Ein cleverer Beutefänger

Insekt des Jahres: der Ameisenlöwe

Seit 1999 wird für Deutschland ein „Insekt des Jahres“ proklamiert. Ein Kuratorium, dem namhafte Insektenkundler und Vertreter wissenschaftlicher Gesellschaften und Einrichtungen angehören, wählt jedes Jahr aus zahlreichen Vorschlägen ein Insekt aus. Mit dem Insekt des Jahres soll auf die weltweit artenreichste Gruppe von Tieren aufmerksam gemacht werden, die allzu oft nur als Schädlinge oder Lästlinge abgetan werden. Weder schädlich noch lästig ist das Insekt des Jahres 2010: der Ameisenlöwe.

Der Ameisenlöwe ist das Larvenstadium eines libellenähnlichen Insekts. In der Natur sieht man ihn nur selten.

Foto: Johannes Gepp

Ameisenlöwen sind Insektenlarven, die der Ordnung der „Netzflügler“ (Neuroptera) angehören, einer Insektengruppe, die nach ihrer netzartigen Flügel­aderung benannt ist. Unter den mindestens 6 000 weltweit vorkommenden Netzflüglerarten – zu ihnen zählen auch die weitaus bekannteren Florfliegen – stellen die Ameisenlöwen mit nahezu 2 000 Spezies die artenreichste Familie. Die Mehrzahl der Ameisenlöwen kommt in den trocken-heißen Regionen der Erde vor. In Mitteleuropa im weiteren Sinne gibt es 17 Ameisenlöwenarten, wovon aus Deutschland, Österreich und der Schweiz ledig­lich neun Arten bekannt sind.

Ein unverwechselbares Aussehen

Der Ameisenlöwe ist die Larvenform der später daraus hervorgehenden geflügelten Ameisenjungfer (Myrmeleon formicarius). Die Grundfärbung der Larve ist braun mit rötlichen und grauen Schattierungen. Der etwas gedrungene Körper des Ameisenlöwen hat eine Länge von zehn bis 17 Millimeter und setzt sich aus Kopf, Brustschild und Hinterleib zusammen. Der Hinterleib nimmt bei Weitem den größten Teil des Körpers ein.

Die Larven haben einen großen flachen Kopf mit sehr kräftigen Mundwerkzeugen. Die dolch­artigen Kieferzangen dienen nicht nur zum Greifen, sondern auch zum Aussaugen der Beutetiere. Daher sind die Kieferzangen inwendig hohl und besitzen in der Mitte einen Saugkanal. Je sieben Augen zu beiden Seiten des Kopfes und zahlreiche Sinneshaare vermitteln die Verbindung zur Außenwelt.

Bevorzugte Lebensräume im Flachland

Der Ameisenlöwe lebt vorwiegend im Flachland, im Bergland kommt er nur unter 1 500 Metern vor. Ameisenlöwen haben sehr spezielle Biotopansprüche. Am ehesten kann man den Tieren an sonnigen Wald- und Wegrändern, am Rand von Sandgruben sowie auf Mager- und Trockenrasen begegnen. Ameisenlöwen sind auch in lichten Kiefernwäldern anzutreffen, nie aber im Schatten des tiefen Forstes. Mit Vorliebe errichtet der Ameisenlöwe seine Fangtrichter an besonnten Wald­rändern, auf Lichtungen, am Rand von Hecken und Buschwerk und an heidekrautbewachsenen offe­nen Stellen.

Allerdings wird man den Ameisenlöwen nie in ganz offenem Gelände finden, wie dies im Mittelmeergebiet und in südlichen, regenarmen Gebieten der Fall ist. Der Grund: Ausreichender Schutz vor Regen, der die Trichter zusammenschwemmen und die Sandkörner zusammenkleben würde, ist eine Grundvoraussetzung für das Vorkommen des Ameisenlöwen.

Trichterbau und Beutefang

Typische Trichter im Sand.

Foto: Johannes Gepp

Ameisenlöwen leben räuberisch: Sie errichten symmetrische Sandtrichter, in denen sie mit ihrer borstigen Behaarung gut verankert auf der Lauer liegen. Bei den Grabarbeiten ziehen sie, stets rückwärts im Krebsgang laufend, eine weite kreisförmige Furche im weichen Sand, die sie dann nach innen spiralig verlängern, sodass schließlich ein treppenförmig abgestufter Trichter entsteht. Der Sand wird mit dem schaufelförmigen Kopf und den gekreuzten Kiefern hinausbefördert und fliegt über fünf Zentimeter weit.

Durch ein Bombardement mit Sandkörnern holt der „Löwe“ auch seine Beute: Getroffene Ameisen und andere kleine Insekten sowie Spinnen, die in den Abhang der Fanggrube geraten sind, rutschen auf den Trichtergrund und werden mit den Greif- und Saugzangen ergriffen. Mit ihrem Biss ist eine lähmende Giftwirkung verbunden. Die ausgesogenen Häute der Beutetiere werden zum Trichter hinausgeworfen.

Zwei Jahre leben die „Löwen“ so in ihren Gruben, von denen sie aber, ihrer Größe entsprechend, nacheinander mehrere anlegen. Die Trichter der ausgewachsenen Larven sind etwa fünf Zentimeter tief mit einem größeren Durchmesser von fast acht Zentimeter. Ameisenlöwen können mehrere Monate unbeschadet ohne Nahrung und Wasser überleben, auch ertragen sie Umgebungstemperaturen von über 50 Grad Celsius. Durch ihre versteckte Lebensweise im Boden haben sie kaum natürliche Feinde.

Entwicklung zur Ameisenjungfer

Ameisenlöwen sind die Larvenstadien der Ameisenjungfern. Nach fast zwei Jahre währender Fallenstellerei spinnt sich der erwachsene Ameisenlöwe im Sand einen kugelrunden Seidenkokon, dem im Sommer eine Ameisenjungfer entschlüpft. Sie ähnelt im Äußeren und auch im langsam flatternden Flug gewissen Kleinlibellen. Durch die keulenförmigen Fühler ist sie von diesen aber doch leicht zu unterscheiden.

Ameisenjungfern haben gleich­falls kräftig entwickelte Kiefer und ernähren sich räuberisch von kleinen Insekten, darunter auch Blattläuse. Tagsüber sitzen sie bewegungslos beispielsweise an Ästen oder Brettern. Aufgescheucht flattern Ameisenjungfern nur kurze Strecken und lassen sich alsbald wieder nieder. Die Weibchen suchen am Abend nach warmen Flächen für die Eiablage.

An geeigneten Stellen gräbt das Weibchen mit dem Hinterleib eine kleine Grube, in die sie im Schnitt acht Eier ablegt. Die­se verkleben mit der feinkörnigen Umgebung und sind so gut getarnt. Ameisenjungfern fliegen von Mai bis September und leben nur zwei bis vier Wochen. Die Tiere werden häufig von Fledermäusen, dämmerungsaktiven Vögeln und Radnetzspinnen gefressen. Helmut Hintermeier