Energieversorgungsleitungen sachgerecht entschädigen

Fünftes Leitungsbausymposium des HLBS in Kassel

Der Hauptverband der landwirtschaftlichen Buchstellen und Sachverständigen (HLBS) tagte in der vergangenen Woche in Kassel und erörtere aktuelle Themen zum Leitungsbau. Dazu trafen sich nahezu 100 Sachverständige, Vertreter des landwirtschaftlichen Berufstandes, der Energieversorgung sowie von Planungs- und Ingenieurbüros, um Aktuelles zum Thema Leitungsbau zu erfahren.

Dr. Ursula Heimann, Bundesnetzagentur, Bonn.

Foto: C. Grebing

Im Rahmen der Umsetzung der Energiewende wurde seit 2011 eine Vielzahl an Gesetzen und Gesetzesänderungen verabschiedet, auf deren Basis in den nächsten 20 Jahren 5 700 km Energieversorgungsleitungen neu gebaut und erneuert werden sollen. Dr. Volker Wolfram, Vorsitzender der HLBS-Fachgruppe Landwirtschaft Hessen, eröffnete die Veranstaltung mit Informationen zum Stand der heutigen Entschädigungspraxis. Er halte den Austausch zwischen allen Beteiligten über die Anpassung der Entschädigungssätze für äußerst wichtig, insbesondere vor dem Hintergrund der Umsetzung neuer gesetzlicher Re­gelungen zur Erdverkabelung. Neben dem erheblichen Eingriff in den Boden würde dies ein Vielfaches gegenüber den bisherigen Planungen zum Ausbau des Energieleitungsnetzes kosten.

Anpassung der Entschädigung erforderlich

Unverständlich sei, warum bei den Sätzen für die Dienstbarkeits­entschädigung gegenüber den Grundeigentümern, welche den massiven Eingriff in Grund und Boden schließlich ausgleichen soll, keine sachgerechte Anpassung erfolge. Bereits in den 1960er Jahren etablierte sich der Regelsatz von 20 Prozent vom Verkehrswert für die Dienstbarkeitsentschädigung, der bis heute Anwendung findet. Auswertungen aus in jüngster Zeit geschlossenen Rahmenvereinbarungen zwischen Berufstand und Energieversorgern weisen eine Spannbreite bei enteignungsfähigen Leitungen von 0,60 bis 1,80 Euro/qm Schutzstreifen bei Stromleitungen und 1,20 bis 4,00 Euro/qm bei Gasleitungen aus. Dies spiegle eine Dienstbarkeitsentschädigung von 30 bis 40 Prozent des Verkehrswertes wider.

Übertragungsnetz in Deutschland ausbauen

Die Bundesnetzagentur (BNetzA) gebe es nicht erst seit der Energiewende. Sie sei schon lange Regulierungsbehörde für die Bereiche Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen, leitete Dr. Ursula Heimann ihren Vortrag zum aktuellen Stand des Übertragungsnetzausbaus und zur Bundesbedarfsplanung ein. Wesentlicher Teil des Bundesbedarfsplans ist eine Liste künftiger Höchstspannungsleitungen. Für die darin enthaltenen Vorhaben sind mit dem Erlass des Bundesbedarfsplangesetzes (BBPlG) die energiewirtschaftliche Notwendigkeit und der vordringliche Bedarf verbindlich festgestellt. Der Bundesbedarfsplan enthält zwischen den Anfangs- und Endpunkten der notwendigen Leitungen 500 bis 1000 m breite Trassenkorridore, aber noch keine konkreten Trassenverläufe.

Der Bundesbedarfsplan sieht derzeit insgesamt 43 Vorhaben vor, 16 davon in der Zuständigkeit der BNetzA. Heimann stellte die Bundesfachplanung vor, das zentrale Verfahren, in dem Trassenkorridore festgelegt werden, die dann im nachfolgenden Planfeststellungsverfahren und für den Verlauf der späteren Trasse verbindlich sind. Sie ging weiter auf die im Dezember 2015 vorgenommenen gesetzlichen Änderungen zur Erdverkabelung bei Drehstrom- und Gleichstromleitungen (HDÜ/HGÜ) ein. So würden bei HDÜ-Erdverkabelungen nunmehr elf statt wie bisher vorgesehen vier Pilotprojekte aufgenommen. Bei HGÜ-Leitungen wäre mit der neuen Regelung in § 3 BBPlG grundsätzlich ein Vorrang für Erdverkabelung vorgesehen und nur unter bestimmten Ausnahmetatbeständen (zum Beispiel Artenschutzgründe) eine Freileitung möglich. Ein Freileitungsausschluss in Siedlungsnähe sieht § 3 Absatz 4 BBPlG vor.

