Gesellschaftsvertrag mit den Landwirten schließen

Idsteiner Landwirteforum des VLF im Nassauer Land

Geht eine erfolgreiche Landwirtschaft auf Kosten der vielfältigen Tierwelt? Ist es überhaupt möglich, dass die Landwirte die großen Erwartungen, welche die Gesellschaft an sie stellt, erfüllen können? In Idstein fand am vergangenen Mittwoch die zentrale Veran­staltung zur Landwirtschaftlichen Fachtagung im Nassauer Land statt. Drei Referenten hielten über den Tag spannende Vorträge, die sich mit der künftigen Rolle der Landwirtschaft in der Gesellschaft befassten.

Die Betriebe müssen sich immer wieder neuen Herausforderungen stellen, so die Akteure der Fachtagung in Idstein mit, von links: Werner Born, Prof. Dr. Joachim Kakau, Dr. Christine Krämer, DBV-Vizepräsident Wolfgang Vogel, HBV-Vizepräsident Thomas Kunz, und vlf-Landesvorsitzender Jürgen Dexheimer.

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Prof. Dr. Joachim Kakau von der Hochschule Osnabrück sprach über das Thema „Aktuelle Aspekte des integrierten Pflanzenschutzes.“ Aus seiner Sicht rufen eine restriktive Zulassung von Pflanzenschutzmitteln und die geringer werdende Verfügbarkeit von Wirkstoffen mehr Resistenzen von Un­kräutern sowie Pilzkrankheiten und Schadinsekten hervor. Er ist der Auffssung, dass ein zentraler Aspekt zur Nachhaltigkeit die Verfügbarkeit chemischer Wirkstoffe ist, beispielsweise gegen glyphosatresistente Kräuter. Man sol­le sich im Klaren sein, dass es gegen fast alle Herbizidwirkstoffe Resistenzen gebe, wie bei Windhalm oder Ackerfuchsschwanz deutlich werde. Er sagte: „Welchen Wirkstoff der Mensch auch entwickelt, es gibt da Draußen immer einen, der da­gegen resistent ist.“ Es komme nur darauf an, wie schnell sich eine resistente Pflanze verbreite. Der Selektionsdruck ist umso größer, je häufiger der Wirkstoff eingesetzt wird, folgerte der Wissenschaftler. Zur Vermeidung von Resistenzen sind Maßnahmen zur Bodenbearbeitung entscheidend, um Kräuter, Pilze oder Schadinsekten klein zu halten.

Herausforderungen des Ackerbaus

Der Landwirt habe nur die Möglichkeit, ackerbaulich zu reagieren. So stellen Erntereste der Pflanzen Wirte für Schadorganismen dar. Diese sollten schnellstmöglich im Boden eingearbeitet werden, um zu verrotten und Erregern nicht zur Ãœberdauerung bis ins nächste Jahr zu verhelfen. Weite Fruchtfolgen sind ebenfalls wichtig, um vorbeugend ein Verschleppen, wie zum Beispiel von Pilzsporen oder Kohlhernie, die etwa zehn Jahre im Boden aktiv bleiben, zu verhindern. Hohen Stellenwert misst er hinsichtlich der ackerbaulichen Hygiene auch dem Zwischenfruchtanbau zu. Dieser führe zur Minderung der bodenbürtigen Schadorganismen, neben Vorteilen einer Vermeidung von Erosion und der Nährstoffbindung über den Winter hinweg. Nicht zuletzt trägt die Sortenwahl zur Nachhaltigkeit bei. „Wenn Sie eine gesunde Sorte anbauen, zum Beispiel bei Weizen, kann der Ertrag circa 7 dt/ha niedriger liegen, weil weniger Fungizide eingesetzt werden müssen und dies Kosten spart.“ Ein später Saattermin kostet Ertrag, heißt es. Das gilt aus Sicht des Agrarwissenschaftlers aber nicht generell. Ein späterer Saattermin bei Weizen kostet ebenfalls 7 dt/ha Ertrag, das sind rund 100 Euro/ha weniger Erlös. Die Differenz muss allerdings durch Pflanzenschutz abgesichert werden. Und dann sei es ein „Nullsummenspiel“, weil mehr Pflanzenschutz eingesetzt werden muss. Eine zusätzliche Behandlung mehr mit Herbiziden sowie jeder zusätzliche Fungizideinsatz kostet rund 40 Euro/ha, der Insektizideinsatz circa 20 Euro/ha, rechnete Kakau vor. „Die beste Strategie für den nachhalti­gen Ackerbau ist die Vermeidung von Resistenzen und eine weite Frucht­folge. Pflan­zenschutzmittel sind nicht alles, ackerbauliche Maßnahmen sind stärker auf die Zukunft ausgerichtet“, lautete sein Fazit.

Welche Rolle hat der Landwirt künftig?

