Familienbetrieb oder Agrar-AG – wohin geht der Weg?

Soester Agrarforum über Chancen und Risiken der Entwicklung

Die Flächen werden immer begehrter. „Ackern fürs Leben“ lautet die Devise. Und das ist längst zum heiß umkämpften Geschäft geworden. Wie sieht daher die Landwirtschaft der Zukunft aus? Haben unsere Familienbetriebe überhaupt eine Chance, in den rauhen Winden des globalen Agrarmarktes zu bestehen? Ãœber diese Fragen sprachen Fachleute mit fast 600 Landwirten vorletzte Woche beim Soester Agrarforum 2011.

Vor rund 600 Zuhörern in Soest sprach über „Agrarunternehmen an der Börse als ex­pandierendes Unternehmensmodell“ Siegfried Hofreiter (48), Vorstands­vorsitzender der KTG Agrar AG, Hamburg und Oranienburg.

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Für einen spannenden und herausfordernden Beitrag zum Thema hatten die Veranstalter, der Fachbereich Agrarwirtschaft der Fachhochschule Südwestfalen und der Ehemaligenverband Susatia, mit dem Bericht eines Unternehmers gesorgt, der einen Marktfruchtbetrieb als Aktiengesellschaft gegründet hat. Die KTG Agrar ist seit November 2007 an der Frankfurter Wert­papierbörse notiert und beschäftigt zurzeit rund 220 Mitarbeiter. Siegfried Hofreiter ist Vorsitzender dieses ersten an der Börse in Deutschland gelisteten Agrarunternehmens.

Agrarmarkt braucht Vielfalt

Hofreiter sprach über die Entwicklung des knapp 30 000 ha (davon circa 6 000 ha im Eigentum der Aktiengesellschaft) großen Unternehmens, bestehend aus rund 15 Betrieben. Er mach­te deut­lich, dass obwohl die kapital­ge­sell­schaft­liche Rechtsform der KTG Agrar er­­­folg­rei­ch sei, der Markt künftig vielfältige Un­ter­nehmensfor­men in der Land­­wirt­­schaft vom Ein­zelun­ter­neh­men bis zu juristischen Personen benötige. Im Markt­gefüge haben seiner Ansicht nach die Familien­betriebe auch weiterhin einen herausragenden Stellenwert. „Die Land­wirt­schaft braucht ein brei­tes Miteinander von Familienbetrieben und juristischen Unternehmen, um die Markt­­partner, den Lebensmittelhandel, gut zu versorgen.“

Im Marktgeschehen müssen seiner Ansicht nach künftig die Land­wirte aber insgesamt deutlich ge­schlos­sener Auftreten, um mit den wenigen Unternehmen des Handels vergleichbar stark ins Geschäft treten zu können. „Wir Landwirte wollen auf Augenhöhe mit der Industrie leben können, nicht mehr und nicht weniger“, so der 48-Jährige, der selbst gelernter Landwirt ist.

Der Weg an die Börse

Erfahrung im globalen Agrar­handel zu sammeln, begann der gebürtige Bayer ab dem 27. Lebensjahr im Mittleren Westen der USA. Wie Hofreiter weiter berichtete, ist er Ende der 80er Jahre wieder nach Deutschland zurückgekehrt und war zunächst in den 90er Jahren in Markt­frucht­betrieben in den neuen Bun­desländern tätig. Bevor er 1994 ge­­meinsam mit Bruder Werner und Ehefrau Beatrice Ams die KTG Agrar gründete und den Betrieb Ende 1997 an die Börse brachte, zum Preis von 17 Euro je Aktie. Durch den Börsengang seien 23 Mio. Euro eingenommen worden. Beatrice Ams hält als Mehrheitsaktionärin 55 Prozent der Aktien. Die KTG Agrar AG zähle mit ihren Anbauflächen, die zum Großteil in Brandenburg liegen, zu den füh­­renden Produzenten von Agrar­­roh­stoffen in Europa. Schwer­­punkt des Unternehmens mit Sitz in Hamburg ist der konventionelle und ökologische Anbau von Marktfrüchten wie Getreide, Mais und Raps. Wobei Hofreiter betonte, dass die KTG Agrar breit aufgestellt sei. Bei ökologischen Marktfrüchten gelte die KTG Agrar, gemessen an der Anbaufläche, als Marktfüh­rer in Deutschland. Er machte auch deutlich, dass die KTG kaum ins Visier von Spekulanten gerate: „Unsere Aktien sind für viele un­interessant.“ Besitzer von Anla­ge­­produkten wie Hedgefonds würden die KTG Aktie mit 1 Prozent Rendite im Mittel nicht ernst nehmen.

