Solarstrom aus der Wüste

Desertec: Pilotanlagen in den USA und Spanien funktionieren

Die Bezeichnung „Desertec“ steht für eines der ehrgeizigsten Energieprojekte weltweit. Die Vision: Solarstrom aus Afrika soll bis 2050 jeden fünften Haushalt versorgen. Bislang ist die Desertec-Initiative noch eine ambitionierte Vision, die bis zum Jahr 2050 umgesetzt sein soll. In den nächsten drei Jahren, in denen das Konsortium Machbarkeitsstudien und rentable Investitionspläne entwickeln will, wird sich zeigen, ob diese Vision tatsächlich Realität werden kann. Sabine Linker, Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen, erläutert dieses innovative Solarstrom-Konzept.

Nicht benötigte Energie der Solarkraftwerke soll für Meerwasserentsalzungsanlagen genutzt werden, um das Problem der Wasserknappheit zu lösen.

Foto: Meonnig

Hochspannungs-Gleichstrom-Leitungen sollen den Strom bis nach Europa leiten. Die einen sprechen von einer bevorstehenden Energie-Revolution, die anderen von einer weltfremden, mo­nopolistischen Fata Morgana. 11,3 Milliarden Tonnen Öläquivalent – Diese Zahl spiegelt den gigantischen globalen Primärenergie-Verbrauch im Jahr 2008 wider. 1978 waren es noch 6,5 Milliarden Tonnen Öläquivalent. In nur 30 Jahren hat sich der Welt-Energiebedarf beinahe verdoppelt. Doch nicht nur der Energieverbrauch wächst, zugleich nimmt die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu. Jetzt wollen zwölf große Konzerne für 400 Milliarden Euro Solarkraftwerke in den Wüsten Afrikas bauen und mit Wüstenstrom auch deutsche Haushalte versorgen.

Die Konsequenzen

Und so sieht die derzeitige Situation aus: Der Weltenergieverbrauch wächst genauso stetig wie die Weltbevölkerungszahl. Vergebens waren bisher die Versuche, den Anstieg zu bremsen oder gar einzudämmen. Das Problem Nr. 1: Fast 90 Prozent des Weltenergieverbrauchs basiert auf fossilen Energieträgern. Momentan hat Erdöl mit knapp 35 Prozent den größten Anteil an der weltweiten Primärenergie, gefolgt von Kohle und Erdgas.

Das Problem Nr. 2: Rund drei Viertel der gesamten Energie wird von nur knapp einem Viertel der Weltbevölkerung – nämlich den Industriestaaten verbraucht. Die Spitze der Energieverbraucher bilden Industrienationen wie USA, Frankreich, Kanada und auch Deutschland. Infolge des schwindelerregenden Tempos des Wirtschaftswachstums in China und Indien der letzten Jahre, das deutlich über dem anderer Volkswirtschaften lag, ist auch der Energieverbrauch drastisch gestiegen und muss zunehmend durch Importe gedeckt werden.

Die Internationale Energie-Agentur (IEA) weist in einer Studie auf die alarmierenden Konsequenzen eines ungebremsten Wachstums hin. Sollten die Regierungen rund um den Globus an ihrer derzeitigen Politik festhalten – was in dem IEA Referenzszenario die zugrunde liegende Annahme ist –, wird der weltweite Energieverbrauch 2030 weit über 50 Prozent höher sein als heute. Auf China und Indien zusammen werden in diesem Szenario 45 Prozent des Nachfrageanstiegs entfallen. Auf globaler Ebene werden fossile Brennstoffe im Energiemix vorherrschend bleiben. Es gibt nichts zu beschönigen: Atom, Öl und Kohle sind zwar die Energiequellen von gestern; doch das heißt nicht, dass sie unsere Energiezukunft nicht noch eine Weile begleiten. Der rasant wachsende Energiehunger zehrt die Bemühungen um den Ausbau der Erneuerbaren Energie auf. Mit „Desertec“ rückt eine einst­mals ferne Vision auf die Stufe der Realisierbarkeit. Pilotanlagen in den USA und Spanien funktionieren. Die Technik ist nach Einschätzung der Befürworter reif für die ersten Großprojekte.

