhen. Dass Hilfestellungen für den Aufbau neuer Wertschöpfungsketten gegeben und neue Vertriebswege für die Direktvermarkter erkundet und gefördert werden müssen, macht auch die momentane Preiskrise bei Milch und Schweinefleisch deutlich.“ Ein bloßes „weiter so“ und eine einseitige Orientierung am Weltmarkt biete eben nicht allen hessischen Betrieben Lösungen, so die Ressortchefin. „Sinnvoller erscheint es mir, mehrere und auch neue betriebliche Standbeine aufzubauen. Denn Verbraucherinnen und Verbraucher fragen regional und ökologisch erzeugte Lebensmittel verstärkt nach. Sie wollen genau wissen, wer das Lebensmittel wie und wo erzeugt hat, wo und wie geschlachtet und wo und wie verarbeitet wurde.“

Drei Ökoregionen, drei Konzepte

Von der Theorie zur Praxis hieß das Motto zur Vorstellung der drei hessischen Ökomodellregionen. Das Land Hessen hat im Rahmen seines Ökoaktionsplans 2015 drei Modellregionen benannt, um den Anbau, die Verarbeitung und den Vertrieb von Biolebensmitteln in der Region zu stärken. Die drei Regionen Wetterau, Fulda und Nordhessen hatten den ausgeschriebenen Wettbewerb zu ihren Gunsten entschieden. Nicole Nefzger, Regio-Marketing GmbH, und Silke Flörke, Koordinatorin der Ökoregion Nordhessen, stellten die Konzepte und Ziele in den verschiedenen Regionen vor. Im Landkreis Fulda mit einem hohem Grünlandanteil, knapp 12 Prozent ökologisch wirtschaftenden Betrieben und bedeutendem Tourismus sehe man zur Verbesserung der Wertschöpfungsketten Handlungsbedarf bei Landwirtschaft, ökologischer Erzeugung sowie Verarbeitung und Vermarktung, auch im Tourismus und der Gastronomie. Dies soll durch Beratung, Fortbildung und beispielhafte Demonstrationsbetriebe erfolgen. Im Wetteraukreis arbeiten nur etwa 40 Bio-Betriebe mit einem Flächenanteil von gut 5 Prozent. Daher wolle man vor allem die Zahl der Betriebe erhöhen. Ein großer Vorteil der Region liege in der Nähe zur Metropolregion Rhein-Main. Durch die günstigen Boden- und Klimabedingungen sowie sehr gute Erträge und Qualitäten für konventionelle Betriebe sei allerdings die Umstellungsbereitschaft nicht besonders groß. In den Landkreisen Kassel und Werra-Meißner (Region Nordhessen) stehen eine Verbesserung der Wirtschaftlichkeit extensiven Grünlandes, sowie die Vernetzung von Öko-Erzeugern, Verarbeitern und Verbrauchern im Vordergrund. Überhaupt waren die nicht ausreichenden Verarbeitungskapazitäten in der Region vor allem im Bio-, aber auch im konventionellen Bereich ein Thema der Veranstaltung.

Ziel, Kontakte zu vermitteln, erreicht

„Am Weltmarkt orientierte Agrarkonzerne haben kein Interesse an regionalen Strukturen“, gab Moderatorin Tanja Busse zu bedenken.

Beim anschließenden „Speeddating“ konnten sich die Besucher bei verschiedenen Organisationen über deren Arbeit und Erfahrungen an deren Ständen informieren. Mit dabei waren neben den Ökomodellregionen die Marke „Landmarkt“, das „Bio­siegel Hessen“, das Projekt „Wasserschutzbrot“ aus der Rhön, die Vereinigung ökologischer Landbau (VÖL), die Regionalvermarktungsinitiative „Gutes aus Waldhessen“, die Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaft (EVG) „Gelbe Rübe“ aus Fulda, der „Wetterauer Landgenuss“, die „Dachmarke Rhön“ und die Initiative „Mahlzeit! Leckeres für die Schule“ des Regionalbauernverbandes Starkenburg. Am Info-Stand des EIP-Projektes „Wasserschutzbrot“ war zu erfahren, dass hierbei Landwirte beim Anbau ihres Backweizens bewusst auf die letzte Stickstoff-Gabe verzichten, um eine mögliche Nitrat-Auswaschung ins Grundwasser zu verringern. Aus diesem Weizen backen dann hessische Bäcker das sogenannte Wasserschutzbrot. Um das Anbaurisiko vom Erzeuger zu nehmen, bekommen die Landwirte einen Mindestpreis von 19 Euro, falls nämlich die geforderten Eiweißwerte nicht erreicht werden; dies sei allerdings bisher noch nicht der Fall gewesen.

