Agrarlogistik optimieren

Messfahrten von RWZ Rhein-Main und TU München in Langgöns

Ungewöhnlich viele Getreidetransporte waren kürzlich im südlichen Teil der Landkreise Gießen und Lahn-Dill unterwegs. Verschiedene LKW, ein Unimog und Traktorgespanne mit Anhängern befuhren immer wieder dieselbe Strecke zwischen den Orten Langgöns, Niederkleen, Rechtenbach, Hochelheim und zurück zum Ausgangspunkt, dem Agrartechnikzentrum Langgöns der Raiffeisen Waren-Zentrale Rhein-Main.

Ein möglicherweise zukunftsweisendes Arbeitsprinzip ist der „Dolly“ – ein angehängter einachsiger Auflieger.

Foto: Michael Schlag

Jedes Fahrzeug war insgesamt neun Mal unterwegs: drei Mal leer, drei Mal voll beladen mit Weizen und drei Mal mit halber Zuladung. Die Transporte waren Messfahrten im Auftrag der Raif­feisen Waren-Zentrale Rhein-Main in Hanau und der Techni­schen Universität München. Alle Fahrzeuge waren ausgestattet mit genauen Messvorrichtungen für den Diesel­verbrauch, gekoppelt mit einer geopositionären Ortsbestimmung (GPS). Der Zweck der Ãœbung, für die zwei Wissenschaftler aus München eine ganze Woche in Langgöns waren: Sie sollten neue Daten gewinnen zur wirtschaftlichen Berechnung von landwirtschaftlichen Transporten und zur Optimierung der Agrarlogistik. Man brauche „verlässliche Zahlen“, so Professor Heinz Bernhardt vom Institut für Agrarsystemtechnik der TU München, um sicher sagen zu können: „Welches Transportmittel ist für welche Strecke interessant?“ – Traktor, Unimog oder LKW? Die Messstrecke war 19 Kilometer lang, mit einer Ortslage (Langgöns), anschließend einer ansteigenden Kreisstraße zwischen den Orten Langgöns und Niederkleen, weiter über hügelige Landstraßen, durch einen Kreisverkehr und einer zweiten Ortsdurchfahrt durch Hochelheim. In der Summe „alles, was ein Landwirt bei seinen Transportaufgaben zu bewältigen hat“, so Bernhardt. Unimog und LKW wurden zusätzlich auf 19 Kilometer Autobahn im Abschnitt zwischen Langgöns und Linden geschickt. Die beiden Traktoren, die bei den Messfahrten eingesetzt wurden, hatten 200 und 360 PS, mit zwei Anhängern (Zweiachser) kamen auf 40 Tonnen zulässiges Gesamtgewicht (zGG). Der Uni­mog mit 280 PS erreich­te mit dreiachsigem Anhänger 38 Tonnen zGG. Die LKW schließlich hatten 440 PS Leistung, voll beladen mit Weizen bis zum maximal zulässigen Gesamtgewicht wogen sie 40 Tonnen. Es war die Wiederholung von Messfahrten, die auf derselben Strecke schon einmal im Jahr 2002 stattgefunden hatten. Deren Ergebnisse mussten jetzt aktualisiert werden, denn „wir haben heute nicht mehr die Traktoren, die wir vor acht Jahren hatten“, sagte Bernhardt, neu zum Beispiel sind stu­fen­lose Getriebe und geänderte Abgasgrenzwerte.

19 Kilo­meter Teststrecke

Es habe aber seit 2002 keine neuen Untersuchungen darüber gegeben, wie sich das auf den Dieselverbrauch in der landwirtschaftlichen Praxis auswirkt. Nicht nur die Transportgeräte haben sich in der Zeit ge­ändert, auch „die Entfernun­gen wachsen deutlich“, sagt Bernhardt. Die Konzentration des Landhandels auf weniger Zentren oder immer weitere Anfahrtstrecken über die Autobahn zu den verbliebenen Zuckerfabriken verlangen andere Transporteinheiten und „irgendwann kommt dann der LKW“. Die RWZ Rhein-Main stellte für die Untersuchung die Ladung, Umbauten und einen der LKW, ansonsten stellten die Hersteller die Fahrzeuge.

Die 19 Kilo­meter lange Strecke war aufgeteilt in neun Teilstrecken. Der Dieselverbrauch wurde mit GPS-Daten und genauer Zeitnahme für jedes Teilstück einzeln vermessen, jede Strecke lässt sich jetzt getrennt auswerten. Insgesamt sind 19 Ki­lometer als Teststrecke für landwirtschaftliche Trans­­­porte nämlich eher kurz, in der Praxis „fahren viele auch deutlich länger“, sagt Prof. Bernhardt.

