Klimawandel versus Züchtung – wer hat die Nase vorn?
Sortenanpassungen laufen seit Jahrzehnten
Der Klimawandel ist nicht mehr nur ein abstraktes globales Phänomen, son- dern längst ein reales Problem, das auch die Äcker in Deutschland erreicht hat. Das jedenfalls bestätigen die Beobachtungen der letzten Jahre sowie die offiziellen Klima- und Ertragsdaten.

Foto: agrar-press
Klimawandel im rekordverdächtigen Tempo
Allein das Jahr 2018 zeigt, welche drastischen Auswirkungen Temperatur- und Niederschlagsanomalien auf die pflanzenbauliche Produktion haben können. Während, vor allem an norddeutschen Standorten, hohe Niederschlagsmengen für erschwerte Aussaatbedingungen und hohe Nährstoffverluste im Herbst sorgten, waren es Trockenheit und Extremtemperaturen im Sommerhalbjahr, die zu weiteren Ertragsschmälerungen in den ohnehin schlecht etablierten Getreide- und Rapsbeständen geführt hatten.
Auch in Rheinland-Pfalz waren 2018 viele Regionen von einer langanhaltenden Sommertrockenheit betroffen. Fehlende Niederschläge während der sensiblen Phase zwischen April und Oktober machten sich vor allem in den Durchschnittserträgen der Sommerungen bemerkbar.
Ertragseinbußen bei Wintergetreide möglich
In direkter Verbindung zur Temperaturentwicklung steht auch, dass die Anzahl kalter Wintertage immer weiter abnimmt. Prognosen für Rheinland-Pfalz deuten darauf hin, dass hierdurch der Vernalisationsbedarf der Winterkulturen in naher Zukunft nicht mehr gedeckt werden kann. Diese beanspruchen im Mittel einen akkumulierten Kältereiz von 0 bis 5 °C über einen Zeitraum von 30 bis 50 Tagen. Bestimmte Winterweizen- und Triticale-Sorten benötigen sogar eine Vernalisationsdauer von weit über 50 Tagen.
Ein unzureichender Kältereiz im Winter kann dazu führen, dass die Blüte im Folgejahr zeitlich verzögert stattfindet oder schlimmstenfalls ganz ausbleibt. Beim Wintergetreide führt ein zu schwacher Vernalisationsreiz oftmals zu einer verminderten Ährchenanlage und damit vor allem in spät gebildeten Nebentrieben zu einer geringen Produktivität.
Sorten mit vermindertem Vernalisationsbedarf erlangen daher eine immer größer werdende Bedeutung im Anbau. Auch intermediäre Formen – Kreuzungen zwischen Winter- und Sommertypen wie beispielsweise Wechselweizen – könnten aufgrund ihres verminderten Vernalisationsbedarfs eine zunehmende Rolle im zukünftigen Anbau spielen und bieten zudem höhere Flexibilität in der Wahl des Aussaattermins, bei suboptimaler Witterung im Herbst.
Trockenheit zur Blüte ist extrem kritisch

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Eine unzureichende Wasserversorgung der Bestände ist umso kritischer, je eher sie in die sensible Phase der Blüte fällt. Versuche mit diversen Winterrapssorten haben diesbezüglich gezeigt, dass eine während der Blüte auftretende Trockenheit zu Ertragsausfällen führte, die bis zu sechsmal höher lagen als die Ertragsausfälle, die durch Trockenstress vor und nach der Blüte verursacht wurden.
Mehr Treibhausgase – Chance oder Risiko?
Warum aber steigen die Temperaturen überhaupt? Ursächlich sind die durch Verbrennung fossiler Energien, Rodung und Landnutzung gestiegenen Gehalte an Treibhausgasen in der Atmosphäre, wie etwa Kohlendioxid (CO2), Methan oder Di-Stickstoffmonoxid. Je mehr Treibhausgase, desto mehr Wärmestrahlung wird Richtung Erdoberfläche reflektiert. Dadurch entsteht ein Wärmestau in der erdnahen Atmosphäre. Die Erdtemperatur steigt und das wiederum hat direkten und indirekten Einfluss auf die pflanzliche Erzeugung.