Ãœber das Vermarktungskonzept „Landmarkt – Besser direkt vom Bauern!“ verkaufen Mitglieder der Vereinigung der Hessischen Direktvermarkter (VHD) regionale Lebensmittel über den Lebensmitteleinzelhandel. Die VHD ist ein Zusammenschluss von über 350 Landwirten, die ihre Produkte selbst erzeugen und direkt an die Verbraucher vermarkten. Eines der Probleme mit der Regionalität wurde am Stand der Marketinggesellschaft Gutes aus Hessen diskutiert: Wenn nämlich ein Ferkel-Erzeuger in direkter Nachbarschaft Hessens liegt, kann sein hessischer Abnehmer im Nachbardorf seine Schweine unter Umständen nicht als „hessisch“ vermarkten. Hier müssten unbedingt praxisnahe Lösungen her, auch um sich nicht dem Vorwurf des Protektionismus auszusetzen, meinte einer der Teilnehmer. Wie er mit einer kleinen Mannschaft 6000 Schüler an 30 Schulen mit regional erzeugtem Essen versorgt, erläuterte Peter Gheorgean vom Regionalbauernverband Starkenburg. Er als Geschäftsführer der Agrarservice Starkenburg GmbH und drei Mitarbeiterinnen betreuten 98 Landwirte mit festen Zulieferverträgen und sorgten so für rund 1,5 Mio. Euro Umsatz. Der Aufwand sei immens, aber ebenso der Image-Gewinn für die Landwirtschaft der Region.

Erfolgsrezept: Mehr als Bio bieten

Thilo Junge, Ulrichstein, vermarktet Biomilch direkt und zu etwa einem Drittel an den Lebensmitteleinzelhandel.

Bei einer Podiumsdiskussion zu Erfolgsrezepten in der Direktvermarktung erläuterten fünf Praktiker unter der Moderation von Journalistin und Buchautorin Tanja Busse („Die Wegwerfkuh“) ihre Konzepte. Thilo Junge, Domäne Selgenhof, Ulrichstein, vermarktet seit Jahren Biomilch direkt – zunächst nur an Privatkunden, mittlerweile zu etwa einem Drittel auch an den Lebensmitteleinzelhandel (LEH). Er habe den Begriff der Region etwas größer fassen müssen, um wirtschaftlich zu vermarkten. Stefan Itter, Eiwels Biobauernhof, Kirchberg, baut alte Getreidesorten an und hält Bentheimer Schweine. Wegen der relativ kleinen Mengen muss seine Wertschöpfung entsprechend hoch sein. Er vermarktet beispielsweise an Biorestaurants und sagt: „Es muss mehr sein als Bio.“ Martin Theisinger, Biometzgerei Martin, Habichtswald-Ehlen, bezieht sein Fleisch von Bio-Betrieben der Region und bedient „Special Interest“ wie etwa Flexitarier, und auch Zunge oder Herz werden gut in der Direktvermarktung abgesetzt.

Carsten Koch, Karl Eidmann GmbH, Wurst- und Fleischwaren, Bruchköbel, führt ein größeres Unternehmen, das sich aber regionale Spezialitäten wie „original Frankfurter Würstchen“ auf die Fahnen geschrieben hat. Sein Credo: „Es muss mehr sein als Bio oder Regional, es muss auch wirklich besser schmecken.“ Und dies müsse entsprechend kommuniziert werden. Ebenso wie die Möglichkeiten, das gesamte Tier zu verwerten. Norbert Schill, Bäckerei Schill, Berkatal-Frankershausen, führt seit 1990 den handwerklichen Familienbetrieb und hat 1996 angefangen auf Bio-Produkte umzustellen. Das kostet mehr Zeit und Geld und muss mit der entsprechenden Geschichte verkauft werden, ist der Bäckermeister überzeugt. Auch er betont: Bio alleine reicht nicht.

Regional kontra Bio?

