HBV-Erntepressegespräch: Dürrejahr 2018 wirkt nach
Stark reduzierte Fläche macht Raps zum Sorgenkind
Der aktuelle Stand der Getreideernte, die Futterversorgung für das Rindvieh, der deutliche Rückgang der Schweinebestände in Hessen in den letzten Jahren oder die befürchteten Auswirkungen des Handelsabkommens der EU mit Mercosur waren Themen beim diesjährigen Erntepressegespräch am Donnerstag vergangener Woche auf dem Andreashof der Familie Lang in Hüttenberg-Rechtenbach. HBV-Präsident Karsten Schmal gab den Medienvertretern, unterstützt vom Vorsitzenden des Bauernverbandes Gießen/Wetzlar/Dill, Manfred Paul, und Kreislandwirt Hartmut Lang Auskunft.
„Die extreme Hitze mit zum Teil über 35 Grad Celsius und die Trockenheit im Juni haben der Wintergerste, wie es scheint, im Gegensatz zum Winterweizen offensichtlich kaum geschadet. Die bisher ermittelten Durchschnittserträge liegen deutlich über dem Niveau des Dürrejahres 2018 und leicht über dem Durchschnitt der letzten Jahre“, so Schmal.Böden im unteren Teil völlig trocken
Die überdurchschnittlichen Niederschläge im Mai seien für die Wintergerste wohl genau zur richtigen Zeit gefallen. Dennoch seien die Böden im unteren Teil trocken, die fehlenden Niederschläge des Trockenjahres 2018 wirkten nach. „Der Wasserstand des Edersees liegt jetzt schon unter dem Stand des Vorjahres, in vier Wochen ist er leer“, beschrieb Schmal die anhaltende Dramatik fehlenden Regens. „Und die nächste Hitzewelle bis knapp 40 Grad Celsius ist schon angekündigt“, so Schmal.
Dazu kämen Hagelschäden auf insgesamt 11 000 Hektar Fläche in Hessen. Punktuell seien durch Starkniederschläge zusätzliche Schäden an den Ackerfrüchten zu verzeichnen. In diesem Zusammenhang erneuerte Schmal die Forderungen des Berufsstandes an die Politik bezüglich Risiko-Ausgleichs-Rücklage und Mehrgefahren-Versicherungen, auch gegen Dürre.
Vorzeitige Abreife bei Winterweizen
„Beim Winterweizen, der mit 153 000 Hektar mehr als die Hälfte der hessischen Getreideflächen von rund 280 000 HekÂtar einnimmt, sind die Landwirte weniger optimistisch. Das sehr trockene Wetter und Temperaturen von über 30 Grad Celsius führten zu einer vorzeitigen Abreife des Winterweizens. Dadurch wurde die Kornfüllungsphase abrupt beendet. Das wird Ertrag kosten“, so Schmal.
„Der Versuch in der Region, mit dem Anbau von Hartweizen einen neuen Weg zu beschreiten, wird durch die Düngeverordnung konterkariert“, erklärte Bauernverbandsvorsitzender Manfred Paul. Mit der Beschränkung auf 170 kgN/ha erreiche der Hartweizen nicht die Mindestanforderungen in Bezug auf den erforderlichen Proteingehalt. Die Folge: „Der Hartweizen wird zu Viehfutter. Wieder ein Weg verbaut, ohne Not“, resümierte Paul.
Mit einer drastisch reduzierten Anbaufläche von geschätzt nur noch 35 000 Hektar im Vergleich zu 55 000 Hektar im Vorjahr ist nach Schmal die bedeutende Ölfrucht Raps zum Sorgenkind geworden. Bei einem inländischen Bedarf von 8 Mio. Tonnen müssten bei einer geschätzten Gesamternte in Deutschland von 3 Mio. Tonnen demzufolge 5 Mio. Tonnen Raps importiert werden.
Hartmut Lang, Kreislandwirt Lahn-Dill und stellvertretender Vorsitzender des Bauernverbandes Gießen/Wetzlar/Dill, bestätigte für seinen Betrieb diese Entwicklung. „Zum ersten Mal haben wir wegen der Trockenheit im Herbst 2018 den Raps vollständig aus der Fruchtfolge herausnehmen und durch Wintergerste und -weizen ersetzen müssen. 20 Hektar Saat sind entweder gar nicht erst aufgelaufen oder schlicht vertrocknet. Wir mussten alle Flächen zwangsweise umbrechen“, beschrieb er den ungewollten Verzicht auf den Rapsanbau.
Futterlücke für das Milchvieh noch offen
Mit den gut ausgefallenen ersten beiden Silageschnitten konnte nach Schmal die Futterlücke aus dem Vorjahr nicht vollständig geschlossen werden. Es fehlten bisher noch Futter für drei Monate bis zum Anschluss an die Futtergewinnung im nächsten Jahr 2020. Der Hessische Bauernverband habe sich wegen des verdorrten Grünlandes an das Land Hessen gewandt mit der Bitte, die Brachen der sogenannten Ökologischen Vorrangflächen zur Futternutzung beziehungsweise Beweidung frei-
zugeben. Dieser Bitte sei die Landesregierung dankenswerterweise gefolgt. Die Bauern setzten jetzt darauf, dass der Silomais auf einer Anbaufläche von 46 000 Hektar, der aufgrund der Kälte im Mai nicht richtig in die Gänge gekommen sei, sich nach dem Regen der vergangenen Woche erholt habe und gute Erträge bringen werde.