Solarstrom made in Afrika – an diesem Projekt arbeiten Wissenschaftler, Industrie und Politik seit 2003. Sonnenlicht wird mittels Parabolspiegeln, die die Energie der Sonnenstrahlen auf einen Punkt bündeln, in Wärme mit hoher Temperatur umgewandelt, um damit Wasser zu erhitzen. Heißer Dampf treibt dann zur Stromerzeugung Turbinen in einem konventionellen Kraftwerk an. Dass mittels der sogenannten Solartürme große Mengen Energie erzeugt werden können, ist durch andere bereits in Produktion befindliche Solarthermie-Kraftwerke zum Beispiel im südspanischen Sevilla oder in den USA in Cramer Junction in der Wüste Kaliforniens erwiesen. In Sevilla reflektieren 1 255 Spiegel Sonnenstrahlen auf solch einen Solarturm. Mit „Desertec“ soll in den kommenden Jahrzehnten ein gigantisches Solar-Wüstenprojekt in der Sahara entstehen. Studien zufolge würde es reichen, um den heutigen globalen Strombedarf von 18 000 TWh/Jahr zu decken, drei Tausendstel der weltweit circa 40 Millionen km² an Wüstenflächen mit Spiegel- oder Kollektorfeldern solarthermischer Kraft­werke auszustatten. Das Projekt wird neben Interessensverbänden wie dem Club of Rome maßgeblich durch ein Konsortium von Großkonzernen aus der Energie- und Elektrotechnik-Industrie sowie einigen großen Unternehmen aus dem Finanz-Sektor vorangetrieben. „Desertec“ stammt aus der Visionenschmiede des Club of Rome. Die TREC-Initiative (Trans-Mediterranean Renewable Energy Cooperation) hat seit 2003 das Desertec-Konzept entwickelt, dessen Realisierung von der 2009 vom Club of Rome gegründeten „Desertec Foundation“ gefördert wird. Umfangreiche Studien zum Energiepo­tenzial der Wüsten stammen vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), das seinerseits die „Desertec Foundation“ wissenschaftlich unterstützt.

Deutsche Konzerne beteiligt

Jetzt plant ein Konsortium aus zwölf deutschen Industrieunternehmen, aus der Vision Realität zu machen. Mit der Gründung der sogenannten „Desertec Industrie Initiative“ (DII) hat die deutsche Industrie am 13. Juli 2009 die „Desertec“-Pläne aufgegriffen. Mit dabei sind auch die Stromkonzerne E.On und RWE, die Solarunternehmen Schott Solar und MAN Solar Millennium, die Finanzunternehmen Deutsche Bank und HSH Nordbank, der weltgrößte Rückversicherer Münchener Rück sowie die Industriekonzerne ABB und Siemens. Dem Vernehmen nach hat das Konsortium bereits die Aufgabenverteilung geplant: Die Münchener Rück könnte die Koordinierung, Risikoprüfung und Versicherung übernehmen, MAN Solar Millennium die Projektentwicklung, die Deutsche Bank und die HSH Nord­bank die Finanzierung, den Bau der Fernleitungen von Afrika nach Europa Siemens und ABB, die Bereitstellung der Solaranlagen Schott Solar und die Anlagenbauer Abengoa Solar und M+W Zander, die Stromvermarktung letztendlich E.On und RWE.

GmbH nach deutschem Recht

Das Projekt erstreckt sich nicht alleine auf Afrika.

Foto: Desertec-Foundation

Bis zum 31. Oktober soll eine Planungsgesellschaft als GmbH nach deutschem Recht gegründet werden. Die Planungsgesellschaft soll bis 2012 Grundlagen zur Finanzierung und technischen Umsetzbarkeit, die gesellschaftlichen und ökologischen Rahmenbedingungen sowie die erforderlichen begleitenden Maßnahmen seitens der Politik erarbeiten. Das zeigt: Noch steht das Projekt ganz am Anfang. Dennoch haben bereits weitere Konzerne aus dem In- und Ausland ihr Interesse an einer DII Mitgliedschaft bekundet. Die Commerzbank signalisiert, in das Projekt einsteigen zu wollen, sobald die Planungen weiter fortgeschritten sind. Und auch andere internationale Unternehmen verfolgen eigenständig ähnliche Ziele. Die Desertec-Pläne beschreiben ein Szenario bei dem bis 2050 ein Fünftel des europäischen Strombedarfs über Wüsten­strom aus Afrika gedeckt werden soll. In der MENA-Region – gemeint sind der Nahe Osten (englisch Mid­dle East = ME) und Nord Af­rika (NA) – sollen solar­thermi­sche Kraftwerke und Wind­parks aufge­baut werden. Ãœber HVDC Strom­leitungen (High Voltage Direct Current: Hochspannungs-Gleichstrom-Ãœbertra­gung (HGÃœ)) soll der Strom in die MENA-Länder und ab 2020 über Tausende Kilometer bis nach Europa (EU) geleitet werden. Der Transport der elektrischen Energie er­folgt mittels Tiefseekabel interkontinental durch das Mittelmeer. Bis zu 15 Prozent des europäi­schen Energiebedarfs und ein erheblicher Anteil des Strombedarfs der Erzeugerländer sollen so durch „Desertec“ gedeckt werden können.

