Herpes bei Pferden: Hysterie oder Bedrohung für Bestand?

Pferdehalter hörten zwei aktuelle Beiträge in Baunatal

Zwei interessante Vorträge für Pferdehalter gab es auf der Landwirtschaftlichen Woche Nordhessen in Baunatal, organisiert vom Pferde­sportverband Hessen e. V., zu hören.

Zuchtstuten sollten möglichst wenig unnötigem Stress ausgesetzt werden, um die Anfälligkeit für Infektionen gering zu halten.

Foto: Florian Solle

Pferde-Fachtierarzt Dr. Christian Bingold aus Großostheim sprach zum Thema „Herpes – Hysterie oder Gefahr für unseren Pferdebestand?“ Zu Beginn stellte er klar, dass es sich bei der neurologischen Verlaufsform einer Herpesinfektion (EHM: Equine Herpesmyeloenzephalopathie) nicht um eine sich großflächig verbreitende Epidemie handelt, sondern um den lokalen Ausbruch einer tragischerweise für die betroffenen Pferde oft tödlichen Erkrankung.

Bei einem Pferdebestand von 1,1 Mio. Pferden in Deutschland und meist weniger als zehn tödlichen Verläufen pro Jahr sei die Gefahr eines EHM-Todesfalles aber extrem gering. Für den betroffenen Pferdebesitzer ist der Verlust des Pferdes katastrophal, besonders dann, wenn eine enge emotionale Bindung zum Pferd besteht, abgesehen vom finanziellen Schaden. Rein sachlich gesehen ist aber die Furcht vor EHM außerhalb eines betroffenen Bestandes weitgehend unbegründet, auch wenn sich diese lauffeuerartig durch die modernen Medien verbreitet. Lokale Ausbrüche haben historisch immer wieder stattgefunden und beschränken sich in der Regel ausschließlich auf den betroffenen Bestand, verursachen also keine Seuchenzüge.

EHM ist eine seltene, vom normalen Verlauf abweichende Verlaufsform einer EHV-1 (Equines Herpesvirus-1) Infektion. Die EHV-1 Infektion ist bereits in praktisch jedem Bestand vorhanden, muss also nicht eingeschleppt werden. Je nach Region schlummert sie bereits versteckt in einer sehr hohen Zahl von Pferden (circa 80 bis 90 Prozent) und wartet auf die Gelegenheit eines Ausbruchs. Die meisten Pferde infizieren sich bis zum Jährlingsalter und machen eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Atemwegserkrankung durch. Akut erkrankte Pferde können eine EHV-1 Infektion wie jede andere ansteckende Krankheit jedoch in einen Bestand einschleppen. Besonders riskant sind Pferde im ersten Lebensjahr mit Atemwegssymptomen.

Die eigentliche EHV-1 Infektion betrifft vorwiegend die Atemwege (von nicht bemerkt bis hoch fieberhaft), verursacht Spätaborte, lebensschwache Fohlen, jedoch nur sehr selten die neurologische Verlaufsform mit Lähmungen und dem Risiko des Todes. Die Übertragung des EHV-1 Virus erfolgt über die Atemwege, entweder durch Einatmung ausgehusteter Viren über die unmittelbare Umgebungsluft oder direkten Schleimhautkontakt. Krankheitssymptome der neurologischen Form sind Benommenheit, plötzliche Ataxie (Bewegungsstörung), Lähmungserscheinungen beginnend in der Hinterhand sowie eine zunehmende Blasenlähmung. Diese Symptome stellen sich binnen drei bis vier Tagen ein, wobei in den meisten Fällen zuvor ein mehr oder weniger heftiger Fieberschub erfolgt. Betroffen sind fast ausschließlich erwachsene Pferde, die schon latent infiziert waren.

