Kirschenklau in Ockstadt so dreist wie nie zuvor

Im Einsatz: Anbauer, Privatermittler und Polizei

So dreist wie in diesem Jahr waren die Diebe in der Gemarkung des Wetterauer Kirschendorfes Ockstadt noch nie unterwegs. Am helllichten Tag bestreifen Kundschafter vor allem die von der Ortslage entfernteren Obstbaumflächen, um mit Kennerblick den Reifezustand festzustellen und das für den Beutezug günstigste Datum vorfestzulegen. Familien- oder auch Bandenmitglieder pflücken anschließend Kiloweise die hochpreisige Ware nach allen Regeln der Kunst, um sie mit bester Qualität ganz frech auch noch als Ockstädter Kirschen zu vermarkten. Doch die Kirschenanbauer setzen sich jetzt entschlossen mit eigenen Streifenfahrten (rund 30 Anbauer), dem Einsatz von angestellten spezialisierten Privatermittlern, die bundesweit tätig sind, und in Abstimmung mit der Polizei zur Wehr.

Qualitätskirschen aus Ockstadt genießen in der Wetterau Kultstatus, auf jeden Fall aber die Bedeutung einer (gesetzlich nicht geschützten) Regionalmarke. Viele Verbraucher legen gerne deutlich mehr Geld auf die Ladentheke der Erzeuger in Ockstadt oder einer mobilen Verkaufsstelle, wie hier am Rande von Ober-Mörlen, als für Kirschen aus dem Mittelmeerraum. Der gute Erzeugerpreis lockt mehr und mehr Diebe an, die am Finanzamt vorbei mit wenig Arbeit Geld verdienen wollen.

Foto: Dietz

Waren es früher üblicherweise Gelegenheitsdiebe, die die Kirschen an Ort und Stelle verzehrten oder Rowdies, die die Kirschen samt Zweigen völlig unsachgemäß vom Baum rissen und dadurch zusätzliche Schäden an den Pflanzen verursachten, hat sich das Bild der Täter heute deutlich gewandelt.

Kultstatus in der Wetterau für Ockstädter Süßkirschen

Sie haben vertiefte Kenntnisse über die Vorgehensweise beim Pflücken bis hin zur Vermarktung der „ordnungsgemäß“ mit Stiehl geernteten hochwertigen Früchte, die sie anderenorts hochpreisig verkaufen, denn „Ockstädter Kirschen“ haben sich wegen ihrer guten Qualität in der Region den Rang einer eigenen Qualitäts-Marke erworben. Verbraucher in der Region sind bereit, für das heimische Produkt mehr Geld auf die Theke zu legen als für Ware aus dem Mittelmeerraum.

Kirschenanbauer in Soko zusammengeschlossen

Die Täter handeln nach dem Geschäftsmodell „ohne Aufwand (außer dem Pflücken) 100 Prozent Gewinn“. Damit sind die Ockstädter Kirschenanbauer, deren Familien diesen Einkommenszweig seit mehr als 200 Jahren beackern (siehe auch LW 28/2020, Seite 48), ganz und gar nicht einverstanden.

Wie Christine Dönges, die mit ihrem Mann Jürgen einen landwirtschaftlichen Betrieb bewirtschaftet, dem LW mitteilt, haben sich die Kirschenanbauer dieses Jahr in einer „Soko“ zusammengeschlossen und treten den Kirschendieben entschlossen entgegen. Anbauer melden der Soko mittlerweile Beobachtungen in der Gemarkung aktuell an die eigens gegründete WhatsApp-Gruppe. So konnte eine Frau von außerhalb auf frischer Tat ertappt werden, als sie nach etwa 20 Minuten mit 8 kg frisch mit Stiehl gepflückten Kirschen in Plastiktüten zu ihrem Auto zurückkehrte. Die Ãœberprüfung der Personalien von Tätern übernimmt die Polizei.

Mittlerweile gehen Täter ins aufgespannte Netz

Durch die rege Streifentätigkeit der Kirschenanbauer und der zwei Privatermittler, unterstützt von Polizeistreifen in Zivil, gingen bereits etliche Täter ins aufgespannte Netz. So unter anderem eine Person, die sich illegal in Deutschland aufhielt, eine andere war auf Bewährung frei und bei einer dritten zückten die Polizeibeamten ihre Waffen und durchsuchten den Pkw des Verdächtigen.

Diebe in Familien oder Banden gut organisiert

„Das sind in der Regel keine Zufallsdiebe, die wir beobachten. Entweder sind sie Angehörige einer Familie, die das Erkunden, das Pflücken und letztlich die Vermarktung der gestohlenen Ware gut durchorganisiert haben oder eben auch Bandenmitglieder.“ Kürzlich habe ein Kleintransporter zwei „Pflücker“ an einer Kirschenanlage abgesetzt. Das Fahrzeug habe in einiger Entfernung mit Sicht zu den Tätern Stellung bezogen und sozusagen Schmiere gestanden, um diese bei Entdeckung zügig wiederaufzunehmen und zu fliehen. Manchmal würden Täter auch einfach abgesetzt und zu einem vereinbarten Zeit- und Treffpunkt wieder abgeholt. „Handy-Fotos von Tätern oder den benutzten Fahrzeugen unterstützen die Arbeit der Polizei ebenso wie die notierten Auto-Kennzeichen“, so Dönges.

Die langsam wachsenden Unterlagen, die ein Abernten ohne Leiter ermöglichen und somit die Unfallgefahr für die Pflücker erheblich mindern, begünstigen die Vorgehensweise der Diebe. Der empfindlichste Einzelfall war das Abernten einer ganzen Reihe kleinkroniger Bäume. Der Anbauer hatte regelmäßig den Reifezustand kontrolliert. Als er zwei Tage nach der letzten Kontrolle zur Ernte anrückte, waren die Bäume über Nacht leergepflückt, die Arbeit eines ganzen Jahres bezüglich Pflege-, Düngungs- und Pflanzenschutzmaßnahmen verloren.

„Werden Kirschendieben das Handwerk legen“

„Das werden wir nicht einfach so hinnehmen. Hier geht es um unsere wirtschaftliche Existenz. Durch eigene Anstrengungen, unterstützt von den angestellten Privatermittlern und der Polizei, werden wir den Kirschendieben das Handwerk legen“, macht Christine Dönges die Entschlossenheit der Ockstädter Kirschenanbauer deutlich.

Dz – LW 29/2020