Digitalisierung vom Praktiker für Praktiker
Digitales Weinbaumanagementsystem
Weinbaubetriebe werden immer größer, gleichzeitig herrscht ein Mangel an Fachkräften – hier können digitale Lösungen helfen, den Einsatz von Mitarbeitern und Maschinen noch effizienter zu gestalten. Hier ein digitales WeinbaumanaÂgeÂmentsystem aus KampaÂgnen-Manager, Live-Tracking und Echtzeit-Darstellung, das beim Planen und Durchführen der Außenbetriebsmaßnahmen hilft.

Foto: Kay Kühne
Weiterhin wurden durch die Europäische Union und die Bundesregierung Gesetze und Verordnungen zum Schutz der Umwelt eingeführt oder geändert, wie kürzlich die Düngeverordnung und davor das Pflanzenschutzgesetz. Diese ÄnderunÂgen erforderten das Umstellen betriebÂlicher Arbeitsweisen, eine veränderte Planung und eine stetig umfangreichere Dokumentation der ArbeitsÂabläufe. Aktuell stellt übrigens auch die Corona-ÂPandemie Betriebe vor neue Herausforderungen. Bei der Personaleinsatzplanung sind Hygienevorschriften und das Kontakt-Minimierungsgebot einzuhalten.
Es ist abzusehen, dass der bestehende Trend zu weiterer Konzentration – weniger, aber größere Betriebe – auch weiterhin anhalten wird. Maschinen werden immer teurer, daher muss auch die Effizienz sowie die Auslastung der Maschinen verbessert werden. Weiterhin besteht ein Mangel an geeigneten Fachkräften in Landwirtschaft und Weinbau. Auch der sogenannten Work-Life-Balance der Mitarbeiter muss ein moderner Betrieb gerecht werden können, um attraktiv zu sein.
Neue Technologien
Unter den Schlagwörtern Digitalisierung und Precision Viticulture werden neuerdings Verfahren und Technologien im Weinbau etabliert, welche, unter Einbezug von Sensortechniken, Big Data und autonomen Maschinen, die künftigen Herausforderungen durch Klimawandel, Globalisierung und Dokumentationspflichten bewältigen sollen. Die meisten Menschen denken tatsächlich immer zuerst an Drohnen, wenn sie von Precision Viticulture, wie der Präzisions-Weinbau in englischer Sprache genannt wird, hören. Aber Drohnen, im Fachjargon Unmanned Aerial Vehicle (UAV), sind nur eines von vielen Werkzeugen. Precision Viticulture steht für eine bedarfsorientierte Bewirtschaftung heterogener WeinbergsÂflächen mittels Einsatz von GPS und sensorgestützter Technik zur Maximierung der Traubenqualität und gleichzeitiger Minimierung der Umweltbelastung. Das Vorbild hierzu stammt aus der digitalen Landwirtschaft, dem Digital Farming. Dabei ist jedoch die oftmals von Großunternehmen angestrebte Monopolisierung des Digital Farmings in die Kritik der Landwirte geraten.
Vom Praktiker für Praktiker
Einen entgegengesetzten Ansatz vertreten die alljährlichen Förderprogramme der EuroÂpäischen Innovationspartnerschaft Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit (EIP-Agri) unter dem Motto „Vom Praktiker für Praktiker“, in denen sich Landwirte und Winzer mit Forschungseinrichtungen und Entwicklern in sogenannten operationellen Gruppen zusammentun. Dieses Leitbild wird am Weincampus Neustadt durch Andreas Düker, den Profes-sor für Precision Viticulture, vertreten. Angewandte Forschung bedeutet für ihn, dass die jeweiligen Bedarfe direkt aus den Betrieben stammen sollen und die entsprechenden Lösungen gemeinsam mit den Praktikern für deren spezielle Anforderungen und Ziele erarbeitet und entwickelt werden müssen.
Viele Betriebe sind jedoch aufgrund der neuen Technologien verunsichert und äußern beispielsweise Bedenken bezüglich der Nutzung einer Cloud. Eine Cloud, auch als „Wolke“ bezeichnet, ist dabei nichts anderes, als ein Daten-Server, also ein Computer außerhalb des eigenen ÂBetriebs, der von einem Unternehmen verwaltet wird. Immer wieder kommen Anfragen, ob die Cloud auch sicher sei, und ob man dadurch sogar seine Datenhoheit verliere? Diese Bedenken berücksichtigend entwickelt sich der Trend, seine Daten auf dem betriebseigenen Rechner zu verwalten und nur im Bedarfsfall mit Fremden zu teilen.