Das Risiko eines Seuchenausbruchs steigt mit dem Infektionsdruck, beziehungsweise der Anzahl der von einem erkrankten Pferd ausgeschiedenen Viren. Besonders hoch ist die Anzahl der Viren nach einem durch EHV-1 verursachten Abort, weshalb bei einem Abort unbekannter Ursache immer sehr hohe Hygiene-Maßnahmen zu empfehlen sind. Betroffene Stuten scheiden nach einem solchen Abort auch noch circa fünf Tage danach erhebliche Virusmengen aus. Das reguläre EHV-1 Virus verursacht keine neurologische Verlaufsform. Nach aktuellem Kenntnisstand bedarf es einer spezifischen Mutation des Virus, um die aggressive neurologische Erkrankungsform zu verursachen. Diese Mutation erfolgt sehr selten, das Risiko steigt mit der Anzahl der produzierten sowie ausgeschiedenen Viren, weshalb flächendeckende Impfungen dringend zu empfehlen sind.

Haltungsbedingungen und Gesundheitslage im Bestand

Weitere Risikofaktoren sind die grundsätzlichen Haltungsbedingungen, die generelle Gesundheitslage einzelner Pferde und des gesamten Bestandes und vermutlich Stresssituationen und andere Faktoren, die das Immunsystem schwächen. Ist das Virus in einem Bestand einmal zur aggressiven neurologischen Variante mutiert, ist das Risiko der Erkrankung mehrerer Pferde und von Todesfällen in diesem Bestand sehr groß. Der genaue Krankheitsmechanismus der neurologischen Verlaufsform ist nach wie vor nicht vollständig geklärt. Das Hauptproblem entsteht jedoch im Rückenmark, wo es zu Durchblutungsstörungen und daraus resultierenden Schäden des Rückenmarks kommt. Diese Schäden verursachen je nach Schweregrad Lähmungen der Hinterhand und der Blase, wodurch es zum Festliegen und der Notwendigkeit der Euthanasie kommen kann. Gezielte Medikamente fehlen. Die Behandlung von EHM ist daher frustrierend, weil fast ausschließlich nach den Symptomen, aber nicht nach der Ursache behandelt werden kann und der tödliche Verlauf nicht selten trotz aller Bemühungen nicht aufzuhalten ist. EHV-1 und in noch größerem Ausmaß die EHM-Variante ist hoch ansteckend und lässt sich nicht eliminieren, weshalb die einzige Möglichkeit, die Wahrscheinlichkeit eines Krankheitsausbruchs zu verhindern, in der flächenhaften Impfung einer möglichst großen Zahl von Pferden liegt. Diese Impfung kann eine individuelle Erkrankung nicht verhindern, aber die Wahrscheinlichkeit und den Schweregrad reduzieren, und damit auch die Wahrscheinlichkeit, dass weitere Pferde im Bestand erkranken.

Ist EHM einmal im Bestand ausgebrochen, hilft die Impfung jedoch nicht, denn der EHV-1 Impfschutz scheint gegen das mutierte EHV-1 Virus weitgehend ineffektiv zu sein, sodass eine Impfung gegen diese Verlaufsform nicht funktioniert. Dies bedeutet aber nicht, dass eine Impfung gegen EHV-1 sinnlos ist. Im Gegenteil, es muss nach Möglichkeit versucht werden, die Anzahl der EHV-1 Viren so gering wie möglich zu halten. In diesem Sinne hat die Hessische Tierseuchenkasse beschlossen, bei Nachweis einer organsierten Bestandsimpfung gegen EHV-1 einen Zuschuss von zehn Euro pro Impfung zu gewähren. Der Zuschuss muss bei der Tierseuchenkasse beantragt werden, die eigentliche Abrechnung der Impfung läuft wie bisher über den Tierarzt. Quarantänemaßnahmen müssen mindestens drei, eher vier Wochen nach der letzten Virusausscheidung durchgeführt werden. Der Bestand sollte mindestens drei Wochen symptomlos sein. Sofern in dem jeweiligen vom Krankheitsausbruch betroffenen Bestand die notwendigen Quarantäne- und Hygienemaßnahmen getroffen werden, ist die Wahrscheinlichkeit des „Exports“ der Erkrankung in andere Bestände gering. Es ist zu erwarten, dass an unterschiedlichen Orten Infektionsausbrüche stattfinden werden, die auch durch Quarantäne- oder sonstige Maßnahmen nicht zu verhindern sind. Dies bedeutet, dass ein betroffener Bestand geschlossen und alles unternommen werden muss, dass das Virus nicht in andere Bestände verschleppt wird. Der Pferdeverkehr aus oder in den Bestand hat zu unterbleiben, bis sichergestellt ist, dass keines der Pferde mehr Viren ausscheidet. Der Pferdeverkehr zwischen nicht betroffenen Beständen sollte kein wesentlich erhöhtes Risiko darstellen. „Vollständig eliminieren kann man aber kein Risiko auf dieser Welt“, berichtete Dr. Bingold.