Manfred Paul erinnerte an das Trockenjahr 1976, als die Bauern über lange Wochen hinweg vergeblich auf Regen hofften. „In den Mittelgebirgslagen sowieso, aber auch auf den tiefgründigen Böden unserer Region findet sich bis in 1,80 Meter Tiefe kein Wasser im Boden. Nur neue Niederschläge können das Schlimmste vermeiden“, so sein Fazit.
Flaggschiff Zuckerrübe in Seenot
Sorgen bereitet den Bauern nach Schmal auch der weltweite Verfall der Zuckerpreise, der in Deutschland zur Schließung von Zuckerfabriken geführt habe und zum Rückgang der Anbauflächen. „Die Zuckerrübe war einst das Flaggschiff unter den Marktfrüchten in den Gunstlagen mit einem richtig hohen Deckungsbeitrag. Heute deckt der Erlös zum Teil die Kosten nicht und Südzucker erwirtschaftet im Zuckergeschäft Miese“, beschrieb er den eingetretenen Wandel. Sowohl die Zuckerrüben als auch die Kartoffeln hätten sich bisher ganz gut entwickelt. Den Beständen fehle es jetzt an Regen.
Scharf kritisierte der HBV-Präsident das Ergebnis der Verhandlungen der EU-Kommission mit den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraquay und Uruquay. Die vorgesehenen Importe von Rindfleisch, Geflügelfleisch und Zucker mit vergünstigten Zollsätzen gefährdeten bäuerliche Familienbetriebe in Europa und Deutschland. Die hohen europäischen Standards im Verbraucher-, Umwelt- und Klimaschutz würden unterlaufen und heimische, nachhaltig produzierte Erzeugnisse verdrängt. Das könne nicht hingenommen werden. „Alle Lebensmittel und Agrarrohstoffe aus den Mercosur-Staaten müssen die in der EU geltenden Verbraucherschutz- und Nachhaltigkeitsstandards erfüllen“, forderte Schmal.
Dramatischer Rückgang beim Schweinebestand
Ein weiteres Mal beklagte er den dramatischen Rückgang bei Mastschweinen und Zuchtsauen in Hessen. So sei die Zahl der Schweine in Hessen im Vergleich zum Mai 2018 um 8,3 Prozent gesunken, in Deutschland um 3,7 Prozent. Bei den Zuchtsauen sei der Rückgang noch schwerwiegender. Während die Zahl der Zuchtsauen in Hessen im gleichen Zeitraum um 15,2 Prozent gesunken sei, sei es auf Bundesebene lediglich ein Minus von 2,9 Prozent gewesen. „Hauptursache für den dramatischen Rückgang in der hessischen Schweinehaltung sind unzulängliche agrarpolitische Rahmenbedingungen. Hier besteht dringender Handlungsbedarf, der von der EU-Ebene über die politisch Verantwortlichen in Berlin bis nach Wiesbaden reicht“, bekräftigte Schmal.
Regionale Vermarktung unendlich schwer
Aus seiner Erfahrung steuerte Kreislandwirt Lang bei, dass es etwa bis zum Jahr 2000 hinreichend viele heimische Metzger gegeben habe, über die eine regionale Vermarktung möglich gewesen sei. „Heute ist das ohne selbst schlachtenden Metzger und ohne regionale Schlachthöfe unendlich schwer“, so Lang. Es gebe zu viele und übertriebene Auflagen. „Wenn ich an das Kastenstandurteil oder an die Themen Schwänze kupieren und betäubungslose Kastration denke, weiß ich, dass ich heute garantiert keinen Schweinestall mehr bauen würde“, machte Lang seinem Ärger Luft.
Wie sehr die Witterungsunbilden oder der beginnende Klimawandel flächendeckend negative Folgen zeitigten, machte Schmal mit dem Hinweis auf die Sorgen der Waldbesitzer, darunter auch viele Landwirte, deutlich. „Forstmeister Sturm ist flächenhaft unterwegs, riesige Mengen an Sturmholz werden gepoltert, die Preise sind im Keller, der Borkenkäfer schlägt in einem sehr beunruhigenden Umfang zu, so eine Situation habe ich noch nicht erlebt. Wie soll bei fehlendem Kapital die Verpflichtung zur Aufforstung erfüllt werden? Die Bewältigung der Folgen des Klimawandels ist eine gesamtgesellschaftliche Frage über alle Bereiche hinweg. Hier muss der Staat stärker Unterstützung leisten“, bekräftigte Schmal.
Das Interesse der Medienvertreter war groß, wie die Anwesenheit von Kamerateams des Hessischen Rundfunks und von RTL, Reportern von Radio-FFH, Agrar Europe, dpa und Tageszeitungen zeigte. Die Vorführung des Mähdreschers bei der Triticaleernte durch Mitgesellschafter Jonathan Lang rundete die Veranstaltung ab. Die Journalisten nutzten die Gelegenheit für ausgiebige Interviews mit Schmal, Paul oder Lang.
Dz – LW 30/2019