Keine Missstände wie in der Fleischwirtschaft

Handarbeitsintensive Landwirtschaft diffamiert

Anlässlich der aufgedeckten Missstände in der Fleischwirtschaft greifen Bundessozialminister Hubertus Heil und Bundesfinanzminister Olaf Scholz in einem Schreiben an die Landesminister und Bürgermeister auf Verallgemeinerungen zurück und diffamieren global, ohne Berücksichtigung von Fakten, alle Arbeitgeber von Saisonarbeitskräften im landwirtschaftlichen Sektor. Der Verband der süddeutschen Spargel- und Erdbeeranbauer reagierte mit Fakten.

Die Abstandsauflagen und Hygienemaßnahmen haben auf den Betrieben die Spargelsaison 2020 deutlich erschwert. Die Betriebe verzichteten auf Erntehelfer, um die coronabedingten Auflagen umsetzen zu können.

Foto: Setzepfand

In dem Schreiben der Bundesminister steht: „Bei der Einhaltung der Grundsätze des Arbeitsschutzes sind jedoch teils erhebliche Probleme in Betrieben der Fleischwirtschaft und bei der landwirtschaftlichen Saisonbeschäftigung bekannt geworden. Dies dürfte nicht zuletzt auf die häufig prekäre Unterbringungs- und Transportsituation der ausländischen Beschäftigten und die Hygienebedingungen in den Betrieben zurückzuführen sein... Hinzu kommt, dass die Bereiche Fleischwirtschaft und landwirtschaftliche Saisonbeschäftigung besonders anfällig für Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung sind.“

Landwirte haben auf viele Erntehelfer verzichtet

Dem entgegnet der VSSE, dass die Landwirte unter stark erschwerten Bedingungen aufgrund der Corona-Pandemie mit immensen Produktionskosten und hohem Zeitaufwand die Ernte bewerkstelligten. Dabei haben sie auf rund 28 Prozent der Erntekräfte, die sie nicht nach Infektionsschutzvorgaben unterbringen konnten, verzichtet und dafür Ernteeinbußen in Kauf genommen.

„In vielen Punkten widersprechen die Fakten den geäußerten Unterstellungen. Mit diesem Schreiben bringen Minister Heil und Minister Scholz den Anbauern Geringschätzung entgegen. Deswegen haben wir die Bundesminister angeschrieben, um dies richtigzustellen“, betonte Simon Schumacher, Vorstandssprecher des VSSE und Sprecher für das Netzwerk der Spargel- und Beerenverbände.

Der Spargel- und Beerenanbau sei saisonal, so auch mehrheitlich die Beschäftigungsverhältnisse. Dennoch werden bereits, laut einer Umfrage des VSSE 2019, 24 Prozent der Erntehelfer im Spargel- und Beerenanbau sozialversicherungspflichtig eingestellt. Die Erntehelfer werden nicht bei Subunternehmen, sondern direkt beim Betrieb angestellt. Für sozialversicherungsfrei angestellte Erntehelfer schließen die Betriebsleiter in den meisten Fällen freiwillig Kranken- und Unfallversicherungen ab, deren Kosten die Betriebe zu 100 Prozent übernehmen.

Neben der üblichen Meldung der Erntehelfer bei der Sozialversicherung und dem Finanzamt, wurden sie in dieser Saison zusätzlich beim Gesundheitsamt angemeldet. Auch war der Arbeitsvertrag für ausländische Erntehelfer zwingend notwendig, um nach Deutschland einreisen zu können, was der Unterstellung illegaler Anstellungsverhältnisse widerspricht.

Eine bundesweite Statistik des Zolls für das Jahr 2019 über alle Branchen hinweg zeigt, wie selten festgestellte Straftaten und Ordnungswidrigkeiten in Bezug auf die Anmeldungen bei der Sozialversicherung, Sozialleistungen und Mindestlohn in der Landwirtschaft sind. Bei den eingeleiteten Strafverfahren lag der Anteil bei 1,07 Prozent und bei den eingeleiteten Ordnungswidrigkeitenverfahren bei 0,59 Prozent.