Die BNetzA fungiere als Zulassungs- und Genehmigungsbehörde, welche die Planungen der Übertragungsnetzbetreiber prüft und weitere Abwägungsentscheidungen zu treffen hat. Sie sei damit Planfeststellungsbe­hörde für bestimmte Vorhaben wie HGÜ-Leitungen (SüdLink) und habe sich auch mit Entschädigungsfragen zu befassen, richte sich aber grundsätzlich nach den Rahmenvereinbarungen, so Heimann. Die Behörde sei jedoch nicht zuständig für Enteignungsverfahren. Sie empfahl auf Nachfrage aus dem Forum, dass betroffene Grundeigentümer ihre Einwendungen möglichst frühzeitig in das Verfahren einbringen sollten. Erste Öffentlich­keits- und Bürgerbeteiligungen fänden bereits statt, bevor der Antrag der Vorhabensträger bei der BNetzA eingereicht würde.

Funktion Sachverständiger bei Leitungsbauprojekten

Am Beispiel des Erdkabelabschnittes der 380 kV-Leitung Raesfeld, Kreis Borken, NRW, stellte Nico Wolbring seine Tätigkeit als Sachverständiger auf dem 3 400 m langen HDÜ-Pilotprojekt vor. Er begann seine Arbeit 2010 im Zuge von Vor­tragsveranstaltungen und hatte den Auftrag, die Öffentlichkeit sowie die betroffenen Grundeigentümer und Landnutzer hinsichtlich der Eingriffsgröße und der Entschädigungspositionen für den Rechtsverlust (Grunddienstbarkeit) sowie Flur- und Folgeschäden zu informieren. Auf einer Trassenbreite von 41,50 m (davon 22,60 m Schutzstreifen) wurden zwei Gräben bis zu einer Tiefe von 2,20 m und je 5,50 m Breite ausgehoben. Zwischen den Gräben verläuft eine 10 m breite Baustraße. In jedem Graben wurden drei 14 cm dicke isolierte Kupferkabel in Schutzrohren verlegt. Diese wurden in Flüssigboden als thermisch stabilisierendes Bettungsmaterial verbracht, der aus einer Mischung von 95 Prozent Unterboden sowie 5 Prozent Kalk, Sand und Ton bestehe.

Nico Wolbring, öbv Sachverständiger aus Borken in Westfalen.

Foto: C. Grebing

Prof. Dr.- Ing. Habil. Lutz Hofmann, Leibnitz Universität Hannover.

Dr. Christoph Thiel, TenneT TSO GmbH, Bayreuth.

Rechenbeispiel zur Entschädigungszahlung

Anhand der Rahmenregelung zwischen Firma Amprion GmbH und dem Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverband (WLV) stellt Wollbring die Berechnung einer Entschädigungszahlung vor, bezogen auf eine Beispielfläche mit 300 m Trassenlänge: Auf der Basis von 7,50 Euro je qm Verkehrswert wurden 30 Prozent Dienstbarkeitsentschädigung für den Schutzstreifen (2,25 Euro/qm x 6 780 qm = 15 255 Euro) vereinbart. Hinzu kommen 10 Prozent des Verkehrswertes für den Arbeitsstreifen (0,75 Euro/qm x 12 450 qm = 9 338 Euro). Der Beschleunigungszuschlag beträgt 20,00 Euro/lfm (20 lfm x 300 m = 6 000 Euro). Ferner wird ein Zuschlag in Höhe von 1 Euro/qm Arbeitsstreifen für den Pilotcharakter des Projektes gezahlt (12 450 Euro). Eine einmalige Aufwandpauschale wurde mit 1 500 Euro angesetzt. Daraus ergeben sich 44 543 Euro Gesamtentschädigung. Das Projekt wird von einer wissenschaftlich orientierten Monitoringgruppe begleitet. Als Sachverständiger sei er für die Bewertung der Schadensflächen und Berechnung der Entschädigungszahlungen im Zuge des ertragskundlichen Monitorings zu­ständig. Die Schadensflächen werden dazu regelmäßig von Drohnen überflogen und Ertragskartierungen vorgenommen. Die bodenkundliche Baubegleitung nebst Rekultivierungsmaßnahmen würde durch den Einsatz von weiteren Sachverständigen im Rahmen des Konzeptes zur bodenschonenden Bauweise umgesetzt, so Wollbring.

