Kräuter, Drohnen und Künstliche Intelligenz

Bernburger Winterseminar Arznei- und Gewürzpflanzen

Helfen Arzneipflanzen gegen Coronaviren? Nein, wenn man die Infektion bereits hat, lässt sich mit pflanzlichen Mitteln nichts machen. Aber Ja, Arzneipflanzen können helfen, einer Coronainfektion vorzubeugen – und gleichzeitig anderen Vireninfektionen auch. Prof. Michael Keusgen vom Institut für Pharmazeutische Chemie der Universität Marburg beschrieb auf dem Bernburger Winterseminar Arznei- und Gewürzpflanzen, welche Pflanzen gegen Coronaviren und Influenzaviren in Frage kommen.

Wenn in der Petersilie die Reihen schon geschlossen sind, stößt die Methode, Schadpflanzen mittels Drohne und Künstlicher Intelligenz zu erkennen, an ihre Grenze.

Foto: Schlag

„Es gibt nicht die Wunderdroge gegen Corona“, schränkte der Experte für pharmazeutische Biologie ein, aber manche Wirkstoffe in Arzneipflanzen schützten vor jenen Viren, die den Körper über die Atemwege befallen. Wirksam seien zuvorderst Gerbstoffe (Tannine), denn sie reagierten mit Eiweißen und veränderten dabei deren Struktur. „Das tun sie auch mit den Hüllproteinen von Viren, damit hindern sie diese, an der menschlichen Zelle anzudocken. Diese Wirkung ist im Laborversuch für Grippe-Viren nachgewiesen, zum Beispiel mit Extrakten von Grüntee, aber es gibt auch vieles in Europa, etwa der heimische Sauerampfer oder Zistrosenkraut“, sagte Keusgen bei dem Seminar, das eine gemeinsame Veranstaltung des Vereins für Arznei- und Gewürzpflanzen Saluplanta mit der Landesanstalt für Landwirtschaft und Gartenbau Sachsen-Anhalt und der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe FNR ist.

Pflanzliche Gerbstoffe können Corona-Viren blockieren

„Mit Gerbstoffen kann ich richtig gut etwas machen“, sagte Prof. Keusgen, aber das müsse vorbeugend geschehen (prophylaktisch), idealerweise über den ganzen Tag verteilt, um das Anheften von Coronaviren an menschliche Zellen zu verhindern. Diese Wirkung sei schon länger bekannt, jetzt gehe es darum, geeignete Formulierungen zu finden und richtig zu dosieren. Wirksam sei auch Rosmarin-Säure, wie sie in der Zitronenmelisse vorkomme – oder auch der Rosmarin selbst, mit seinem Gehalt an Cineol, einer Komponente der ätherischen Öle. Auch diese reagierten mit der Virushülle. Das sei zwar kein ausgeprägter pharmakologischer Wirkmechanismus mit humanen Rezeptoren, aber: „Es hilft prophylaktisch, das ist die Botschaft.“

Laborversuche gäben auch Hinweise, dass ätherische Öle aus Salbeiblättern und Basilikum mit den Hüllen von Coronaviren reagierten, und Keusgen ist sicher: „Ätherisch-Öl-Drogen sind hier ohne Frage hilfreich“. Zu erwähnen wäre noch der Sonnenhut. Auch hier konnte ein Extrakt aus Kraut und Wurzeln im Labortest die Hülle von Influenza-Viren so stören, dass diese nicht mehr in die Zelle eindringen. Den Sonnenhut solle man in diesem Zusammenhang stärker beachten, findet Keusgen: „Er wächst gut in Deutschland, wird auch angebaut, es gibt eine phantastische Datenlage, warum können wir damit nicht etwas machen?“ Und er führt weiter aus: „Die Liste der Heilpflanzen, die allgemein das Anheften von Viren an eine menschliche Wirtszelle unterbinden können, ist noch länger: Auch Kapuzinerkresse und Meerrettich zeigen solche antiviralen Wirkungen, nicht zu vergessen der Knoblauch mit all seinen Wildarten.“ Keusgen tritt ganz klar dafür ein: „Es wäre sinnvoll, alle diese Dinge zu reaktivieren und sie als vorbeugende Anwendungen breit in den Verkehr zu bringen.“

