Landwirtschaft 2030 – wo geht die Reise hin?

Agrarforum des ATV Fritzlar und nordhessischer VLF

Der Agrartechnikerverband Fritzlar, die Vereine für landwirtschaftliche Fortbildung und der Regionalbauernverband Kurhessen richteten Ende Januar ihr diesjähriges Agrarforum zu Themen der Agrar-, Umwelt- und Gesellschaftspolitik in Fritzlar aus.

Veranstalter und Referenten der Tagung, von links: Dr. Lothar Koch, Thomas Preuße, Norbert Klapp, Brigitte Scherb, Michael Kraft, Gerhard Schmidt und Thomas Gille.

Foto: Dr. Ernst-August Hildebrandt

Schulleiter Dr. Lothar Koch, der die Veranstaltung moderierte, stellte nach einem Grußwort von Thomas Gille, Vorstandsmitglied der Kreissparkasse Schwalm-Eder, die Referenten vor. Thomas Preuße von der Zeitschrift „DLG-Mitteilungen“, sprach zum Thema „Landwirtschaft im Spannungsfeld zwischen wirtschaftlichen Zwängen und gesellschaftlichen Wunschvorstellungen.“ Zum Image der Landwirtschaft stellte Preuße fest, grundsätzlich sehe der Verbraucher die Landwirtschaft und den Beruf des Landwirts in einem guten Licht, werde aber durch Diskussionen wie Tierwohl, Nitratüberschüsse, Produktionskonzentration, Tötung von männlichen Küken, Bienensterben durch Insektizide sowie die Vermaisung und andere verunsichert. Der Verbraucher habe diese Bilder (im Kopf) wegen seiner Ferne zur Landwirtschaft. Informationsquellen seien Fernsehen, Rundfunk, Presse und Internet, die zum Teil durch fragwürdige Quellen gespeist würden. Ein Problem bestehe darin, dass früher ein mehr oder weniger vernünftiger Austausch von Argumenten statt fand, während heute keine Trennung des Privaten vom Öffentlichen vorgenommen werde. „Jeder quatscht mit“, so Preuße. Je nach Situation und Laune würden dann auch unvereinbare Auffassungen gleichzeitig geäußert. Beispiele sei beim Thema Fleisch die Ablehnung von „Massentierhaltung“ aber gleichzeitig der Einkauf beim Discounter. Oder: Windkraft ja, aber nicht bei uns.

Widerspruch zwischen Idylle und Geiz beim Einkauf

Das „Böse“ werde im Augenblick des Konsums oder Einkaufs verdrängt und die Verantwortung dafür dem Produzenten zugeschoben. So agiere auch der LEH. Eine große Bedeutung spiele dabei auch die Glaubwürdigkeit der Informationsquellen. Preuße schließt daraus, dass die Welt eher emotional wahrgenommen und nicht fachlich reflektiert wird. Die Menschen würden vom Produzenten und der Politik erwarten, dass ihre emotionalen Befindlichkeiten berücksichtigt werden. Das heiße, dass beide den Widerspruch zwischen Biosehnsucht und Geizmentalität auflösen sollen.

Der Referent wies auf Aktionen von Landwirten in Zusammenarbeit mit Unterstützern, beispielsweise dem Berufsstand hin, Missverständnisse aufzuklären und mehr Fachkommunikation als Emotionen in den Fokus zu stellen. Eine Kampagne „gegen“ sei leichter, als eine Kampagne „für“. Der Landwirt könne dabei als Einzelperson in seinem Umfeld etwas erreichen. Der Schlüsselbegriff sei „Vertrauen.“ Wen man kennt und schätzt, dem traut man eher. Auch Großtechnik und Großställe blieben so nicht anonym. Dabei sei eine eigene Webseite zwar gut, die Kontakte in Kneipe und Verein sowie ein Tag des offenen Hofes seien aber wesentlich besser und effektiver. Die Kommunikation müsse ständig laufen, nicht nur im Krisenfall. Die „Bilder im Kopf“ könne man nicht in einer Nacht weg bekommen. Die Landwirtschaft müsse konkret die „Baustellen“ adressieren und dabei auch eine kritische Selbstbeurteilung vornehmen.