Den technischen Teil des Vortrages zum Drohneneinsatz ergänzte Prof. Dr. Eike Stefan Do­bers, Hochschule Neubrandburg. Pro Flug können bis zu 300 ha überflogen werden. Dabei werden 60 bis 80 Einzelaufnahmen mit spezieller Software ausgewertet und über eine Mosaikierung zu einem Orthofoto verarbeitet. Anhand der ausgewerteten Bilder könne man eindeutig Areale mit Ertragsunterschieden bestimmen. Dies wäre ein zeitsparendes Hilfsmittel für den Sachverständigen. Dennoch seien weitere Untersuchungen am Boden hinsichtlich Schadensursachen sowie eine exakte Schadensermittlung unabdingbar.

HGÜ-Erdkabel – Von der Planung bis zur Umsetzung

Dr. Christoph Thiel, TenneT TSO GmbH berichtete über die Erdverkabelung und Notwendigkeit von HGÜ-Gleichstromleitungen. Die derzeitige volatile Stromproduktion, besonders aus der Ein­speisung von Strom aus Wind- und Solarenergie, erfordere stabilisierende Eingriffe im Stromnetz, die etwa 1 Mrd. Euro Kosten verursachen. Durch Gleichstromleitungen wie die HGÜ-SüdLink könnten diese Kosten erheblich gesenkt werden. Weiter sorge diese Übertragungstechnik für einen verlustarmen, gleichbleibenden und sicheren Stromtransport für weite Strecken. Sämtliche Trassenabschnitte müssten aufgrund der letzten Gesetzesänderungen in Form von Erdverkabelungen neu geplant werden. Gemäß den Vorgaben aus der Bundesfachplanung zeichne sich ein sehr detailliertes Planungsverfahren ab, mit einer Vielzahl an zu berücksichtigenden Kriterien in unterschiedlichen Planungsphasen. Dies verzögere den zeitlichen Planungsablauf vermutlich um zwei bis drei Jahre, so Thiels Einschätzung. Er ging auf den Stand der Technik bei erdverlegten HGÜ-Leitungen ein und stellte den Aufbau eines Kabelgrabens, der aus je zwei Einzelgräben mit je zwei Kabelsträngen besteht, die im Abstand bis zu 8 m voneinander und in einer Tiefe von 1,30 m verlegt werden sollen. Insgesamt werde ein Arbeitsstreifen von 40 m Breite in Anspruch genommen. Mittelfristig sollen neu entwickelte 320 kV-VPE Kabel (Kunststoffkabel mit einer Isolation aus vernetztem Polyethylen) für Spannungsebenen bis 525 kV zum Einsatz kommen und die bislang verwendeten masseimprägnierten Kabel ersetzen. Dadurch würden weniger Kabeladern benötigt und die Kabeltrassen schmaler, stellte Thiel abschließend heraus.

Neue Richtsätze beim Leitungsbau

Rechtsanwalt Ulrich Böcker, Potsdam, referierte über Ansätze zu neuen Entschädigungssätzen beim Leitungsbau aus Sicht der betroffenen Grundeigentümer. Er stütze sich dabei auf Zielaussagen des aktuellen Koalitionsvertrages, wie Erreichen breiter Akzeptanz in der Bevölkerung, Überprüfung der derzeitigen Entschädigungspraxis, faire Entschädigungssätze für Grundeigentümer. Derzeit lägen allerdings noch zahlreiche offene technische Fragen zum Leitungsnetzausbau vor, und von einer breiten Akzeptanz der Bevölkerung könne nicht die Rede sein. Überprüft werden solle die derzeitige Entschädigungspraxis durch ein in Auftrag gegebenes Gutachten des Bundeswirtschaftsministeriums.