Naheliegend ist jedoch auch, dass sich steigende Kohlendioxidgehalte unmittelbar auf die pflanzlichen Erträge auswirken können. Als Schlüsselsubstrat für die Photosynthese ist Kohlendioxid essentiell für den pflanzlichen Energiehaushalt, die Kohlenhydratsynthese, das Wachstum und folglich auch die Biomasse- und Ertragsbildung. Steigt nun der Gehalt an Kohlendioxid in der Umgebungsluft und steht damit entsprechend mehr Kohlendioxid zur photosynthetischen Verwertung zur Verfügung, kann dies unter Umständen eine wachstums- und ertragssteigernde Wirkung auf unsere Ackerbestände haben.
Dieses Phänomen wird als CO2-Düngeeffekt bezeichnet. Diverse Freiland- und Gewächshausversuche, in denen Pflanzen bei sonst gleichen Bedingungen mit CO2 begast wurden, bestätigen: Bei vielen Kulturen wie Weizen, Gerste, Raps und Kartoffeln lassen sich die Erträge durch eine künstlich angehobene CO2-Konzentration auf das bis zum Ende unseres Jahrhunderts erwartete Maß um teilweise bis über 25 Prozent anheben.
Höhere Erträge nur im Labor
Gleichzeitig zeigte sich jedoch, dass nicht nur die Ertragsmenge sondern auch die Qualität des Aufwuchses durch das Kohlendioxidangebot beeinflusst wird. In Winterweizen und Wintergerste beispielsweise stiegen die Stärkegehalte im Korn an und das deutlich zu Lasten des Kornproteins, dessen Gehalte teilweise um bis zu 15 Prozent absanken. Zudem beeinflusst die CO2-Verfügbarkeit gleichzeitig auch die Mineralstoffmengen von Zink, Eisen, Magnesium und Kalium im Korn: Je mehr CO2 verfügbar ist, desto mehr Kohlenhydrate werden in das Korn eingelagert und desto geringer fallen durch diesen Verdünnungseffekt die Mineralstoffgehalte aus.
Ein kleiner Lichtblick: Herrschen höhere Kohlendioxidgehalte in der Luft vor, müssen die Pflanzen weniger transpirieren, um die gleiche Menge an CO2 aufzunehmen als vorher. Das bedeutet wiederum, dass die Pflanzen dem Boden weniger Feuchtigkeit entziehen müssen, um zu wachsen. Somit könnten wertvolle Bodenwasserreserven geschont bleiben, die vor allem bei ausbleibenden Niederschlägen an Bedeutung erlangen.
Inwieweit die Effekte der CO2-Düngung jedoch in der Realität zum Tragen kommen, ist schwer abschätzbar, da sich durch erhöhte Kohlendioxidgehalte und die daraus resultierenden Klimaveränderungen eben ein komplett neues Repertoire an Wachstumsbedingungen ergibt. Dem ertragssteigernden und gleichzeitig qualitätsmindernden CO2-Düngeeffekt stehen dann unter anderem vermehrte Trockenheit, Extremniederschläge und ein erhöhter Schädlingsdruck gegenüber – Gegebenheiten, die die Erträge wiederum entsprechend schmälern.
Züchtung hält mit dem Klimawandel Schritt
Höhere Jahresdurchschnittstemperaturen bewirken, dass die phänologische Entwicklung der Ackerbestände schneller voranschreitet. Langzeitbeobachtungen im Haferanbau haben gezeigt, dass sich Blüte und Reifestadien zeitlich um über zwei Wochen nach vorne verlagert haben. Problematisch wird eine solche beschleunigte Entwicklung dann, wenn die Pflanzen dadurch ihr volles Ertragspotenzial nicht mehr abrufen können. Denn eine Verkürzung der Wachstumsperiode geht auch mit einer verkürzten Phase der Strahlungsaufnahme einher. Somit wird potenziell weniger Energie in Biomasse und Ertrag umgewandelt.
Dem klimawandelbedingten Verfrühungseffekt kann auf betroffenen Standorten durch die Wahl spätreiferen Sortenmaterials entgegengewirkt werden. Demgegenüber steht aber die Tatsache, dass modernes Sortenmaterial wohl ohnehin in der Lage ist, die angebotene Strahlung während der gesamten Vegetationsperiode effektiver zu verwerten als ältere Sorten dies können. Das zumindest zeigt eine Studie, in der über 200 alte und neue Winterweizensorten hinsichtlich ihrer Produktivität und agronomischen Eigenschaften verglichen wurden.