Meerwasser entsalzen

Das Projekt beschränkt sich nicht alleine auf Solarthermie-Kraftwerke in Nord-Afrika. Auch andere regenerative Energie-Quellen wie Geo­thermie-Kraftwerke in Skandinavien, Italien und Spanien, Biomasse-Kraftwerke in Osteuropa und Windkraftwerke, die vorrangig an küstennahen Stand­orten geplant sind, spielen eine Rolle. Die gestrichelten Linien in der Grafik auf dieser Seite beschreiben das geplante Erweiterungsgebiet in Nordafrika. Ein weiterer Aspekt ist die Nut­zung nicht benötigter Energie zur Trinkwassergewinnung in Ballungsräumen mit schwacher Infrastruktur. Die Kraftwerke sollen mit Meerwasserentsalzungsanlagen gekoppelt auch Probleme der Wasserknappheit lösen helfen. Früher stellte die Ãœbertragung von Strom über weite Strecken ein Problem dar, da die Ãœbertragungsverluste enorm hoch lagen. Mittlerweile ist dies, so wird seitens der Industrie immer wieder betont technisch machbar. So wird in den USA oder zwischen der Nord- und Südinsel Neuseelands Strom per Hochspannungs-Gleichstrom-Ãœbertragung (HGÃœ) transportiert. Südafrika verwendet die HGÃœ Stromübertragung für Wasserkraftstrom aus Mosambik. In China wurde eine HGÃœ-Strecke über 1 400 Kilometer aufgebaut, die 5 000 Megawatt – entsprechend einer Leistung von fünf Kernkraftwerken – übertragen kann. Anbieter dieser Technologie sind Siemens und ABB. Mit modernen HGÃœ Leitungen läßt sich Strom mit Verlusten von weniger als drei Prozent pro 1 000 km übertragen. Die DLR-Studien beziffern die Investitionskosten auf 400 Milliarden Euro – 350 Milliarden Euro für die Kraftwerke und 50 Milliarden für das Stromnetz.

Was kostet die Sonne?

Die Erzeugung von Wüstenstrom wird nach den derzeitigen Berechnungen mit bis zu 20 Euro­cent pro kW veranschlagt und dürfte damit im Vergleich zu den Gestehungskosten konventioneller Kraftwerke mit circa 5 Cent deutlich teurer sein. Das DII Konsortium verweist hier auf die rückläufige Preisentwicklung bei Windkraft- oder Photovoltaik und setzt auf Mengeneffekte, die mit dem Ausbau des Desertec-Projektes zu erwarten seien. Dann könnte Sonnenstrom aus Afrika deutlich preisgünstiger in deutsche Steckdosen gelangen. Wie ernst meinen es angesichts dieser Skepsis die DII Mitglieder mit ihrem Projekt? Während der Aufsichtsratsvorsitzende der Desertec Foundation, Dr. Gerhard Knies, von einem Meilenstein für die weltweite Energie-, Wasser- und Klimasicherheit spricht, bleiben andere DII Mitglieder vorsichtig. So verwies zum Beispiel RWE-Chef Jürgen Großmann in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ darauf, dass es sich bei dem Vorhaben bisher nur um eine Idee handele. Bevor daraus ein Projekt „und dann möglicherweise eine Investition“ werde, müsse sie genau überprüft werden. Wenn sich das Projekt als machbar erweist, sei RWE aber mit dabei. Der Wüstenstrom könne Kohle- und Atomkraft aber nicht schon in zehn Jahren ersetzen. Eine solche Prognose hält Großmann für nicht seriös. Die Weltbank bereitet ein ähnliches milliardenschwereres Energieprojekt in fünf Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens vor. In Algerien, Ägypten, Jordanien, Marokko und Tunesien will der Fond für saubere Energien der Weltbank gemeinsam mit privaten Investoren rund 5,5 Milliarden Dollar in den Aufbau von elf solarthermischen Kraftwerken stecken. Bereits ab 2020 sollen diese Demonstrationsprojekte rund ein Gigawatt Strom für die Region erzeugen.

Kommt das Solarzeitalter?

Vieles bleibt derzeit noch unklar. Wird es Wissenschaftlern, Managern und Politikern gelingen, ein derartiges Giga-Projekt zu koordinieren und zu realisieren? Werden die Transitländer das Projekt unterstützen? Wie wird der Strombedarf 2020 oder gar 2050 in Europa oder Deutschlands angesichts einer industriell möglicherweise weniger prosperierenden Wirtschaft aussehen? Bis zum Jahr 2050 wird die Weltbevölkerung voraussichtlich auf 9,5 Mrd. Menschen wachsen. Alternative und regenerative Energien werden dabei immer relevanter, um den weltweiten Energiehunger auf absehbare Zeit zu decken.

Derzeit sollen sich solarthermische Kraftwerke mit einer Gesamtkapazität von 600 bis 700 Megawatt im Bau befinden. Weltweit sollen sich Anlagen mit insgesamt zehn Gigawatt Leistung in der fortgeschrittenen Planungs­phase befinden. Diese Solarstromanlagen entstehen in vielen Staaten: in Algerien, Australien, China, Dubai, Marokko, Spanien, USA.

Eines ist sicher: Die Energiewelt im Jahr 2020 oder 2030 wird erheblich anders aussehen als heu­te. Dabei werden angesichts der vom Weltmarkt gesetzten Energiepreissteigerungen und einem zunehmend globalen Stand­ortwettbewerb alle zukunfts­orientierten Entscheidungen über den Energiemix und die Maßnahmen zum Klimaschutz auch ökonomischen Kriterien folgen.