Herausforderungen und Perspektiven der Landwirte
Staatssekretärin Gurr-Hirsch sieht Grund zu Optimismus
Gut besucht war die Vertreterversammlung des Regionalbauernverbandes Starkenburg Ende März in Ober-Ramstadt. Neben den Mitgliedern selbst waren auch Vertreter zahlreicher Institutionen und Vereinigungen sowie der Fach- und Berufsschulen gekommen. Gleich zwei „Königliche HoheiÂten“ – die hessische Milchkönigin Marie Wolf und die Odenwälder Kartoffelkönigin Barbara Treusch – verliehen der Veranstaltung zusätzlichen Glanz.
Verbandsvorsitzender Walter Schütz wies darauf hin, dass es bislang noch nie kurz vor einer Mitgliederversammlung derart gravierende Veränderungen in Politik und Umwelt gegeben hatte: In Japan hatten der Tsunami und die Zerstörung der FuÂkuÂshima-Reaktoren das Sozialgefüge auf den Kopf gestellt, und in Hessen die Landtagswahlen die politische Landschaft verändert. Wichtig sei nun, ein neues Energiekonzept zu erarbeiten, und gleichzeitig die Ernährungssicherheit für die Bevölkerung zu erhalten. Für beide Aufgaben seiÂen starke Partner aus Wirtschaft und Politik vonnöten. BrennpunkÂte der südhessischen Agrarpolitik seien darüber hinaus der weiterhin starke Verbrauch landwirtschaftlicher Fläche vor allem durch Ausgleichsflächen für infrastrukturelle Maßnahmen wie die geplante ICE-Schnellstrecke zwischen Mannheim und Frankfurt, den Ausbau der B 67 oder den Bau von Umgehungsstraßen und Gewerbegebieten. „Wenn das so weitergeht, ist in gut 60 Jahren der letzte Acker verbaut“, zitierte er seinen Vorstandskollegen, Dr. Willi Billau.
Pfungstädter Bauern engagiert
In diesem Zusammenhang sei das Engagement des Pfungstädter Ortsbauernverbandes besonders anerkennenswert, lobte Schütz. Denn dieser hatte einen Flyer gestaltet und beim letztjährigen Pfungstädter Bauernmarkt an die Bevölkerung verteilt. Darin klären die Bauern darüber auf, wie katastrophal sich der aktuelle und künftige Flächenverbrauch in der Gemarkung auf die Entwicklung der lokalen Landwirtschaft auswirkt. Mit ihrem Auftritt in eigens hierfür angeschafften, grünen T-Shirts hatten die Landwirte im September viel Aufsehen erregt, und den RBV-Vorstand dazu angeregt, eine neue Form der Ehrung zu ersinnen.
Neuwahlen für den Vorstand
Nach Verbandssatzung sollen im RBV Starkenburg die fünf Kreisbauernverbände, die den Regionalbauernverband Starkenburg ausmachen, gleichmäßig vertreten sein. Waren bislang fünf Mitglieder pro Kreis im Vorstand vertreten, so ist man seit vergangenem Jahr bemüht, diese Anzahl auf vier zu senken. Gleichzeitig wird ein rotierendes Wahlsystem angewandt, das heißt, dass in jedem Jahr etwa ein Drittel der auf jeweils drei Jahre gewählten Vorstandsmitglieder ausgetauscht werden. Wiederwahlen sind dabei zulässig. Nun die Ergebnisse der Vorstandswahlen, die jeweils einstimmig erfolgten.
- Für den Kreis Bergstraße: Wieder gewählt wurden Bernhard Helfrich (Unter-Abtsteinach) und Karl Seelinger (Lampertheim). Sebastian Glaser (Nordheim) tritt als gewähltes Vorstandsmitglied zurück, gehört dem Gremium aber kraft seines neuen Amtes als Kreislandwirt automatisch weiterhin an.
- Für den Kreis Groß-Gerau: Rainer Schneider (Büttelborn) wurde einstimmig bestätigt. Uwe Schulz (Groß-Gerau), der dem Vorstand zwölf Jahre lang angehört hatte, hat sich nicht erneut beworben, um die angestrebte Vorstandsverkleinerung zu ermöglichen.
- Für Darmstadt-Dieburg: Hier treten sowohl Karl Dörr (Rossdorf), als auch Manfred Horn (Harreshausen) nicht mehr an. Der eine, um Platz für Jüngere zu machen, und der andere aus gesundheitlichen Gründen. Für sie neu in den Vorstand gewählt wurden daher Axel Strauß, Geflügelzüchter aus Georgenhausen, und Sven Hehn, MilcherzeuÂger aus Ober-Ramstadt.
- Für den Landkreis Offenbach stellten sich Harald Löw (Rodgau), Arno Eckert (Egelsbach) und Beate Mahr (Rodgau) der Wiederwahl und wurden einheitlich bestätigt. Die Anzahl der Vorstandsmitglieder soll hier erst im kommenden Jahr herunter gefahren werden.