Nicole Nefzger, Regio-Marketing GmbH, stellte die Konzepte und Ziele der hessischen Ökomodellregionen vor.

Auf die Frage des Moderators, ob Bio-Kunden die regionale Herkunft egal sei, antwortete Peter Boguschewski von Phönix Naturkost, dass regionale Bio-Lebensmittel bevorzugt würden, aber auch andere gekauft würden, wenn gerade keine entsprechenden Angebote vorhanden seien. Hans-Jürgen Müller, VÖL, machte die große Konzentration im LEH als Problem aus.

Auch am Nachmittag fand eine Podiumsdiskussion statt, bei der Moderator Jens Joachim (Frankfurter Rundschau) der Frage nachging, wie man mehr regionale Produkte an die hessischen Verbraucher bekommt. Daniel Wendling, REWE-Group, Region Mitte, bemerkte auf die Frage, warum regionale Produkte in der Werbung seines Hauses so weit unten stehen: „Regionalität bedeutet für jeden etwas anderes. Das Konzept Landmarkt – jeder Erzeuger beliefert hierbei den REWE-Markt in seiner Nähe direkt – hat sich gut bewährt, denn die Partner sind seit Jahren dabei. Allerdings gibt es das nur in etwa jedem zweiten Markt. Oswald Henkel vom VHD bestätigte dies und sprach von einer Win-Win-Win-Situation, denn Erzeuger, Vermarkter und Verbraucher profitierten davon. Thorsten Heil, Tegut, sprach sich dagegen aus, „regional“ und „ökologisch“ gegeneinander auszuspielen. „Das gehört eigentlich zusammen, wir sind gerade dabei, das auszubauen.“ Allerdings müsse man etwa bei Paprika außerhalb der Saison natürlich auf beispielsweise spanische Ware ausweichen. Kartoffeln, als typisches Produkt, stünden dagegen ganzjährig aus der Region auch als ökologisch produzierte Ware zur Verfügung.

Dessen zentralistische Strukturen machten es den Marktleitern vor Ort immer schwerer, eigenständig Produkte zu listen. Wie aber kommen die kleinstrukturierten Betriebe der Region in den großen Supermarkt? Peter Klingmann von der Marketinggesellschaft „Gutes aus Hessen“ meinte hierzu, dass es verschieden Wege gebe; das Siegel der MGH belege dazu die regionale Herkunft. Handlungsbedarf bestünde beispielsweis noch im Naturkosthandel, wo es derzeit keine Konzepte zur Vermarktung von regionaler Produktion gebe. Simone Müller betonte, dass für die Ökomodellregion Fulda das Landmarkt-Konzept hier den Weg in die Supermärkte öffne.

Fazit: Eine insgesamt gelun­gene Veranstaltung, die Alter­nativen zur althergebrachten Ablieferungsmentalität an den Landhandel aufzeigte, um für Erzeuger bessere Margen zu ermöglichen. Schade nur, dass trotz gegenteiliger Aussagen immer wieder das Fass vom Gegensatz ökologisch-konventionell aufgemacht wurde. Aussagen wie „die ökologische Landwirtschaft muss als zukunftsfähige Landwirtschaft unterstützt werden“, oder – auch auf die Bio-Förderung bezogen – „Lebensmittel müssen gesünder werden“ rücken im Umkehrschluss immer wieder die große Mehrheit konventionell wirtschaftender Betriebe in ein schlechtes Licht.

„Echt hessisch“

Zur Aktionsgemeinschaft „Echt hessisch“ haben sich die Vereinigung Ökologischer Landbau Hessen (VÖL), die Vereinigung Hessischer Direktvermarkter (VHD), die Regio-Marketing GmbH und die Marketinggesellschaft Gutes aus Hessen GmbH zusammengefunden. Finanziell unterstützt durch das Hessische Landwirtschaftsministerium sollen in den nächsten Jahren zahlreiche Projekte und Veranstaltungen Erzeuger, Verarbeiter, Händler, Gastronomen und Großküchenleiter zusammenbringen. Die Aktionsgemeinschaft will Hilfestellungen für den Aufbau neuer Wertschöpfungsketten geben und neue Vertriebswege für die Direktvermarkter erkunden und fördern, heißt es auf ihrer Homepage (www.echt-hessisch.info).

LW
KB – LW 45/2016