Weiterhin ging es um Ideen für die Fortentwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik. Ãœber das Thema „Gestaltung der Agrarpolitik 2020: Herausforderungen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft in Europa“ hielt Dr. Chris­tine Krämer vom Projektbüro Markt und Region (Mareg) aus Ippesheim einen Vortrag. Sie setzte sich kritisch mit den derzeitigen Förderschwerpunkten auseinander, weil nicht ausreichend die Wünsche der Gesellschaft nach einer umweltkonformen Produktion honoriert würden. In ihren Ausführungen stellte sie zunächst die Leistungen der Landwirtschaft heraus. Der Ertrag beim Weizen habe 1950 bei 26 dt/ha gelegen, im Jahr 2015 bei 80 dt/ha. Der Selbstversorgungsgrad lag 2014 bei 104 Prozent. Deutschland habe zwar immer noch ein Außenhandelsdefizit im Agrarbereich, dieses habe aber in den letzten Jahrzehnten laufend abgenommen. Die Mehrheit der Bevölkerung wolle eine abwechs­lungsreiche Landschaft, zu der auch die Landwirtschaft durch ihre Nutzung beitrage. Es finde aber keine Differenzierung der Direktzahlungen statt. So liegt die Flächenprämie bei einheitlich rund 300 Euro je ha. Viele Ziele, die an die Landwirtschaft geknüpft sind, seien nicht ausreichend formuliert. Krämer konstatierte: „Die Landwirtschaft ist sehr erfolgreich in der Bereitstellung von Lebensmitteln, aber weniger erfolgreich darin, öffentliche Güter bereitzustellen.“

Welche Kriterien zur Verteilungsgerechtigkeit?

Kaum ein Thema ist so stark emotional besetzt, wie die Landwirtschaft. Die Landwirte wissen um ihre Verantwortung für Ernährung, Leben und Natur, so der Tenor, der mit über 100 Teilnehmern gut besuchten Tagung.

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Heute wirtschaftet nur noch ein Viertel der Betriebe im Vergleich zu 1970, als es in Deutschland noch 880 000 Betriebe gab. Weiterhin findet eine regionale Konzentration der Produktion statt. Der Zunahme der Milch­erzeugung im Nordwesten und im Südosten Deutschlands steht ein Rückgang in anderen Regionen gegenüber. Ähnliches Bild in der Schweinehaltung. Weil die Zahl der Betriebe abnimmt, verlieren ländliche Räume unabhängig von ihrer Wirtschaftsleistung ihrer Ansicht nach an Be­deutung. Die Landwirtschaft ist aus ihrer Sicht mit weiteren Herausforderungen konfrontiert. Sie muss in einem Markt mit stark schwankenden Preisen sowie sich ändernden Verbraucheranfragen und Anforderungen des Handels sowie bei hohen gesellschaftliche Erwartungen bestehen können. Beispielsweise gibt es eine ablehnende Haltung zur modernen Landwirtschaft und diese wird mit Schlagworten wie Massentierhaltung und Höfesterben beschrieben, gleichzeitig gibt es keine Definition für diese Begriffe. Der Preis spielt eine entscheidende Rolle, aber es gibt eine Vielzahl an Kaufmotiven. In diesem Umfeld bewegen sich die Betriebe, so Krämer. Am Beispiel der Weidemilch wird deutlich, dass es eine Verbrauchergruppe gibt, die sich kaum preissensibel zeigt. Für andere muss der Einkauf einfach und schnell gehen, für wieder andere muss das Produkt günstig sein, diese reagieren sehr preissensibel. Mit diesen Herausforderungen ist der Landwirt konfrontiert. Zu alledem komme die Agrarpolitik. Der Anteil der Direktzahlungen am Einkommen der Betriebe lag 2014/15 bei circa 55 Prozent. „Welche Kriterien der Verteilung sollen angesetzt werden?“, fragte Krämer.

Ein Milchviehbetrieb habe wesentlich höhere Bürokratiekosten als ein Marktfruchtbetrieb, erhalte aber für seinen Arbeitsaufwand eine geringere Entlohnung, weil die Zahlung an den Hektar gekoppelt sei. „Ist das gerecht?“ fragte sie. Oder: Betriebe haben Landschaftselemente erhalten und werden nun mit Auflagen belastet, andere haben sie entfernt. Sie stellte Berechnungen auf: Angenommen das Agrarbudget bleibt so hoch wie bisher, dann steht den Betrieben in Deutschland rund 5,7 Mrd. Euro für die zweite Säule zur Verfügung, das wären etwa 114 Euro/ha. Ein Betrieb, der an Basismaßnahmen für Agrarumwelt und Klimaschutz teilnimmt, könnte demnach maximal 640 Euro/ha erhalten. Auftraggeber der Studie war das Bundesamt für Umwelt und Naturschutz. Thomas Kunz, Kreislandwirt Rheingau-Taunus und HBV-Vi­zepräsident, mahnte: „Ãœberfor­dern Sie nicht die landwirtschaftlichen Betriebe und nicht die Agrarverwaltung. Die Maßnahmen müssen in der Praxis umsetzbar sein, dafür brauchen die Betriebe auch Zeit.“