Schulpferdebetriebe erfolgreich managen

Um das Management von Schulpferdebetrieben ging es im Vortrag des Pferdewissenschaftlers Prof. Dr. Dirk Winter der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen. Von insgesamt 11 670 Reitvereinen und Pferdebetrieben (FN) bundesweit halten 6 700 im Durchschnitt 9,3 Schulpferde oder Schulponys (Sportentwicklungsbericht Pferdesport 2013). Etwa 68 Reitschüler inklusive Voltigierer hat ein Schulbetrieb im Durchschnitt, wobei stadtnahe Betriebe deutlich höher liegen als ländliche (Schwankungsbereich 10 bis 150 Reitschüler). Fast sämtliche Reitschüler kommen nur einmal pro Woche zur Reitstunde (94 Prozent), die wenigsten nehmen zwei oder mehr Reitstunden wöchentlich. Interessante Ergebnisse empirischer Untersuchungen stellte Professor Winter vor zu den Gründen neuer Interessenten, die reiten lernen möchten. Die große Mehrheit wünscht sich vor allem das Ausreiten (69 Prozent) oder Wanderreiten (39 Prozent), auch das Westernreiten (22 Prozent) und nur zu je 14 Prozent das Dressur- oder Springreiten.

Als Beweggründe stehen „Naturverbundenheit“ und „Liebe zum Pferd“ deutlich vor der sportlichen Betätigung. Potenziale für den Schulbetrieb könnten in folgenden Bereichen liegen:

  • Sparangebote, Testwochen, Schnupperwochen,
  • bessere Informationen über Reitangebote,
  • Spiel, Spaß, „Abenteuer“-Angebote,
  • Erarbeitung von Reitstunden durch Mithilfe,
  • bessere infrastrukturelle Anbindung,
  • gestaffelte Preisgestaltung,
  • Kombi-Angebote für Reiter und Nichtreiter,
  • Angebote für Jungs, Männer, Familien.

Der Vergleich von Pensions- und Schulbetrieben macht deutlich, dass der Schulpferdebetrieb einen viel höheren wirtschaftlichen und persönlichen Aufwand zu bewältigen hat. Auf veränderte Kundenansprüche hinsichtlich Qualität der Ausbildung und auch der Lehrpferde muss er eingehen, außerdem auf die Veränderung der zeitlichen Flexibilität der Kunden. Ebenso muss er die Anpassung der Preisgestaltung der Reitstunden an sich ändernde Rahmenbedingungen im Blick behalten. Zu den Voraussetzungen, die ein erfolgreicher Schulbetrieb bieten muss, gehören nach Prof. Winter vor allem ein passendes Umfeld (Marktanalyse zur Lage und Anzahl potenzieller Reitschüler), die Fachqualifikation und der Dienstleistungsgedanke sowie unternehmerisches Denken und Controlling („nur wer seine Kosten kennt, kann sie optimieren“). Von Bedeutung können auch die Verkehrsanbindung an den öffentlichen Nahverkehr und die Nähe zu Schule und Kindergarten sein.

Die Kundenzufriedenheit muss im Vordergrund der Betriebsplanung stehen. Umfragen offenbaren nämlich, dass die Qualität des Reitunterrichts, das Niveau der Lehrpferde, die Servicequalität und der Servicegedanke oft als verbesserungswürdig angesehen werden. 

Florian Solle – LW 3/2017