Auch die hier vorgestellte Technologie folgt diesem Verlangen der WeinbauÂbetriebe. Die Installation der Software erfolgt auf dem betriebseigenen Computer und wird im Bedarfsfall durch Fachpersonal vor Ort gewartet – die DatenÂhoheit bleibt damit zu 100 Prozent bestehen. Selbstverständlich können ausgewählte Daten jedoch jederzeit vom Betrieb aus übermittelt werden, beispielsweise an Lohnunternehmen und andere Partner. Auf die restlichen Daten des Betriebs kann jedoch kein Außenstehender zugreifen. Damit folgt die vorgestellte Entwicklung sogar dem Beispiel des Agrarportals Rheinland-Pfalz mit seiner Geobox-Infrastruktur, bei der die Betriebe, wenn sie über die sogenannte Hof-Box angeschlossen sind, ebenfalls die Datenhoheit bezüglich ihrer Hof-Daten behalten.
Herausforderungen im Betrieb
Das Weingut Heinz Pfaffmann bewirtschaftet nach Bioland-Richtlinien 160 ha Weinberge. Die Weinberge umfassen 34 Rebsorten in mehreren Anbausystemen und unterteilen sich in 900 Flurstücke, welche sich über zwölf Gemarkungen in einem Umkreis von 10 km um das Weingut im pfälzischen Walsheim nahe Landau erstrecken. Administrativ fällt eine jährliche Prüfung der Schlagkartei mit den jeweiligen Behörden und KonÂtrollstellen an. Solche Schlagkarteien haben in Papierform einen Umfang von 50 und mehr Seiten: Eine händische AktuaÂliÂsierung erfordert oftmals Tage.
Auch aus betrieblicher Perspektive ist es nicht trivial, die Arbeit von mehreren Mitarbeitern zu planen, zu koordinieren und den Fortschritt zu überwachen. Besonders im ökologischen Pflanzenschutz ist der Ausbringungszeitpunkt der Pflanzenschutzmittel sehr bedeutend, da es sich hier ausschließlich um Kontaktmittel handelt und die Ausbringmenge so gering wie möglich sein soll. Dies erfordert Âpräzise abgestimmte Pflanzenschutz-ÂKampagnen und eine genaue Aufgabenverteilung der Beteiligten.
Auch das Training von Außenbetriebs-ÂMitarbeitern am Arbeitsplatz gestaltet sich durch die stark parzellierten Weinberge schwierig. Regulär werden neue Mitarbeiter in bestehende Teams inteÂgriert, bis sie die Weinberge ausreichend kennen, um selbstständig arbeiten zu können. Neue Traktorfahrer müssen im Tandem-ÂPrinzip einem ortskundigen Traktorfahrer folgen und die gleichen Weinberge abarbeiten.
Lösung in Eigenentwicklung
Um diesen Problemstellungen zu begegnen, ist das Weingut Heinz Pfaffmann 2018 an das Karlsruher Institut für TechnoÂlogie (KIT) herangetreten, um in einem Projekt die Chancen und Möglichkeiten am Beispiel der jährlichen Pflanzenschutz-Spritzungen zu untersuchen. Aus diesem Projekt ist eine eigenständige Lösung entstanden, die 2019 das erste Mal an Spritz-Kampagnen erprobt wurde und nachfolgend auf alle Außenmaßnahmen eines Weinbaubetriebs erweitert wurde.
Die Grundlage für das System bildet eine Schlagkartei. Die Aufgabe der Schlagkartei ist es, bestehende Daten zu bereinigen und automatisiert mit offiziellen Geo-Daten und InformatioÂnen aus dem FLOrlp und WeinInformaÂtionsPortal des Landes Rheinland-Pfalz zusammenzuführen. Dies ermögÂlicht genaue Abmaße aller Schläge sowie ein klares Versionierungs- und Änderungs-Management ohne hohen manuellen Aufwand. Darüber hinaus bietet die Schlagkartei die zentrale Dokumentation aller Maßnahmen direkt am Eintrag des jeweiligen Schlages. Aus den bereinigten Daten können exakte Schlagkarten beliebiger Größe erstellt und gedruckt werden. Dies ermöglicht es, mit Farboptionen und Filtern schnell Karten für spezielle Anwendungsfälle zu generieren und mit in den Weinberg zu nehmen.
Das Kernstück des Systems bildet der Kampagnen-Manager. Er erlaubt die intuitive Planung von Kampagnen wie Pflanzenschutz-Spritzungen auf Basis der Daten aus der Schlagkartei. Aus dem Zusammenspiel mit Tablets in den Traktoren ergibt sich eine Arbeits-Fortschrittsanzeige und Übersicht über alle Arbeitsmittel in Echtzeit während der Durchführung der Kampagne. Das erlaubt auch Nachverfolgung und dynamisches Umplanen, um sich an geänderte Bedingungen anzupassen. Nach Abschluss einer Kampagne wird die Maßnahme automatisch in der Schlagkartei bei den entsprechenden Feldern hinterlegt. Außerdem können Karten, Zusammenfassungen und Nachweise erstellt werden.