„PS für den Boden nötig“

Hofreiters Grundüberzeugung für den Erfolg im Landwirtschaftsbetrieb beruht auf hohe Motivation der darin Tätigen. Der Mensch müsse im Vor­dergrund aller Anstrengungen einer Fortentwicklung des Betriebes stehen, sonst laufe kein Unterneh­men. Angefangen von einer leistungsgerechten Entlohnung der Arbeitskraft bis zur Arbeitszeitregelung mit persönlichem Freiraum. Probleme müssten angesprochen werden. Als Beispiel sprach er von einer extremen Land­flucht in den neuen Bundes­ländern. „Wir brauchen aber die PS für unseren Boden. Das geht nur, wenn wir erkennen, dass der Mensch im Mittelpunkt unserer Betriebe steht. Jeder Landwirt ist nur so erfolgreich, wie engagiert auch seine Mitarbeiter oder auch die mithelfenden Familienangehörigen sind.“

Im Personalmanagement aktiv

Dr. Stephan Schlitz, früherer Leiter der AgE-Analysen des Presse- und In­for­ma­tions­­dienstes Agra-Europe in Bonn, hat den landwirtschaftlichen Familienbetrieb in Rheinhessen auf 500 ha erweitert.

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Ein weiteres Stand­­bein der Kapitalgesellschaft ist die Erzeugung von Bio­energie. Zwölf Bio­gasanlagen erzeugen fast 16 Megawatt Leistung. Zum Geschäft gehören aber auch be­trieb­liche Be­ra­tung, Personalmanagement und Agrardienstleistungen. Fünf Mit­arbeiter sind für eine eigene Agrara­ka­demie eingestellt und bilden den beruflichen Nachwuchs für andere Unternehmen der Agrar- und Ernährungssparte fort. Hofreiter warb bei den jungen Zuhörern in Soest dafür, sich für einen Beruf in der grünen Sparte zu entscheiden: „Jeder, der in der Land­wirt­schaft eine gute Ausbildung hat, kann in diesem Zweig gutes Geld verdienen“, ist er sich sicher. Die Flächen der KTG Agrar befin­den sich hauptsächlich in Deutschland, seit 2005 zusätzlich im EU-Vollmitgliedstaat Litauen. „Gehversuche“ ma­che man inzwischen auch im Baltikum.

Kommt die Brasianisierung?

Wie sind die Perspektiven für den Globus, welche Zukunft liegt vor uns? Und welche Aussichten gibt es für die Land­wirt­schaft? Kommt die Brasilianisierung, das heißt, werden Bauern künftig zu Tagelöh­nern? Mit diesen Fragen setzte sich zuvor Prof. Dr. Franz Josef Radermacher, Leiter des In­stituts für Datenbanken und künstliche Intelligenz und des Forschungsinstituts für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung der Universität Ulm so­wie Vizepräsident des Öko­­­so­zialen Forums Europa, auseinander. Rademacher ist bekannt geworden vor allem durch seine Ansichten zur Globalisierung. Er ist Mitglied des Club of Rome und zählt zu den Initiatoren des ,,Global-Mar­shall-Plans“ und dem zugrunde liegenden Konzept einer weltweiten ökosozialen Marktwirtschaft, deren Vorstellung ein faires, soli­da­ri­sches und nach­haltiges Wach­sen der Menschheit sowie der Dialog zwischen den Kulturen und Religionen ist. Radermacher begann seinen Redebeitrag in Soest mit einer Kritik an einer mangelnden Wertschöpfung in der Erzeugung. Interessant sei – statt „nur“ zu erzeugen – ein Getreide­silo zu besitzen, um darin gegen Entlohnung Getreide für andere Landwirte einzulagern. Viel interessanter sei es aber, ein Ter­min­geschäft mit dem Inhalt dieses Silos zu tätigen. Womit er kritisch die Rolle der Landwirtschaft als Primärproduzent, die am Anfang einer Wertschöpfungskette steht, aufgegriffen hatte. Radermacher ging auch auf die Bevölkerungs­ent­wick­lung ein. Im Jahr 1840 gab es etwa 1 Mrd. Menschen, bis 1965 verdreifachte sich die Zahl und zur Zeit sind es schon über 7 Mrd. Bis 2050 müsse man von 10 Mrd. Erdbewohnern ausgehen, davon fast ein Drittel Chi­nesen und Inder. ,,Dürfen die so leben, wie wir heute?“ fragte Radermacher provokant. Bisher sei die Lage der entwickelten Industrieländer noch komfortabel: Die anderen dürften natürlich auch so leben wie wir, aber sie könnten es noch nicht.