Bei bundesweiten Zollkontrollen wurden am 19. Juni 2020 rund 6 000 Beschäftigte in 500 landwirtschaftlichen Betriebe hinsichtlich ihrer Arbeitsverhältnisse überprüft (Quelle: www.zoll.de/SharedDocs/Pres...). Bisher wurden elf Strafverfahren und sechs Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet. In 1 011 Fällen, was rund 17 Prozent der Beschäftigten entspricht, sind noch Sachverhaltsaufklärungen notwendig. In Sachsen gab es keine Beanstandungen (Quelle: www.agrarheute.com/land-leb...). Der Zoll Bremen entdeckte bei seinen Kontrollen mustergültige Betriebe (Quelle: www.zoll.de/SharedDocs/Pres...).

Zudem war laut der Umfrage des Netzwerks der Spargel- und Beerenverbände in dieser Saison jeder sechste Erntehelfer eine inländische Arbeitskraft. Die Anbauer stellten vor allem Arbeitnehmer in Kurzarbeit, Arbeitslose, Selbstständige sowie Studierende und Schüler ein, um die Ernte zu bewältigen. Gerade für Arbeitnehmer, die ihre sonstige Tätigkeit Corona bedingt, nicht ausführen konnten, war die Erntetätigkeit eine wichtige Einnahmequelle.

Unterbringungs- und Transportsituation

Für die Unterbringung halten die Spargel- und Beerenbetriebe die Arbeitsstättenrichtlinien ein. Ein Standard nach hiesigen Maßstäben anzusetzen ist ungerechtfertigt, da sich die Arbeitskräfte nur wenige Monate dort aufhalten und auch im Sinne der Arbeitnehmer die Kosten überschaubar bleiben müssen. Den Arbeitnehmern ist freigestellt, sich alternativ selbst um Unterkünfte in Pensionen für Monteure oder Mietwohnungen zu kümmern. Es zeigt sich aber, dass dies selten vorkommt, da die Arbeitskräfte die Unterkünfte auf den Höfen bevorzugen. Die Kosten sind deutlich niedriger, und der Standard ist durchaus ausreichend und mitunter besser als in den eigenen Häusern in Rumänien.

In dieser Saison war coronabedingt, laut dem Konzeptpapier vom Bundesamt für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) sowie vom Bundesamt des Inneren, für Bau und Heimat (BMI), die halbe Zimmerbelegung gefordert, welcher die Betriebe nachkamen. Laut der Umfrage des Netzwerks der Spargel- und Beerenverbände im Mai nahmen die Betriebe durchschnittlich 880 Euro an Mehrkosten pro Saisonarbeitskraft für die Infektionsschutz gemäße Anreise und Unterbringung der Erntehelfer auf sich. Das LW berichtete. Für den Transport zum Feld kauften und mieteten die Spargel- und Beerenanbauer mehr Transporter, was die Zahlen der Autovermietungen belegen.

Hygienebedingungen in den Betrieben

Laut der Umfrageergebnisse des Netzwerks für Spargel- und Beerenverbände gab es bei den Kontrollen im Mai nur geringfügige Beanstandungen, und das auch nur bei 15 Prozent der Betriebe. Auch liegt die Infektionsrate bei Saisonarbeitskräften in der Spargel- und Beerenbranchen mit 117 bekannten Fällen auf 106 000 in Deutschland arbeitende Saisonarbeitskräfte mit 0,11 Prozent um mehr als die Hälfte so niedrig wie im gesamt-deutschen Durchschnitt mit 0,22 Prozent (Stand: 23. Juni 2020). Es liegen also im Gegensatz zur Fleischwirtschaft keine erheblichen Probleme bei den Hygienemaßnahmen und beim Arbeitsschutz vor, versichert Schumacher.

vsse/LW – LW 27/2020