- Für den Odenwaldkreis wurde das Mandat von Hans Laudenberger (Michelstadt) bestätigt.
Vortrag Friedlinde Gurr-Hirsch
Sie sei gern ins südhessische Ober-Ramstadt gekommen, erklärte die baden-württembergische Staatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch bei der Hauptversammlung des Regionalbauernverbands Starkenburg in Ober-Ramstadt. Bei ihrem Referat im Rahmen der Vertreterversammlung des Regionalbauernverbandes Starkenburg zum Thema „Gemeinsame Herausforderungen und Perspektiven der Landwirtschaft in Hessen und Baden-Württemberg“ überzeugte sie durch Sachverstand.
Viele Gemeinsamkeiten
Die beiden Bundesländer haben viel gemeinsam, sagte die Referentin aus dem Süden, die nach einer dem Weinbau gewidmeten Phase in ihrem Leben (unter anderem war sie 1976/77 auch deutsche Weinkönigin) eine steile politische Karriere hingelegt hat, seit 2001 ist sie Mitglied des baden-württembergischen Landtags ist und wurde 2004 „vom Teufel geholt.“ Damit meint sie den damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Erwin Teufel, der ihr damals erstmals die Position einer Parlamentarische Staatssekretärin im Ministerium für Ernährung und Ländlichen Raum anbot. Die beiden Bundesländer hätten beide wunderbare, fruchtbare Böden, was den Anbau von Obst-, Gemüse-, Zuckerrüben und Getreide ermögliche. In beiden Ländern gebe es zudem viel landschaftliche Vielfalt und sie seien daher auch als Urlaubsregionen beliebt.
Rund 70 Prozent der Fläche Baden-Württembergs zählen als Ländlicher Raum; hier leben rund 35 Prozent aller Bewohner. Die Politik hat sich stets darum bemüht, für Stadt und Land vergleichbare Lebensbedingungen zu schaffen, berichtete die Staatssekretärin. Mittlerweile gebe es auch auf dem Lande eine flächendeckende Verkehrsinfrastruktur, Breitbandversorgung, eine ortsnahe Grund- und medizinische Versorgung. Daher ziehe es sogar Weltmarkt-Firmen in den ländlichen Raum, und die Arbeitslosigkeit liege dadurch niedriger als in den städtischen Bereichen. Allerdings gingen in Baden-WürtÂtemberg wie auch in Hessen die Zahl der landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetriebe zurück: Fast 90 Prozent der Höfe werden derzeit im Nebenerwerb bewirtschaftet.
Mehr Arbeit im ländlichen Raum
Seit 1995 gibt es das Entwicklungsprogramm Ländlicher Raum (ELR). Hier wurden seitdem insgesamt 467 Mio. Euro für über 7 500 Projekte bereitgestellt und damit ein Investitionsvolumen von rund 3,7 Mrd. Euro angestoßen. In über 3 000 Fällen der Gewerbeförderung konnten über 13 000 Arbeitsplätze direkt neu geschaffen und ein Mehrfaches davon gesichert werden. Darüber hinaus unterstützt das Land die landwirtschaftlichen Betriebe durch zahlreiche FörderprogramÂme.
Mit dem Maßnahmen- und Entwicklungsplan Ländlicher Raum Baden-Württemberg 2007 bis 2013 (MEPL II) stehen in einem Siebenjahreszeitraum rund 1,9 Mrd. Euro zur Verfügung, beispielsweise um Struktur verbessernde Investitionen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit in Landwirtschafts- und ForstÂwirtÂschaftsÂÂÂbetrieben durchzuführen. 675 0000 Euro davon werden über die EU finanziert.
Innovative Maßnahmen
Die Atomreaktorkatastrophe in Japan wird zu neuen Diskussionen um Nachhaltigkeit führen und die Energiepreise steigen lassen, erwartet Gurr-Hirsch. Wenn der Gürtel insgesamt enger geschnallt werden müsse, könne das jedoch auch den „Vor-Ort-Tourismus“ sowie den verstärkten Genuss heimischer Produkte ankurbeln. Ein weiteres Förderprogramm der Regierung, IMF für „Innovative Maßnahmen für Frauen im Ländlichen Raum“ begleite daher Frauen, die sich in den Bereichen „Ferien auf dem Bauernhof“, in Hof-Cafés oder in sozialen Projekten einbringen wollen. Insgesamt sieht die Staatssekretärin Grund zu Optimismus. Die Landwirtschaft werde weiterhin gebraucht. Schließlich gebe es bald acht Milliarden Menschen auf dem Planeten und in vielen Regionen seien wegen des Klimawandels künftig Fehlernten zu erwarten, während unsere Breitengrade über die Agrarbörse davon profitieren würden. Sundermann