Zusammenhänge werden kaum noch gesehen

Dozent, Berater, Moderator Coach und Journalist Gerhard Schmidt aus Menden sieht die Bürger ebenfalls immer weiter weg von der Landwirtschaft. Hier werde der Zusammenhang zwischen Lebensmitteln und Landwirtschaft kaum noch gesehen und Vorurteile dominierten vor Faktenwissen. Hinzu komme eine falsch verstandene Tierliebe, die Vegetarismus und Veganismus als trendy, modern und fatalerweise auch als gesund markieren. Dabei würden Veganer teilweise als militant, rechthaberisch, besserwissend und belehrend auftreten und seien überaus intolerant. Zudem müsse man feststellen, dass Veganer und Vegetarier in den Medien und zunehmend auch beim Handel immer größeren Anklang finden. Schmidt stellte fest, dass bereits in KiTas veganisch erzogen und in Grundschulen bewusst vegetarisch beköstigt werde. Einige wenige Ärzte würden darauf hinweisen, dass eine veganische Ernährung für Kinder aufgrund fehlender Nährstoffe und Vitamine, die nur durch tierische Produkte aufgenommen werden, eine schwere Körperverletzung darstelle. Schmidt wies darauf hin, dass die Gegner der fleischbetonten Ernährung sehr medienbewusst und offensiv arbeiten, wobei die Diskussionen zunehmend auf Themen wie Stallanlagen und -neubauten, Intensiv-Tierhaltung, Umweltbelastungen und Schlachthöfe gelenkt werden. Der Verbraucher sei inzwischen im höchsten Maße verunsichert und nehme schlechte Nachrichten häufig als Wahrheit an. Dabei würde in der öffentlichen Diskussion oft mit Horrorzahlen argumentiert. Dies zeige sich besonders bei Zahlen über Tierbestände und Tierhaltungen. Schmidt rechnete vor, dass bei seriöser ökonomischer Rechnung ein Ei aus Freilandhaltung nach den von Tierschützern und Grünen geforderten maximalen Bestandsgrößen von 1 000 Tieren durch Produktion und Transport zum LEH 4,39 Euro/Ei kosten müsste. Ähnliches müsste bei Fleisch erwartet werden.

Familienleben im Betrieb und Zusammenleben im Dorf

Die Präsidentin des Deutschen Landfrauenverbands, Brigitte Scherb, rundete die Fachvorträge mit ihrem Referat über „Landwirtschaftliche Familien in der Öffentlichkeit – Zusammenleben im Dorf“ ab. Die Referentin machte deutlich, dass derzeit nur noch 11 Prozent der Bevölkerung auf dem Lande leben. Landwirtschaftliche Familien selbst machten gar nur noch 2 Prozent der Bevölkerung aus und wohnten zudem überwiegend auf Aussiedlungsbetrieben wodurch auch der Kontakt zu anderen Bewohnern auf dem Land erschwert sei.

Das Landleben werde von den meisten Menschen nur noch durch Zeitschriften und Hochglanzmagazine wahrgenommen, die allerdings keine landwirtschaftlichen Themen behandeln. Somit sei die ehemalige Verankerung der Landwirtschaft in der Mitte der Gesellschaft brüchig geworden, worunter auch die Glaubwürdigkeit der Landwirtschaft leide. Besonders bei zugezogenen Mitbürgern werde der Landwirtschaft in den Dörfern mit Skepsis begegnet. Augenfällig werde dies, wenn Stallneubauten anstehen. Die örtlichen Gegner würden sich zu 75 Prozent bei den Zugezogenen rekrutieren, während bei den „Einheimischen“ nach Umfragen weniger als 50 Prozent zu den Opponenten zählen. Negativ wirke sich die Werbung der Lebensmittelindustrie aus, die auf Packungen mit Bildern einer romantischen Welt werben. Dies treffe auch bei Kinderbüchern zu, die an der „Bilderbuchlandwirtschaft“ des Vorindustriezeitalters festhalten und damit bereits den Kleinsten ein falsches Bild vermitteln.

Scherb forderte, dass hier größere Anstrengungen unternommen werden müssen, wobei aus ihrer Sicht mehr Mut zur Öffent­lichkeitsarbeit in den Dörfern die größten Erfolge bringt. Moderne Landwirtschaft sei müsse von der Gesellschaft stärker wahrgenommen werden. „Was nicht verstanden wird, kann auch nicht auf Verständnis hoffen“, so die Landfrauenpräsidentin mit einem Zitat von Altbundespräsident Roman Herzog. Chancen beständen darin, auch am Feldrand mit dem Schlepper anzuhalten, um Interessierten eine Maschine oder ein Arbeitsverfahren zu erklären.

Michael Kraft sprach als Vorsitzender des Agrartechnikerverbands Fritzlar das Schlusswort und dankte den Referenten, Organisatoren, der Gruppe „Sowas“, die die Veranstaltung mit musikalischen Beiträgen begleitete und den Besuchern für ihre engagierten Diskussionsbeiträge.

Dr. Hildebrandt – LW 6/2016