Bürokratieabbau zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Frühjahrstagung 2012 der Agrarsozialen Gesellschaft in Hessen

Die Frühjahrstagung der Agrarsozialen Gesellschaft (ASG) zu aktuellen Themen aus der Landwirtschaft und dem ländlichem Raum wird jeweils in einem anderen Bundesland ausgerichtet. Diese fand vom 9. bis 11. Mai in Hessen statt. Innerhalb der dreitägigen Tagung veranstaltet die ASG eine Vortragsveranstaltung zu einem Schwerpunkt, die in diesem Jahr in Bad Nauheim stattfand und welche sich mit den Reformvorschlägen der europäischen Agrarpolitik befasste.

Eröffnet wurde die diesjährige Tagung der ASG auf dem Kronenhof der Familie Wagner in Bad Hom­burg. Dort sprach Hessens Landwirtschaftsministerin Lucia Puttrich über die weitere Entwicklung der er­neuerbaren Energien in Hessen.

Staatsministerin Lucia Puttrich sprach zur Eröffnung über den Ausbau er­neu­er­ba­rer Energien in Hessen.

Foto: Michael Busch

HBV-Präsi­den­t Friedhelm Schneider kritisierte, dass für die Landwirte eine zu hohe Regelungsintensität aus Brüssel komme.

Foto: Michael Busch

Die darauf folgende Vortrags- und Diskussionsveranstaltung stand unter dem Titel „Die neue Agrar- und Strukturpolitik der EU: Bürokratieabbau zwischen Anspruch und Wirklichkeit.“ Steigende Bürokratie­lasten für die nationalen Verwaltungen erwartet das Johann-Heinrich-von-Thünen-Institut (vTI) von den Verordnungsentwürfen der EU-Kommission für die künftige Förderung der ländlichen Entwicklung im Rahmen der anstehenden Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Bei der AGS-Frühjahrstagung bezifferte Barbara Fährmann vom vTI-Institut für ländliche Räume den Kostenanteil we­gen EU-spezifischer Kontroll- und Dokumentationserfordernisse auf 10 bis 30 Prozent.

Obwohl die Verwaltungen bereits jetzt zum Teil überfordert seien, werde der von ihnen zu erbringende bürokratische Aufwand künftig weiter zunehmen. Sie verwies auf Einschätzungen europäischer Institute, nach denen die Leis­tungsfähigkeit der öffentlichen Verwaltungen bereits als ein kritischer Faktor ge­wertet werde, die neuen strate­gischen Elemen­te in der Zweiten Säule mit Leben zu füllen. In ähnliche Richtung laufe die Stellungnahme des Europäi­schen Rechnungshofs (EuRH). Aus dessen Sicht sei der Rechtsrah­men zu komplex. Einige Maßnahmen seien mit übermäßigem Verwaltungsaufwand verbunden und einzelne relevante Rechtsvorschriften verwirrend. „Wirkliche Vereinfachung ist durch die neuen EU-Regularien nicht zu erwarten“, so Fährmann.

Bund-Länder-Zusammenarbeit

Dr. German Jeub vom Bundeslandwirtschaftsministerium bezeichnete eine durchgreifende Vereinfachung der Gemeinsa­men Agrarpolitik (GAP) und die Entlastung von Landwirtschaft und staatlichen Verwaltungen von Bürokratie als eines der zentralen Ziele der Bundesregierung.

Prof. Dr. Peter Michael Schmitz kritisiert, dass die künftige GAP nicht zu einer Ver­­­­besserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit beiträgt.

Foto: Michael Busch

Dr. Karl-Heinz Heckelmann sprach zum Thema„Wie sind die Lasten für die Verwaltung? – Praxiserfahrungen vor Ort.“

Foto: Michael Busch

Prof. Michael P. Schmitz von der Universität Gießen äußerte Zweifel an dessen Realisierbarkeit.

IT-Systeme aufbauen

Hilfreich zur Linderung des Bürokratieproblems wäre nach Auffassung von vTI-Wissenschaftlerin Fährmann eine effizientere Zusammenarbeit von Bund und Ländern jenseits aller „Föderalismusbefindlichkeiten“. Als mögliche Handlungsfelder nannte Fährmann den koordinierten Aufbau von IT-Systemen, einen verstetigten Informationsaustausch auch jenseits der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes (GAK) sowie gemeinsame „schlagkräftige“ Ver­­handlungen mit der EU-Kom­mission im Zuge der Programmgenehmigungen. Daneben müsse in den Ländern die Erkenntnis reifen, dass ohne kom­petentes, erfahrenes Personal eine Nutzung von EU-Mitteln nicht effizient möglich sei.