Problem: Reichtum verteilen

,,Wenn aber die anderen so konsumieren sollen, wie sie ja schon immer durften, aber nicht konnten, dann werden wir feststellen, dass wir schon immer viel zu­viel Ressourcen verbraucht haben.“ Womit Rademacher die globale Entwicklung vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Aufschwunges der be­völ­kerungsrei­chen Schwellenländer be­­­­schrieben hatte. Aus dieser Pers­pektive fordert er, vordringlich das Problem der Knappheit auf der Seite der Verteilung der Ressourcen anzugehen. Die heutige Weltagrarproduktion würde ausreichen, um 13 Mrd. Menschen zu ernähren, meinte er. Dennoch verhungern täglich 24 000 Menschen. Damit werde klar, dass ein Verteilungsproblem bestehe. Gäbe es eine globale Demokratie, so Radermacher, so wäre die Frage nach der Verteilung schnell geklärt. Jedoch meideten die Staaten, die ständig von Demokratie reden aber sogar Kriege führten, nichts so sehr, wie eine globale Demokratie, bei der jeder Erden­bürger das gleiche Stimmrecht hätte. Wichtig ist seiner Auffassung nach ein Transfer von Kaufkraft hin zu denjenigen, die heute nicht die Mittel haben, um ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen, besonders, um sich gut zu ernähren. Radermachers Theorie zufolge steht im Ge­genzug die Verpflichtung, soziale und ökolo­gische Mindeststandards einzuhalten. Die Landwirtschaft wäre ein Gewinner, ­ denn es hätten mehr Men­schen als heute die finanziel­le Möglichkeit außer Brot auch Nah­rungsmittel wie Fleisch nach­zufragen.

Welche Szenarien denkbar?

Rademacher formulierte drei denkbare Szenarien einer globalen Entwicklung: Kollaps, Brasilianisierung und Balance. Brasilianisierung hieße, die extreme Aufspaltung in eine kleine, aber sehr vermögende Oberschicht und in die breite Masse, welche nicht die Mittel haben werde, ihre grundlegenden Bedürfnisse zu befriedigen. Dieser nicht erstrebenswerten Variante räumt er aber die höchste Eintrittswahr­scheinlichkeit ein. Die Wahrscheinlichkeit für den Kollaps, also des Katas­tro­phenszenarios, ­ sieht er immerhin bei 15 Prozent. Das Szenario der Balance, der solidarischen, nachhaltigen Entwicklung der Menschheit, die jedem Teilhabe an den Ressourcen ein­räume, sieht er mit 35 Prozent Wahrscheinlichkeit.

Auslaufmodell Familienbetrieb?

Hathumar Rustige ist Vorsitzender der Susa­tia, eines Verbandes aus Studierenden, ehemaligen Studierenden und Förderern der Agrarwirtschaft in Soest.

