Clemens Tönnies beim Tag der Landwirtschaft in Korbach

„Unsere Gesellschaft lebt von Toleranz“

Begleitet von Protesten von Umweltaktivisten gegen die ihrer Ansicht nach „industrialisierten Massentierhaltung“ fand vorletzte Woche der „Tag der Landwirtschaft“ in Korbach statt. Die Demonstration richtete sich gegen Gastredner Clemens Tönnies, Chef des umsatzstärksten deutschen Fleischkonzerns aus Rheda-Wiedenbrück.

Regionale Produkte und einen Fotoband über Nordhessen überreichten Kreislandwirt Waldeck-Frankenberg Fritz Schäfer (l.) und VLF-Vorsitzender Christoph Dietzel (r.) an Redner Clemens Tönnies.

Foto: Thomas Kobbe

„Ich nehme immer den Vordereingang. Unsere Gesellschaft lebt von Toleranz.“ Keinem Konflikt aus dem Weg zu gehen und sich Kritik zu stellen, dieser Ruf eilt dem 58-jährigen Unternehmer voraus. Direkt, durchsetzungsstark, auch dickköpfig, aber dialogbereit, so präsentierte sich der Gastredner aus Ostwestfalen auch in Korbach – den 20 De­monstranten vor der Stadthalle und rund 200 Zuhörern der Veranstaltung im Saal. Unter anderen nahmen zahlreiche Vertreter der landwirtschaftlichen Verbände sowie aus Verwaltung, Politik und Wirtschaft teil.

Christoph Dietzel, Vorsitzender des Vereins landwirtschaftlicher Fachschulabsolventen (VLF), fasste im Namen der Veran­stalter ausdrücklich auch die Teilnehmer der Protestaktion mit ein. Die Einladung, im Saal mitzudiskutieren, hätten sie aber nicht angenommen, so Dietzel.

150 000 Schweine und 8 000 Rinder pro Woche werden in seinen Unternehmen geschlachtet und weiterverarbeitet, begann Clemens Tönnies seine Ausführungen zum Unternehmen. Die Firmengeschichte begann in den 1970er Jahren, als der Fleischereibetrieb seines Vaters zum Auslaufmodell wurde: „Die Metzgerei an der Ecke war nicht mehr gefragt.“

Inzwischen sei er Chef eines Fleischwaren-Konzerns. Er orientiere sich aber weiterhin an zwei Leitsprüchen seines Vaters: „Wenn Du Tieren das Leben nimmst, dann hast Du das so anständig wie möglich zu tun.“ Und: „Du darfst nur das verkaufen, was Du selbst mit Appetit isst.“ Tönnies sprach weiterhin zur Fleischerzeugung und Verarbeitung in Deutschland und über den Wettbewerb in Europa insbesondere in der sich anschließenden Diskussion.

Dabei wich der passionierte Jäger auch unbequemen Fragen nicht aus, etwa nach dem Streit mit seinem Neffen um die Unternehmensleitung oder nach den 2014 aufgedeckten verbotenen Preisabsprachen („Wurstkartell“). Trotz zurzeit desaströser Erzeugerpreise sehe er für die Schweineproduktion in Deutschland eine Zukunftsperspektive. Nicht zuletzt durch das umstrittene Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) müssten dafür annähernd gleiche Rahmenbedingungen in beiden Wirtschaftsräumen geschaffen werden.

Wichtigstes Ziel, Vertrauen der Verbraucher gewinnen

Den Vorwürfen der Demonstranten entgegnete Tönnies auch mit dem Begriff „sozialer Verantwortung“. Der Präsident Fußballvereins Schalke 04 verwies auch auf die Vorreiterrolle seines Unternehmens in puncto Tierwohl und „schonende Schlachtung“. So würden bei der Betäubung und Entblutung der Tiere modernste Kontrolltechnik eingesetzt um sicherzustellen, dass nur Tiere, die keinen Schmerz mehr empfinden können, zur Weiterverarbeitung in den Brühkessel gelangen. Firma Tönnies beschäftigt eigenen Angaben zufolge insgesamt 8 000 Mitarbeiter. Davon seien bis zu 3 000 zumeist ausländische Arbeitnehmer über Werkverträge angestellt. Tönnies zahle bereits seit dem 1. August 2014 einen Mindestlohn von 8,50 Uhr und habe Mindeststandards für die Unterkunft der Beschäftigten eingeführt. Das entsprechende Modell, der „Sögeler Weg“, sei in Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und Kommunalpolitikern an einem Runden Tisch ausgearbeitet worden.

Nicht alle Landwirte halten Schweine und nicht alle sind Schalke-Fans. So hatte sich auch der ein oder andere Zuhörer am Tag der Landwirtschaft in Korbach durchaus mehr Fachinformationen erhofft. Und dennoch war es ein aufschlussreicher Abend mit Deutschlands größtem Fleischproduzenten, der Verbrauchervertrauen zurückgewinnen will.

Kobbe – LW 9/2015