Botschaft in Brüssel angekommen

Jeub kritisierte, dass die Vorschläge der EU-Kommission den Forderungen der Mitgliedstaaten nach Vereinfachung nur unzureichend Rechnung trügen. Die EU selbst schätze den angeblich „unvermeidbaren“ zusätzlichen Bürokratieaufwand ihrer Vorschläge auf 15 Prozent. Ursache seien insbesondere die Vorschläge zur Umgestaltung des Direktzahlungssystems, angefangen von der praktisch für die Mitgliedstaaten nicht umsetzbaren Definition des aktiven Landwirts über die Kappung und Degression der Direktzahlungen bis hin zu der vorgesehenen obligatorischen Einführung einer Kleinerzeugerregelung sowie Sonderprämien für Junglandwirte. Vor diesem Hintergrund habe Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner im Februar diesen Jahres der EU-Kommission ein von Experten aus Bund und Ländern erarbeitetes Diskussionspapier mit insgesamt 63 konkreten Vereinfachungsvorschlägen übersandt. Inzwischen seien zahlreiche Mitgliedstaaten der deutschen Initiative gefolgt und hätten eigene, in weiten Teilen vergleichbare Vorschläge unterbreitet. Im März habe sich der Agrarrat ausführlich mit Vereinfachungsfragen befasst. Die dänische Präsidentschaft beabsichtige, in ihren für Juni angekündigten Fortschrittsbericht zur GAP-Reform die Ergebnisse der Beratungen zum Thema Vereinfachung aufzunehmen. Der Fortschrittsbericht solle vor allem dem Europäischen Parlament als Orientierung dienen. Kürzlich habe ein Meinungsaustausch zwischen dem Bundeslandwirtschaftsministerium und der Kommission sowie Vertretern des Kabinetts des Kommissars zu den Vereinfachungsvorschlägen stattgefunden.

Falsche Prioritäten

Schmitz erwartet nach einer Analyse der Brüsseler Reformvorschläge „mehr Bürokratie für Landwirte und Verwaltung“. Besonders kritisiert der Agrarökonom, dass die künftige GAP mit ihren neuen Elementen vor allem auf klima-, umwelt-, ver­braucher- und tierschutzpolitische Ziele sowie die Entwicklung ländlicher Räume ausgerichtet werden solle, eine Ver­­­­besserung oder zumindest die Erhaltung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit jedoch eine untergeordnete Rolle spiele. Der Direktor des Instituts für Agribusiness wies darauf hin, „andere große Spieler auf den globalen Agrar- und Nahrungsmittelmärkten setzen ihre Prioritäten anders“. Dort stehe eine wirtschaftlich starke Agrar- und Ernährungswirtschaft im Vordergrund. Exportmarketing mit staatlicher Begleitung sorge dafür, „dass man im internationalen Wettbewerb die Nase vorn hat“. Für Schmitz ist eine Reform der europäischen Agrarpolitik nur dann zukunftsfähig, wenn Agrarpolitik nicht vorrangig Schutz- und Umverteilungspolitik sei, sondern „eine Politik zur Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und des nachhaltigen Wachstums“.

Für teilweise Renationalisierung

Podiumsdiskussion zur Veranstaltung der Agrarsozialen Gesellschaft in Bad Nauheim mit (von links): Dr. Sabine Awe, ASG-Vorsitzender Dr. Martin Wille, Barbara Fährmann, und Dr. German Jeub.

Foto: Michael Busch

Der Präsident des Hessischen Bauernverbandes (HBV), Friedhelm Schneider, schlug eine teilweise Renationalisierung der GAP vor, um der „Brüsseler Regelungsintensität“ entgegenzuwirken. Er könne sich vorstellen, bestimmte Politikbereiche wieder in die vollständige nationale Umsetzung zu geben, sagte Schneider. Voraussetzung dafür sei jedoch „eine feine Austarierung“. Scharfe Kritik übte der Verbandspräsident an den gegenwärtigen Cross-Compliance-Regelungen. Die Kontrolle der Einhaltung von derzeit 18 Richtlinien und Verordnungen „vom Umweltschutz über die Gesundheit von Mensch, Tier und Pflanze bis zum Tierschutz“, die teilweise auch mit nationalen Rechtsvorschriften unterlegt seien, koste die Betriebsleiter viel Zeit, das Land und die Landkreise „richtig Geld“. Selbst bei Verletzung einer nationalen Rechtsvorschrift, „die bestenfalls auf den zweiten Blick“ einen direkten Zusammenhang zur Landwirtschaft habe, drohe „das Schwert der Kürzung der Betriebsprämie und der weiteren Prämien“. Die Kürzungen könn­ten sich massiv in den Betrieben auswirken. Er verglich Cross Compliance damit, „dass die Verwaltung einer Familie das Kindergeld streicht, wenn Vater oder Mutter das Kind zur Schule bringen und bei Rot über die Ampel fahren.“ Das deutsche Recht kenne die Form der dop­pel­ten Sanktionierung sonst nicht.

Weniger emotionale Visionen

Dr. Karl-Heinz Heckelmann, Leiter des Amtes für den ländlichen Raum in Bad Homburg, rechnet bei Umsetzung ebenfalls mit deutlich mehr Bürokratie. Er sieht Handlungsbedarf und spricht sich dafür aus, Program­me aus der zweiten Säule zu verschlanken und innerhalb der Förderperiode nicht zu verändern. Insgesamt seien weniger emotionale Visionen, aber dafür mehr fachliche Entscheidungshilfen nötig und das Maß der Kontrollen auf EU-Vorgaben zu reduzieren.

age/LW