Nachhaltige Landwirtschaft braucht die Wertschöpfung

„Ist der Landwirt ein leistungs­starker Produzent hochwertiger Lebensmittel oder welche Rolle hat er künftig? Ich meine, dass unserem Berufsstand in Zukunft eine Schlüsselfunktion zukommt, auch wenn die Gesellschaft im Moment ein bisschen zu satt ist.“ Mit diesem Statement eröffnete Wolfgang Vogel, Präsident des Bauernverbandes in Sachsen und zugleich Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes, seine Rede ans Auditorium in Idstein. Vogel stimmte der Vorrednerin zu, dass zusätzliche Aufgaben der Landwirte für Umwelt und Natur zu honorieren sind. Er widersprach ihr in grundsätzlichen Sichtweisen. „Die gesellschaftlichen Anforderungen, die an uns gestellt werden, müssen honoriert werden. Aber wissen Sie, ich bin Bauer und möchte mein Einkommen am Markt verdienen und nicht über Prämien.“ Wertschöpfung zu erzielen, sei in der Landwirtschaft aus Prinzip nachhaltig. Jeder Landwirt wolle seinen Betrieb möglichst an die fol­­gende Generation übergeben. Naturgemäß führe das zu einem verantwortungsvollen Denken in den Bauernfamilien und trage damit auch zum Wohl der Gesellschaft bei.

Der DBV-Vize fügte hinzu: „Es gibt 1000-Hektar-Betriebe, die fahren ihre Betriebe vor die Wand und es gibt 80-Hektar-Be­triebe, die laufen hervorragend. Entscheidend ist die Effizienz“, meinte der Leiter eines 1 800 ha großen Betriebes. Er beschäftigt 36 Mitarbeiter und baut auf 300 ha Erbsen an. Es werden 500 Milchkühe gehalten. „Ich bin nur solange erfolgreich, wie ich meine Mitarbeiter schätze, ebenso wie das Wohl meiner Tiere und auch die Fruchtfolge einhalte“, machte Vogel agronomische Zusammenhänge am Beispiel seines eigenen Betriebes, 20 km hinter Leipzig, deutlich.

Meinungsbild im Berufsstand muss klar sein

„Die moderne Landwirtschaft steht im Spannungsfeld vieler Ansprüche. Wir kommen der Ge­sellschaft entgegen. Natürlich müssen wir auf die Gesellschaft zugehen. Denn der Landwirt hat nicht mehr den Arbeitsplatz, wo es stinkt und kracht, er hat einen modernen Beruf mit dem höchsten Technikeinsatz. Und wir haben eine hocheffiziente Tierhaltung und einfach in manchen Regionen zu viele Tiere bezogen auf die Fläche. Diesen Problemen müssen wir uns stellen und Lösungen finden“, so der DBV-Vizepräsident und ergänzte: „Wir müssen als Berufsstand eine klare Meinung haben. Stellen Sie sich vor, den Bauernverband gebe es nicht. Dann wäre die Landwirtschaft ein Spielball der Gesellschaft.“

Seiner Ansicht nach darf sich die Landwirtschaft nicht dem Markt ergeben, sondern sie muss sich in Prozesse einschalten. „Bei Milch ist das schwer. Ich muss jeden Tag die Milch verkaufen, beim Getreide ist das anders.“ Im eigenen Betrieb baut Vogel beispielsweise Dinkel im Vertrag an. Landwirte sollten sich den Fragen der Bevölkerung stellen und ihre Sicht vertreten. Zum Beispiel, dass sie Pflan­zenschutz­mit­tel verant­wor­tungs­bewusst auf Basis von Schadschwellen einsetzen. Ernährungssicherheit und Klimawandel erfordern den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. „Es darf uns auch nicht passieren, dass Unternehmen, wie zum Beispiel Züchterfirmen aus Deutschland, auswandern und uns dann Konzerne wenige Sorten vorschreiben. Das Beste ist, dass wir die Saatguterzeugung im eigenen Land behalten.“ Die 23. Fachtagung, organisiert vom VLF im Nassauer und den landwirtschaftlichen Einrichtungen und der Stiftung Hof Geisberg Wiesbaden, wurde vom Vorsitzenden für Landwirtschaft­liche Fortbildung Hessen (vlf), Jürgen Dexheimer, gemeinsam mit dem Landrat des Rheingau-Taunus-Kreises, Frank Kilian, eröffnet. Jürgen Pauly, Vorsitzen­der des VLF Frankfurt-Höchst, hielt das Schlusswort. Werner Born vom Vorstand des VLF „Hof Geisberg“ Wiesbaden leitete perfekt die lebhaften Diskussionen. Born hat weit mehr als ein Dutzend Foren zuvor moderiert. Er teilte zugleich mit, diese Aufgabe im nächsten Jahr in jüngere Hände übergeben zu wollen.

Moe – LW 48/2017