Böcker erhebt bereits jetzt, nach Vorlage eines ersten Entwurfes des Gutachtens, Zweifel an relevanten Ergebnissen, da kein methodisches Vorgehen sichtbar sei und kaum nachvollziehbare Datengrundlagen vorlägen. Die „old-school“-Entschädigungspraxis erfolge nach wie vor in Form einer Einmalzahlung für einen dauerhaften Eingriff und eine „ewige“ Belastung. Das käme einer fairen Entschädigung nicht nahe. Im Vergleich zur Schweiz würden dort Entschädigungen befristet, Altanlagen nachentschädigt. Ein Über­prüfungsgebot bestehe bei wesentlichen Veränderungen der Rahmenbedingungen auf Basis detaillierter Entschädigungskataloge. Böcker forderte wiederholt, dass vom Netzausbau betroffene Grundstückseigentümer in jedem Fall an der Wertschöpfung der Durchleitung teilhaben müssen. Die Messlatte solle im Bereich von über 9 Prozent Eigenkapitalrendite angesetzt werden. Über den Schadensausgleich hinaus müsse eine faire, befristete und wiederkehrende Wertkompensation und somit eine Teilhabe am Bau und an der Nutzung von Energieversorgungsleitungen gesichert sein.

Systemvergleich zwischen Erdkabel und Freileitungen

Prof. Dr. Lutz Hofmann von der Leibnitz Universität Hannover referierte zum Systemvergleich von Erdkabel und Freileitungen. In Deutschland befinden sich 35.000 km Freileitungen bei einem Verkabelungsgrad von 0,5 Prozent. Drehstromfreileitungen (HDÜ) sind somit das dominierende System mit einer einfachen, bewährten, robusten und kostengünstigen Technik. Drehstrom-Erdkabel wären ebenfalls eine bewährte Technik, die aber aufgrund ihrer Wärmeentwicklung einen festen Isolationsstoff und Isolationsabstände von 30 mm benötigte. Auch wären Übertragungskapazität und Reichweite begrenzt, so Hofmann. Die wirtschaftliche Länge wird mit 70 km angegeben.

Er stellte das System der Hochspannungsgleichstromübertragung (HGÜ-Leitung) detailliert vor, so auch die „HGÜ Plus“, einen 525 kV DC-VPE Kabel-Prototyp, der sich durch einen geringeren Oberschwingungspegel mit entsprechend geringerem Filteraufwand und durch eine bessere Anpassung der Spannungsformen auszeichnet. Im Ergebnis habe sich die Drehstrom-Freileitung in allen untersuchten Varianten als die günstigste Lösung erwiesen. Im Vergleich dazu wäre das Drehstrom-Erdkabel in Abhängigkeit von Leistung und Länge drei bis vier Mal teurer, ein HGÜ-Erdkabel bis zu 9 Mal teurer. Erst ab einer bestimmten Länge von rund 200 km sei das HGÜ-Kabel kostengünstiger als das Drehstrom-Kabel. Um eine sichere, wirtschaftliche und umweltverträgliche Energieversorgung in Höchstspannungsnetzen sicherzustellen, sind HDÜ-Freileitungen in Deutschland dominierend und Standard. Der Einsatz von HGÜ-Leitungen wäre dort sinnvoll, wo Leistungsgrenzen der HDÜ-Technik erreicht werden, schloss Hofmann. Dr. Wolfram fasste die Beiträge zusammen und schloss die Veranstaltung im Hinblick auf das Gebot zur Schadensminimierung mit dem Zitat: „Der beste Schaden ist der, der erst gar nicht eintritt“. Tritt dennoch ein Schaden ein, wären eine sachgerechte Schadensfeststellung durch Sachverständige und ein offener fairer Umgang miteinander geboten.

Dipl.-Ing. agr. Corinna Grebing, Regierungspräsidium Kassel – LW 16/2016