Breitwegerich ist zu Unrecht in Vergessenheit geraten

Zu seinen erklärten Lieblingspflanzen gehört der Breitwegerich und „ich weiß nicht, wieso er bei uns in Vergessenheit geraten ist.“ Allseits bekannt sei ja der Spitzwegerich aber auch andere einheimische Wegerich-Arten wie der Breitwegerich oder der Mittlere Wegerich zeigten die gesuchten antiviralen Wirkungen. „Zu beachten allerdings sind immer Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, die auch bei den Arzneipflanzen eine Rolle spielen. Es geht immer um moderate Mengen, also eher Vorsicht bei hohen Dosierungen,“ betonte der Referent.  Keusgen räumt allerdings ein: „Die meisten Studien wurden nicht mit Menschen gemacht, sondern geben Laborergebnisse wieder.“ Bei vielen Substanzen sei deshalb noch zu fragen: Wie stabil sind sie, wie viel ist bioverfügbar? Aber was die Herkunft der Pflanzen betrifft, müsse man sich nicht notwendig der chinesischen Medizin oder Ayurveda zuwenden, sondern „wir finden reichlich Pflanzen aus der traditionellen europäischen Medizin, die wir bei uns kultivieren können.“

Gerbstoffe und ätherische Öle verleihen keine Immunität!

Auf keinen Fall dürfe man die Schutzwirkung durch Arzneipflanzen aber mit einer Impfung verwechseln. „Gerbstoffe und ätherische Öle wirken immer lokal und vorübergehend, sie verleihen aber keine Immunität. Mit Gerbstoffen kann man den Mund-Rachenraum schützen, für die Bronchien bieten sich die ätherischen Öle an, diese gelangen auch in die Lunge.“ Besonders sinnvoll sei deshalb eine Kombination aus Gerbstoffen und ätherischen Ölen: „Salbei zum Beispiel und Perilla (anderer Name: Shiso) haben beides: Gerbstoffe und ätherisches Öl – also genau die Kombination, die wir brauchen.“

Einzelne Unkräuter können Erntechargen verderben

Der Anbau von Arznei- und Gewürzpflanzen ist empfindlich gegen Unkräuter, die Pyrrolizidin-Alkaloide (PA) enthalten. Denn wegen der engen PA-Höchstwerte für pflanzliche Arzneien kann selbst minimaler Besatz mit PA-haltigen Unkräutern ganze Erntechargen unverkäuflich machen. Barbara Steinhoff vom Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller nannte die jüngsten rechtlichen Änderungen zu Pyrrolizidin-Alkaloiden. Die Europäische Arzneimittelagentur habe im vergangenen Jahr die Grenzwerte für PA in pflanzlichen Arzneimitteln dauerhaft auf 1,0 Mikrogramm pro Tag festgelegt, gerechnet auf die Tagesdosis eines Fertigarzneimittels bei Erwachsenen. „Dieser Grenzwert war zunächst befristet bis Mai 2021 und wurde nun als generelles Limit festgelegt. Das ist eigentlich eine sehr positive Entwicklung“, sagte Steinhoff, noch niedrigere Werte hätte man in der Praxis kaum einhalten können.

Bei der Verwendung als Lebensmittel rechne das Europäische Lebensmittelbuch anders. „Hier beziehen sich die Grenzwerte für PA nicht auf die Tagesdosis, sondern auf das Produkt selber. Für getrocknete Tees gelten ab Juli kommenden Jahres 200 Mikrogramm pro Kilogramm. Für Melisse, Thymian, Pfefferminz und Zitronenverbene gilt ein höherer Wert von 400, für Kamille dagegen liegt er mit 75 weit darunter. Alle diese Grenzwerte bewegen sich im Bereich von Mikrogramm zu Kilogramm, das ist ein Verhältnis unter Eins zu einer Million. Damit bleibt die Bedrohung für die Anbauer durch PAs hoch: „Drei Pflanzen auf einem Hektar, die mit geerntet werden, verderben eine Charge von mehreren Tonnen Material“, so Wolfram Junghanns, Vorsitzender des Vereins Saluplanta.

