Kein Zusammenhang von Bestandsgröße und Seuchen

Kolloquium der Tiermedizin Gießen verdeutlicht hohen Standard

Großer Andrang herrschte kürzlich beim Fachbereich Veterinärmedizin der Universität Gießen, als die Deutsche Veterinärmedizinische Gesellschaft, der Gießener Fachbereich und das Institut für Hygiene und Infektionskrankheiten der Tiere zu einem Festkolloquium zu Ehren des 65-jährigen Institutsleiters Prof. Dr. Georg Baljer geladen hatten. Durch das Generalthema „E.coli und Co. – Infektiöse Darmerkrankungen bei Haustieren“ erhielt die Veranstaltung große Aktualität.

Voller Hörsaal beim Kolloquium mit (erste Reihe v.l.) Prof. Dr. Lothar Wieler (FU Ber­lin), Prof. Dr. Helge Karch (Münster) und Prof. Dr. Georg Baljer.

Foto: Hans-Georg Burger

Ãœber viele Wochen hat die aggressive EHEC-Epidemie Politik, Wissenschaft, Verbraucherschaft, landwirtschaftliche Er­zeuger und Lebensmittelvermarkter in Atem gehalten. Mit über 4 300 infizierten Krankheitsfällen und 49 Toten sowie einem volkswirtschaftlichen Gesamtschaden von bisher 1 Milliarde Euro ist diese EHEC-Epidemie der „schlimmste Au­s­bruch“ in Deutschland nach dem Krieg. So sieht für den renommierten EHEC-Forscher Prof. Dr. Helge Karch (Universität Münster) das vorläufige Ergebnis der gefährlichen Darmerkrankung EHEC aus, wie er bei dem Symposium zum aktuellen Stand berichtete.

Stand der Forschung erläutert

Die Zahl der bei Menschen und Tieren durch verschiedene E.coli-Keime ausgelösten Dar-merkrankungen ist in den letzten zehn Jahren kontinuierlich gestiegen. Zu den Quellen gehö-ren immer wieder Nutztiere. Insbesondere Wiederkäuer werden zunächst als Auslöser ver-dächtigt, da diese Keime typische Bewohner des Darms von Wiederkäuern sind, aber bei ihnen keine Erkrankungen verursachen. Daher kommt der Tierhygiene eine besondere Bedeutung sowohl bei der Erforschung und bei der Vermeidung der gefährlichen Infektionskrankheiten wie auch in der landwirtschaftlichen Praxis zu. Prof. Dr. Martin Kra­mer, Dekan des Fachbe­rei­ches Veterinärmedizin der Universität Gießen, hat ihren Stellenwert zu Beginn der Tagung hervorgehoben. „Die Tierhygiene ist und bleibt ein wichtiges Fach in der Tiermedizin und auch in Gießen“, betonte er.

Auf hohe Standards achten

Die Tierhaltung müsste auf hohe Hygienestandards achten, auch wenn die Fälle nicht durch Wiederkäuer ausgelöst worden seien. Diese Mahnung richtete der Leiter des Arbeitsgebietes Infektionsmedizin der Deutschen Veterinärmedizinischen Gesellschaft und Direktor des Instituts für Tierseuchen an der Freien Universität Berlin, Prof. Dr. Lothar Wieler, an die Tierärzteschaft und an die landwirtschaftliche Praxis.

Die moderne Landwirtschaft und die Tierproduktion wird von Kritikern als ein Grund für zunehmende Infektionserkrankungen genannt, weil Wiederkäuer oft als Auslöserquellen gelten. Für Prof. Dr. Georg Baljer, Leiter des Gießener Instituts für Hygiene und Infektionskrankheiten der Tiere und seit 30 Jahren ein Pio­nier der E.coli-Forschung bei Haustieren, ist dies nicht zutreffend. In Gesprächen am Rande der Tagung wies er darauf hin, dass der Bereich Hygiene in Großtierbeständen durch die fachtierärztliche Betreuung eine deutliche Aufwertung erfahren habe und einen hohen Standard aufweise. Auch Prof. Wieler, ein Schüler Baljers, bezeichnete die Erforschung und die Überwachung der durch E.coli ausgelösten Darmerkrankungen bei Nutztieren als weit fortgeschritten. Das führt er unter anderem auf die im Jahr 2005 durch die EU eingeführte Leitlinie über den verantwortlichen Einsatz von Tierarzneimitteln (EPRUMA) zurück.

Resistenz wird zum Problem

Einen dringenden Handlungs- und Forschungsbedarf sieht Wieler bei Heimtieren wie Hunde und Katzen, aber auch bei Pferden. Angesichts des Wandels von Heimtieren zu „Schmusetieren“ bestehe durch den engeren Kontakt zwischen den Tieren und den Haltern die Gefahr einer vermehrten Ãœbertragung von sogenannten ESRL-Stämmen, die multiresistent wären, unter anderem auch gegen Antibiotika. In der Tierärzteschaft, vor allem in der Kleintiermedizin, wäre das Wissen über die Gefährlichkeit dieser multiresistenten Erreger allerdings noch zu wenig verbreitet. Er forderte daher von seinen Be­rufskollegen eine stärkere Sensibilisierung für ESRL, ihre Gefährlichkeit und ihre Behandlung.

Tierärzte sensibilisieren

Prof. Dr. Dr. habil. Georg Baljer.

Foto: Hans-Georg Burger

Auch sollten Kleintierpraxen und Tierkliniken verantwortungsvoll mit Antibiotika bei der Behandlung von erkrankten Tieren umgehen. Da Antibiotika in der Human- und Tiermedizin eine der wichtigsten Instrumente bei der Behandlung von Infektionskrankheiten geworden sind, sieht Prof. Wieler „dringend ein-dämmende Maßnahmen gegen die Resistenzentwicklungen als notwendig an“. Die Tierärzte für diese Problematik zu sensibilisieren, war auch ein Anliegen des Festkolloquiums.

Pionier der E.coli-Forschung

Prof. Dr. Georg Baljer befasst sich seit 30 Jahren mit der Erforschung und Bekämpfung von hochinfektiösen Darmerkrankungen bei Haustieren. Der Direktor des Instituts für Hygiene und Infektionskrankheiten der Tiere an der Justus-Liebig-Universität genießt im In- und Ausland in der Fachwelt eine hohe Reputation und gilt als einer der Pioniere bei der Erforschung der gefährlichen E.coli-Bakterien bei Tieren. Besondere Verdienste hat er sich auch dadurch erworben, dass er gemeinsam mit Prof. Dr. Helge Karch von der Universität Münster Initiator und Mitgestalter des „One-Health-Konzeptes“ bei der Erforschung und Vermeidung der EHEC-Erkrankungen ist. Ein enger Kontakt zur landwirtschaftlichen Praxis zeichnet seine Arbeit mit aus. Der 65-jährige Prof. Baljer lehrt und forscht seit über 20 Jahren in Gießen. Im oberösterreichischen Vöcklabruck geboren und im oberschwäbischen Weingarten aufgewachsen, studierte er in München Veterinärmedizin und promo­vier­te dort. 1991 wurde er Mitglied des wissenschaftlichen Futtermittelausschusses der Eu­ropäischen Kommission. Burger