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Als weiterer Referent auf dem Soester Agrarforum 2011 sprach Dr. habil. Stephan Schlitz. Er ist Landwirt eines circa 500 ha großen Landwirtschaftsbetriebes in Fürfeld in Rheinhessen und war zuvor Leiter der Abteilung Analysen des Presse- und Informationsdienstes Agra-Europe in Bonn. Dr. Schlitz überschrieb seinen Vortag „Der Familienbetrieb – ein Auslaufmodell?“ Der ursprüngliche Familienbetrie­b sei in unseren Regionen fast bedeutungslos geworden, stellte er fest. Kaum eine Landwirts­familie wirtschafte ausschließlich noch mit den eigenen Produktionsfaktoren Boden, Arbeit und Kapital. Nur in den wenigsten Fällen gebe es noch das klassische Land­leben, bei dem die persönlichen Interessen der Familienmitglieder der Siche­rung dieses Hofes untergeordnet würden.

Landwirte sind Unternehmer

Kennzeichnend für die heutige Landwirtschaft sei das Unterneh­mensmodell, bei dem die Familie Regler aller wirtschaftli­chen Aktivität sei. Landwirtschaftsfamili­en hätten ebenso wie Unterneh­merfamilien anderer Sektoren das Ziel, durch ihr Wirtschaften an der Wohlstandsentwicklung und am sozialen Leben teilzuhaben. Oft finde die Er­weiterung der beruflichen Möglichkeiten der Familienmitglie­der statt. Berufstätigkeit und Betätigung außerhalb des landwirtschaftlichen Be­­triebs sei heute in vielen Land­wirtsfamilien die Regel. Eine enge Verknüpfung von familiä­ren Rollen und betrieblichen Auf­gaben bestehe weiterhin. Werde das gemeistert, habe die Bauernfamilie eine Zukunft und gestalte den ländlichen Raum mit.

Investitionen in Ackerland

Ãœber ausländische Investitio­nen in der Landwirtschaft sprach Prof. Dr. Marcus Mergenthaler vom Fachbereich Agrarwirtschaft der Fachhochschule in Soest. Er stellte fest, dass das Engagement, in die Landwirtschaft zu investieren und Landkäufe zu tätigen, weltweit immer stärker in den Blickwinkel der Öffentlich­keit rücke. Teils werde von „Landraub“ gesprochen. Grün­de für die große Attraktivität des Bodens sind seiner Ansicht nach neben tendenziell steigenden Prei­sen für Agrarrohstoffe auch die ökonomischen Grenzen auf den Finanzmärkten, wie dies zuletzt auch mit dem Bankenkollaps deutlich geworden sei. Lebensmittel importierende Länder hätten großes Interesse am Landerwerb, um ihre eigene Ernährung zu sichern. Das seien beispielsweise die Golf­staaten und Nordafrika. Auch Geldanleger suchten immer mehr nach sicheren Kapitalanlagemöglichkeiten, die Höhe der Renditen sei zweitrangig.

„Landkäufe laufen oft lautlos ab“, so Mergenthaler. Wahr­scheinlich werde im Ausland nur ein Bruchteil der Flächen­über­nah­men statistisch erfasst. Somit fehlten oft Datengrundlage und Transparenz in dem zugleich von hoher Sensibilität geprägten Bodenmarkt. Durch Flächenkonkurrenz der pflanzlichen Erzeugung mit ande­ren Nutzungsrichtungen verringere sich die Ackerfläche in den Industrieländern. In Entwicklungsländern gebe es zwar beispielswei­se in Afrika südlich der Sahara oder in Lateinamerika Möglichkeiten, neues Ackerland zu gewinnen. Die Landreserven befänden sich aber zugleich auch in politisch instabilen Gebieten, denen häufig auch eine infra­struk­­turelle Anbindung fehlte. Nicht selten stünden auch alte Landnutzungsrechte einer Erschließung von Agrarland entgegen. Staaten mit Land­reserven hätten oft gleichzeitig eine stark wachsende Bevölkerung, gerade in den ländlichen Gebieten, wie beispielsweise Indien. Und doch sei eine Ausweitung von Ackerflächen, wie zum Sojaboh­nen­an­bau in Südamerika oder zur Palm­ölproduktion in Südostasien fest­zustellen. Das geschehe aber fasst immer auf Kos­ten des Regenwaldes. Moe