Drohnen und KI zur Feldhygiene einsetzen

Ein Lösungsansatz könnten Drohnen mit extrem hochauflösenden Kameras und Datenverarbeitung mittels Künstlicher Intelligenz sein. Philipp Lottes, Geschäftsführer der Firma Pheno-Inspect in Oberhausen präsentierte auf dem Bernburger Seminar erste Ergebnisse der „Drohnen-gestützten Feldhygiene“. Das Ziel: effiziente Früherkennung von PA-haltigen Wildkräutern im Anbau von Arznei- und Gewürzpflanzen. Pheno-Inspect, 2020 als Start-Up gegründet, entwickle Bildverarbeitungssoftware mit automatischer Bildauswertung für Pflanzenzüchter, Versuchswesen und Landwirte.

„So funktioniert es: Eine Drohnenkamera macht beim Ãœberflug viele hochauflösende Einzelbilder des Ackers, daraus wird ein digitales Modell des Schlages erstellt und dann suchen wir die Nadel im Heuhaufen“, sagt Lottes. Das heißt: die Position von jedem einzelnen PA-Unkraut im Feld mit bisher nicht gekannter Präzision. In den Bilddateien eines Feldes von einem halben Hektar Größe lassen sich einzelne Unkräuter mit wenigen Quadratzentimetern Größe erkennen. Auf den Karten erscheint das Kreuzkraut (Senecio), mit dem die Tests liefen, dann als unregelmäßig blau verpixelte Markierung. „Daraus ergibt sich die Chance, dass ich nicht mehr viele Leute durch das Feld schicken muss, die jeden Quadratmeter inspizieren“, erklärt Philipp Lottes. Ausgerüstet mit einer Karte, auf der alle Positionen der PAs schon eingetragen sind, braucht man dazu nur noch eine Person. Oder in Zukunft möglicherweise ein Roboter, der mit den Informationen gefüttert ist. Wolfram Junghanns schilderte, welches gravierende Problem im Anbau von Arznei- und Gewürzpflanzen dahinter steht: Je nach Kultur entstünden derzeit Zusatzkosten bis zu 1000 Euro/ha für das manuelle Nacharbeiten.

Im Herbst 2020 wurde die Methode auf unterschiedlich bewachsenen Flächen des Julius-Kühn-Instituts (JKI) in Berlin mit verschiedenen Drohnen und Kameras erprobt. Bei der Erkennung der Unkräuter habe sich gezeigt, dass hochauflösende RGB-Daten (Tageslicht) bessere Ergebnisse liefern als Multispektralkameras, die zusätzlich Infrarot-Aufnahmen machen. Entscheidend für die Erkennung sei die Form der Pflanze und ihrer Blätter. Im besten System werde die Fläche mit einer hochauflösenden RGB-Kamera (100 Megapixel) überflogen und „wir können bis auf den Millimeter runtergehen“, sagt Lottes. Die Auswertung erfolge mit Künstlicher Intelligenz, das bloße Auge sei hier überfordert. „Wenn man es nicht weiß und auf das Bild schaut, hat man im Prinzip keine Chance die Pflanze zu sehen, die ich suche“, sagt Lottes. Und es müssten auch Pflanzen unterschieden werden, die je nach Vegetationsstand ähnlich aussehen wie Kreuzkraut: Löwenzahn etwa oder Disteln.

hohe Trefferquote bei PA-Unkräutern

Werden tatsächlich alle PA-Unkräuter erkannt? Darauf kommt es an, es geht ja um die Einhaltung von Höchstwerten. „Wir haben eine hohe Trefferquote“, sagt Lottes, „selten wurden PAs übersehen.“ Lottes räumt aber ein: „Drei Versuchsflächen sind noch keine repräsentative Studie, das System muss sich in der Praxis bewähren. Wir müssen uns verknüpfen mit den Anwendern, die im Alltag vor der Herausforderung stehen, wie bekomme ich die PAs aus dem Feld?“ Und hier warteten neue Schwierigkeiten. Beispiel Petersilie, dahin ging eine Nachfrage im Chat der Online-Veranstaltung vergangene Woche: Was tun, wenn in der Petersilie die Reihen schon geschlossen sind? „Dann stößt die Methode an ihre Grenze,“ sagt Lottes, denn „wir können nur das erkennen, was wir von oben sehen.“ Die Lösung könnte sein: Man macht die Bilder zu einer anderen Zeit, denn „irgendwann gibt es immer den Zeitpunkt, zu dem ich fliegen kann und eine große Chance habe, die Pflanzen zu erkennen“, sagt Lottes. Um solche Dinge herauszufinden, brauche man jetzt den Austausch mit den Anwendern.