In den Traktoren sind die Mitarbeiter mit handelsüblichen Tablets mit mobilem Internet ausgestattet. Eine extra entwickelte App für alle Android-Geräte, die ohne Zusatzequipment genutzt werden kann, fungiert im Grunde als angereichertes Navigationssystem für den Weinbau. Die Fahrer verfügen so unterwegs über freie Navigation mit genauen Karten und eingezeichneten Schlägen und können sehen, welche Weinberge sie noch fahren müssen, welche bereits erledigt sind und welcher Kollege noch welche Weinberge fahren muss. Die App übermittelt ihre aktuelle Position an den Kampagnen-Manager und erlaubt so eine Echtzeit-Nachverfolgung und dynamische Anweisungen. Darüber hinaus können sich die Fahrer gegenseitig leichter absprechen und füreinander einspringen. Aufwendiges Hantieren mit Papierkarten oder Vorfahren unbekannter Gebiete entfällt komplett.
Zusammengefasst erlaubt das System dynamisches Planen und Umplanen sowie eine klare Übersicht zu jedem Zeitpunkt. Dabei werden gezielt auch die ProÂbleme großer Betriebe in der KoordinaÂtion vieler Mitarbeiter gelöst. Das System läuft auf eigener Ausrüstung auf dem Hof oder einem kostengünstig gemieteten Server bei einem beliebigen deutschen Anbieter und bedarf keiner Installation auf einzelnen PCs. Durch diesen Aufbau ist die Hürde für Betriebe minimal und erlaubt gleichzeitig die Kontrolle über die eigenen Daten – wenn gewünscht verlassen sämtliche Informationen nicht einmal das Betriebsgelände.
Sofortiger Mehrwert
Für das Weingut Heinz Pfaffmann hatte die Einführung des Systems bereits in der ersten Saison einen großen Nutzen. So konnte die Dauer der Spritz-Kampagne verkürzt werden, da Traktoren besser koordiniert wurden und Doppelbefahrungen ausgeschlossen werden konnten. Weiterhin stellte die Kartenanzeige eine Erleichterung für die Fahrer dar, da so auf einen Blick der Arbeitsstatus der Weinberge abgelesen werden konnte. Der größte Nutzen bestand allerdings in der Möglichkeit, neue, ortsunkundige Fahrer direkt einsetzen zu können, etwa um den Ausfall eines regulären Fahrers zu kompensieren.
Weiterhin begannen die Fahrer im Laufe der Kampagne, das System auch selbstständig zur Arbeitserleichterung zu nutzen. Beispielsweise sprach sich ein Fahrer, als die Spritzbrühe seines Tanks zur Neige ging, mit einem anderen Fahrer in der gleichen Region ab. Der zweite Fahrer übernahm die Spritzung der noch nicht behandelten Weinbergszeilen, sodass der andere Fahrer nicht mehr extra zurückkehren musste und stattdessen direkt Âwoanders weiterarbeiten konnte.
Fazit
Das vorgestellte System aus KampagÂÂnen-Manager, Live-Tracking und Echtzeit-SituÂationsdarstellung hilft bei der Planung und Durchführung der Maßnahmen im Außenbetrieb – sowohl für einzelne Mitarbeiter als auch für Kampagnen mit mehreren, sich gegenseitig ergänzenden Maschinen.
Durch die Optimierung von Wegstrecken werden außerdem Kraftstoffverbrauch und Arbeitszeit für bestimmte Arbeitsgänge nicht unerheblich reduziert: So verzeichnet das Weingut Heinz Pfaffmann seit Einführung des digitalen Systems eine Verkürzung der Spritzdauer um zehn bis 15 Prozent sowie die damit einhergehenden Kosteneinsparungen für Maschinennutzung, Kraftstoffverbrauch und Arbeitszeit.
Während das System zwar als PilotÂprojekt beim Weingut Heinz Pfaffmann erprobt wurde, wird die eigentliche Lösung von Kay Kühne (krknet.de) komplett unabhängig betrieben. Der nächste ökologisch und ökonomisch sinnvolle Schritt wäre, die vorgestellte Technologie um ein Modul zu erweitern, mit dem künftig auch Einsparungen im Pflanzenschutz möglich wären. Eine solche Erweiterung setzt jedoch zunächst die Kenntnis über das jeweilige Kleinklima in den einzelnen Schlägen des Weinguts voraus. Eine entsprechende Kooperation zur digitalen Erfassung des Kleinklimas ist deshalb bereits in Planung. Hierdurch ließe sich nicht nur der Pflanzenschutz präziser gestalten, sondern ebenfalls präzisere Entscheidungen bezüglich aller klimaabhängigen Maßnahmen, etwa auch der Bewässerung, treffen. Das System kann somit Schritt für Schritt um weitere Technologien des Precision Viticulture erweitert werden, um den Weinberg künftig präziser und vor allem auch aktuell, in Zeiten des Klimawandels, ressourcenschonender bewirtschaften zu können. Dabei profitieren, vor allem aufgrund der Fahrwegoptimierung, auch bereits kleinere Betriebe von dieser Technologie.
Kay Kühne, Prof. Andreas Düker, TH Bingen/Weincampus Neustadt, Pawel Hener, Weingut Heinz Pfaffmann – LW 26/2020