Die gleiche Studie entkräftet zudem die weit verbreitete Meinung, dass ältere Sorten wesentlich widerstandsfähiger und robuster seien als ihre modernen Nachfahren. Im direkten
Vergleich erreichten die heutigen Hochleistungssorten auch unter suboptimalen Anbaubedingungen die höheren Erträge.
Ein Zeichen dafür, dass durch eine rein ertragsorientierte Züchtung die Widerstandskraft einer Sorte gegenüber widrigen Klima- und Wetterverhältnissen verbessert werden kann? In der Tat, denn es wird bereits im Zuge des Klimas gezüchtet und so eine gewisse Anpassungsfähigkeit an die heutigen Wetterunbeständigkeiten indirekt mit selektiert. Demnach hält die Züchtung zuverlässig Schritt mit dem Klimawandel.
Ältere Sorten sind ein wichtiger Genpool
Wie aber kann die Pflanzenzüchtung es schaffen, dem Klimawandel immer einen Schritt voraus sein? Natürlich reift Züchtungserfolg schneller, wenn der Blick direkt auf das Merkmal gerichtet wird, das verändert werden soll. Da im Angesicht des Klimawandels nicht mehr nur die Steigerung der Erträge, sondern auch die Stabilisierung der Erträge unter ungünstigen Wetter- und Niederschlagsbedingungen eine wesentliche Rolle spielt, stehen daher Sortenmerkmale wie Trocken- oder Hitzetoleranz im besonderen Interesse der Züchtung.
Und hier zeigt sich, dass auch die älteren ertragsschwächeren Sorten von Nutzen sind. Denn diese stellen meist wichtige „Genreserven“ für die moderne Züchtung dar. Im Zeitalter des sogenannten „SMART breeding“ – der Genmarker-gestützten Präzisionszucht – ist es bereits häufig gelungen, durch die „molekulare Erkennung“ spezifischer Gene oder Genausprägungen und deren Einkreuzung aus vergessenen Sorten in moderne Sorten, Pflanzen mit höherer Widerstandskraft zu schaffen. Dabei beruht die Methodik auf der üblichen Kreuzungszüchtung unter Hinzunahme spezieller molekulargenetischer Diagnosewerkzeuge und kommt damit ganz ohne Gentechnik aus.
Ein Beispiel: Eine alte Sorte, die viel Energie in die Ausprägung einer tiefreichenden Wurzel investiert, erzielt damit einen geringeren Kornertrag als eine moderne Sorte, die die zur Verfügung stehende Energie effektiv in Kornertrag umwandelt. Unter extremer Wasserknappheit kann sich das Bild jedoch umdrehen und ihr ausgeprägtes Wurzelsystem befähigt die ältere Sorte, tieferliegende Feuchtereservoirs im Boden zu erschließen und damit einen höheren Kornertrag zu bilden als die moderne Sorte.
Ertragseigenschaften werden durch viele Gene bestimmt
Die züchterische Kunst liegt nun darin, Genausprägungen für beide Attribute – ein hohes Ertragspotenzial und die Fähigkeit zur Wurzelplastizität – zu identifizieren und durch gezielte Kreuzung eine flexible ertragreiche Sorte zu schaffen, die ihr Potenzial zur vermehrten Wurzelbildung nur soweit abruft, wie es die Umweltbedingungen erfordern.
Wie schnell die Sortenzüchtung Erfolg hat, hängt unter anderem von der Anzahl der Gene ab, die ein bestimmtes Merkmal bedingen. Viele Krankheitsresistenzen, wie beispielsweise Resistenzen gegen Braunrost oder Mehltau, werden nur durch ein oder wenige Gen(e) bedingt und lassen sich daher züchterisch relativ einfach „bearbeiten“. Merkmale wie Ertrag oder Trockentoleranz hingegen werden durch zahlreiche Gene beeinflusst. Daher stellt sich Züchtungsfortschritt bei diesen Merkmalen eher dynamisch als abrupt ein.
Auch das hat seine Vorteile. Denn gleichzeitig bedeutet dies auch, dass langfristig eine Vielzahl von „Stellschrauben“ zur Verfügung steht, um die Sortenentwicklung kontinuierlich voranzutreiben. Züchtung bedeutet eben auch, große Aufgaben in kleinen Schritten zu bewältigen – und dabei dennoch immer einen Schritt voraus zu sein.
Dr. Sarah Hatzig, DLR Westerwald-Osteifel – LW 31/2020