Trends in der Logistikkette

Jedes Fahrzeug war insgesamt neun Mal unterwegs: drei Mal leer, drei Mal voll beladen mit Weizen und drei Mal mit halber Zuladung. Die Transporte waren Messfahrten im Auftrag der Raiffeisen Waren-Zentrale Rhein-Main in Hanau und der Technischen Universität München.

Foto: TU München

Eine Tendenz zeigt sich bereits seit Jahren: „Die Anforderungen an die Agrarlogistik werden immer höher“, sagt Professor Dirk Engelhardt, Leiter des Geschäftsbereichs Logistik der RWZ Rhein-Main in Hanau, und „es geht zu viel Zeit mit Transporten drauf“. So seien die Wartezeiten bei der aufnehmenden Hand während der Ernte viel zu lang, bei Ölmühlen könne es passieren, dass der Landwirt sechs bis acht Stunden warten muss, um seine Fracht loszuwerden. Auch die Zeit, die mit den Transporten auf der Straße bleibt, sei zu lang: „Mit eigenem Gerät wird oft zu teuer gefahren“, sagt Engelhardt. Vieles spricht bei den länger gewordenen Strecken für den LKW, aber nicht unbedingt für die eigene Anschaffung, denn „wenn der LKW nicht ausgelastet ist, wird er für den Betrieb zu teuer.“ So zeigen sich verschiedene Trends in der landwirtschaftlichen Logistikkette. Ein Zwi­schen­lager für das Erntegut kann sinnvoll sein, aber nicht unbedingt als langfristiges Lager, sondern nur als kurzfristige Ablage, um zu vermeiden, dass der Mähdrescher auf dem Feld warten muss, weil der Abfluss des Materials bei der aufnehmenden Hand stockt. Eine andere Möglichkeit wird seit einigen Jahren auf einem Landwirtschaftsbetrieb in Grünberg (Landkreis Gießen) praktiziert: Die RWZ stellt Auflieger an den Feldrand, diese werden vom Landwirt befüllt und von der RWZ wieder abgeholt. „Es funktioniert wie bei einem Pfandsystem“, so Engelhardt, die Ein­zel­hei­ten regelt ein Spe­di­tions­logistikvertrag. Allerdings: „Es gibt keinen Königsweg“, sondern immer nur Lösungen für den Einzelfall, sagt der Logis­tik­experte der RWZ. Insgesamt spricht Vieles dafür, dass die Landwirtschaft in Zukunft nur noch ihre innerbetrieblichen Transporte selbst macht, aber Vieles was den Hof verlässt an Transportunternehmen übergibt.

Zukunftsweisendes Prinzip?

Ein möglicherweise zukunftsweisendes Arbeitsprinzip ist der „Dolly“ – ein einachsiger Anhänger für Auflieger. „Der Dolly ist ein Koppelstück“, sagt Prof. Bernhardt von der TU München – er funktioniert als Adapter, der die Verbindungslücke schließt zwischen Lkw-Auflieger und Traktor-Zugmaul. Mit dem Dolly lassen sich Auflieger nicht mehr nur an den Sattelschlepper, sondern auch an einen Unimog und sogar an das Zugmaul eines Schlep­­pers anbinden. Der Dolly kann landwirtschaftliche Zugkraft mit dem Transportgerät der Speditionen verbinden, allerdings braucht er dafür einige Umbau­ten. Der Dolly, der bei zusätzli­chen Messfahrten rund um Langgöns zum Einsatz kam, hatte einen eigenen Tank mit 200 Liter Hydrauliköl und einen Zapfwellenanschluss für den Kraftantrieb der Hydraulik, außerdem eine Um­spannung von der 12-Volt-Schlepperelektrik auf die 24-Volt-Anhängerelektrik und er war insgesamt höher gebaut als übliche Straßenmodelle.

Ergebnis in KTBL-Datensammlung

Die betriebswirtschaftliche Aus­wertung der jetzt gewonne­nen Daten wird voraussichtlich einen Monat dauern, die Ergebnis­se fließen in die KTBL-Datensammlung ein und können in der Beratung verwendet werden. Die Messmethode wurde an der Universität Gießen am damaligen Institut für Landtechnik bei Prof. Hermann Seufert entwickelt. Die beiden Landtechnikprofessoren Bernhardt und Engel­hardt sind Schüler von Seufert und hatten in Gießen promoviert. Beide stammen aus der land­wirt­schaft­lichen Praxis. Engelhardt, aufgewachsen in der Wetterau, arbeitete schon als Student bei der RWZ, Bernhardt stammt von einem landwirtschaftlichen Betrieb in Südhessen. Schlag