Wolfram Junghanns von Saluplanta fand, das alles seien „aufmunternde Ergebnisse“. Vor allem, weil PA-Pflanzen, die auf dem Feld vorher bonitiert wurden, mit der Drohne dann auch tatsächlich gefunden wurden. Auch wenn es vorkommt, dass andere Pflanzen markiert werden, meint Junghanns: „Dieses Ergebnis ist viel besser als umgedreht“, wenn also nicht alle PA-Pflanzen gefunden würden. Allerdings: „Wir müssen sie auch finden, wenn sie teilweise bedeckt sind. Und wir haben nicht nur Sonnetio (Kreuzkraut) als PA-Pflanze.“ Das europäische Arzneibuch führt insgesamt 28 PA-Substanzen auf.

„Regiosaatgut“ von einheimischen Wildpflanzen

Das Bernburger Seminar befasste sich auch mit einem Thema aus dem Naturschutz: Gebietseigenes Saatgut von einheimischen Wildpflanzen erlebt seit Jahren eine steigende Nachfrage. Gebraucht wird es im Landschaftsbau, zur Begrünung von Deichen, Dämmen und Straßenböschungen, oder für Zwecke des Naturschutzes und die Entwicklung von artenreichem Extensivgrünland. Auch die Produktion wächst stetig, dennoch: „Die Nachfrage übersteigt das Angebot“, sagt Dierk Kunzmann, Leiter der AG Regiosaatgut beim Bund Deutscher Pflanzenzüchter (BDP). Befördert wurde die Nachfrage durch eine Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes: Seit März 2020 dürfen in der freien Landschaft nur noch „gebietsheimische Arten“ ausgebracht werden. Das heißt, die Saaten müssen tatsächlich aus ihrem natürlichen Vorkommensgebiet stammen und nach Ernte und Vermehrung mit den Saatmischungen auch wieder nur in dieses Gebiet zurück. Man will damit das natürliche Artenspektrum in einem Gebiet erhalten, und auch die genetische Vielfalt der Arten innerhalb ihres angestammten Naturraums.

Die Bestimmungen für Regiosaatgut gelten aber nur für Wildpflanzen in der freien Natur, der Anbau von Kulturpflanzen, ist davon ausgenommen. Dierk Kunzmann verwies dazu auf einen Runderlass des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums: Auf Ackerflächen angesäte Blühmischungen gelten – selbst wenn sie nicht geerntet werden – als landwirtschaftlicher Anbau. Gebietseigenes Saatgut von einheimischen Wildpflanzen muss ein staatlich anerkanntes Zertifizierungssystem erfüllen. Von der Sammlung bis zum Vertrieb muss die Rückverfolgbarkeit gesichert sein und die Vermehrung darf nicht dazu führen, dass die Vielfalt innerhalb der Art leidet. Kunzmann stellte das Verfahren am Beispiel der Marke RegioZert vor, dahinter steht der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter. Die Ernte des Ausgangssaatgutes geschieht durch Biologen mit Sammelgenehmigung in Schutzgebieten. Es folgt die Reinigung, immer getrennt nach Arten und Regionen bei der Firma Zeller Saaten im Odenwald. Anschließend – wiederum getrennt nach Herkunftsregionen – die Anzucht zur F1-Generation in Gewächshäusern. Und schließlich die Vermehrung der F2-Generation auf dem Acker und die Mischung zu regionalem Saatgut, das in Säcken verkauft wird.

Für die zertifizierten Mischungen wurden in Deutschland 22 Ursprungsgebiete definiert, die jeweils einen Naturraum umfassen. Hessen fällt überwiegend in die Region UG 21 „Hessisches Bergland“. Abweichend davon gehören die Gemüseanbaugebiete Südhessens, ebenso wie die Pfalz, zum Ursprungsgebiet UG 9 „Oberrheingraben mit Saarpfälzer Bergland“. Innerhalb der Ursprungsgebiete gibt es je nach Verwendung verschiedene Varianten des Saatgutes: Grundmischung, Magerrasen sauer, Magerrasen basisch, Feuchtwiese, Ufer, Böschung, Fettwiese, Feldrain und Saum. Verwendet man es innerhalb seines Ursprungsgebietes, ist das Regiosaatgut für den freien Verkehr zugelassen und braucht für die Aussaat keine Genehmigung.

Michael Schlag – LW 10/2021