Türkische Landwirtin als Dorfoberhaupt

Özden Karaevli – als Landwirtin mit guter Kommunikation zu Gott

Kaum zu glauben, dass Özden Karaevli (53) Landwirtin ist. Keine Klagen, keine Beschwerden über die Politik, das harte Leben, ausufernde Büroarbeit oder schlechte Preise.

Özden Karaevli (links) studierte Pharmazie und arbeitete eine Zeit lang in einer Marburger Apotheke. Vor fünf Jahren erbte sie den Betrieb ihres Vaters und ist seitdem Landwirtin.

Foto: Astrid Thomsen

„Es bringt Spaß“, sagt sie. Was am meisten? „Die Ernte, damit ist etwas abgeschlossen. Ich weiß dann, ob sich die Arbeit der letzten Monate gelohnt hat!“ Was ist unerfreulich? „Schlechte Ernten.“ Özden Karaevli lacht. „Man braucht als Landwirtin eine gute Kommunikation mit Gott, das hilft.“

Seit Stunden steht sie in dickem Pullover und Jacke auf einer Sämaschine, die von einem Schlepper über den Acker gezogen wird. Es ist kühl, vom Marmarameer weht ein frischer Wind über die Hügel. Karaevli hat Handschuhe an und streicht immer wieder den rot gebeizten Weizen glatt. Die Körner sollen gleichmäßig und in der richtigen Menge durch Metallröhren rutschen und im rötlich braunen Saatbett abgelegt werden. Es klappt nicht richtig. Zusammen mit ihrem Traktorfahrer und einem landwirtschaftlichen Berater tüftelt sie an der Mengenregelung.

Unterstützung vom türkischen Bauernverband

Die studierte Pharmazeutin erbte vor fünf Jahren den Betrieb von ihrem Vater. Ãœber die erste Zeit sagt sie: „Ich habe einfach angefangen. Zuerst musste ich meine Cousins fragen, was ich genau machen muss. Sieben von ihnen sind selbst Bauern.“ Sie bekam auch Rat beim Bauernverband „Önder Ciftci Projesi“ in Tekirdag. Dieser wurde vor 20 Jahren unter Mitwirkung der DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft) gegründet und bietet Schulungen und gemeinsamen Ein- und Verkauf an. Hier in Tekirdag ist sie heute zweite Vorsitzende und bereitet mit ihren Kollegen für 2010 eine Landwirtschaftsmesse vor.

Auf ihren Feldern wachsen Raps, Weizen und Sonnenblumen. Mit 260 ha Land gehört sie zu den größeren Betrieben in der Türkei. „Es lohnt sich“, sagt sie, „eine Familie kann davon leben.“ Für ihre noch fabrikneu glänzenden rotgrünen Traktoren hat sie Kredite aufgenommen. Nach der Ernte kommt das Getreide in Lagerhallen. So kann sie abwarten, bis die Preise für den Verkauf günstig stehen. In Zukunft möchte sie auch Oreganum anbauen.

Forschungsarbeit in Deutschland

Der Vater ist vor drei Jahren gestorben. War er zufrieden mit ihrer Arbeit? „Ja“ sagt Karaevli. Sie ist schlank und zierlich. Ihre Bewegungen sind zurückhaltend. Wenn sie spricht, muss sie sich nicht anstrengen, damit ihr zugehört wird. Es ist, als wenn sie mit jedem Satz mitteilen möchte: Ist doch nichts Besonderes, was ich hier mache. Es ist einfach!

Sie erzählt in einer Mischung aus deutsch und englisch. Nach ihrem Pharmaziestudium in Istanbul hat sie fast drei Jahre in Deutschland gelebt, an ihrer Doktorarbeit geschrieben und in einer Apotheke in Marburg gearbeitet. „Landwirtschaft bringt aber mehr Spaß“, sagt sie. Ãœber ihr anderes Leben redet sie eher beiläufig. In Istanbul hat sie eine Wohnung und lebt dort mit ihrem Mann und zwei erwachsenen Töchtern. Haben die Inte­resse an Landwirtschaft? „Nein“, sagt sie, „vielleicht ja, später einmal.“

Sie pendelt die 150 km zwischen Istanbul und ihrer zweiten Wohnung in der Hafenstadt Tekirdag. Auf dem Bauernhof wohnen zwei Arbeiter, die das ganze Jahr über bezahlt werden. Schlechtwettergeld oder Arbeitslosenhilfe gibt es nicht in der Türkei. Was machen die im Winter? „Nichts“, sagt Karaevli und lacht, wirkt aber nicht unzufrieden mit der Situation.

Farmerin in Männerdomäne voll akzeptiert

Ohne Istanbul in der Nähe könnte sie nicht leben. Ãœber Ankara sagt sie: „Da ist schon Anatolien!“ Fast überall ist Anatolien, nur nicht in Istanbul. Etwas Anatolien ist auch in dem Dorf, zu dem ihr Hof gehört. Das Zentrum des Dorfes ist die Milchsammelstelle der französischen Firma Danone, die in der Nähe eine Molkerei hat, und das Männercafé. So wie Karaevli das Wort „Männercafé“ ausspricht, hat sie eine sehr zwiespältige Beziehung zu diesem Ort. Geht sie auch ins dorthin? „Natürlich gehe ich“, sagt sie, „ich bin ja Farmerin“. Gehen die anderen Frauen? „Nein, die dürfen nicht oder die wollen nicht.“ Und mit leisem Lachen erzählt sie noch, dass sie dort „Frauenaga“ genannt wird. Als Aga wird in der Türkei die Person bezeichnet, der das Dorf wirklich gehört. Im Gegensatz zum Bürgermeister, der vom Staat eingesetzt ist. Astrid Thomsen