Lein: Wie mit Kosten für Wolfschutzzäune umgehen?

„Schluss mit dem Hurra-der-Wolf-ist-da-Modus!“

Vor neun Jahren wurde ein im Kaufunger Wald bereits sesshaft gewordener Wolfsrüde tot aufgefunden. Vorvergangene Woche teilte Staatsministerin Priska Hinz mit, dass im Vogelsberg eine Wölfin sesshaft geworden sei und mit der Gründung des ersten sesshaften Wolfsrudels gerechnet werden müsse (siehe Bericht LW 11/2020, Seite 46). Volker Lein, Vorsitzender des KBV-Vogelsberg, HBV-Vizepräsident und selbst Milchvieh- und Weidetierhalter, nimmt gegenüber dem LW zu dieser neuen Entwicklung Stellung.

„Bei den Kosten für die Anschaffung der erforderlichen Schutzzäune alleine für Rinder (ohne Milchkühe) geht es in Hessen im Minimum um mehr als 100 Mio. Euro und im Maximum um mehr als 200 Mio. Euro. Wer soll das bezahlen?“ fragt HBV-Vizepräsident Volker Lein.

Foto: Dietz

Für bemerkenswert hält Lein die Aussage von Hinz, dass künftig Wölfe, „die sich Menschen gegenüber auffällig verhielten oder wiederholt Herdenschutzmaßnahmen überwänden, sodass Gefahr bestehe, dass sie ernsthafte wirtschaftliche Schäden anrichteten, erschossen werden dürften“. Auf der Demonstration der Weidetierhalter am 15. Januar in Wiesbaden habe Hinz noch gesagt, dass „der Wolf das gleiche Recht auf Leben habe wie alle anderen ansässigen Tiere“.

Ein Wolfsrudel eröffnet neue Schadendimension

„Alle bisher gemeldeten Wolfsrisse in Hessen sind durch Einzeltiere erfolgt. Der Zugriff eines ganzen Rudels auf Wild- und Weidetiere einer eingegrenzten Region hat eine ganz neue Qualität und Quantität im Vergleich zu dem, was wir bisher erlebt haben“, so Lein. Die Tierhalter einer solchen Region müssten sich ernsthaft überlegen, ob sie Schafe, Ziegen, Kühe mit Kälbern oder auch hochtragende Kühe und Rinder überhaupt noch über Nacht draußen lassen könnten. Das alleine schon hätte schwerwiegende Folgen für die Art der Weidetierhaltung. Zum einen stiege der Arbeitsaufwand für den Rein-Raus-Transport deutlich an. Zum anderen müsste die Stallfütterung bereits während der Vegetationsperiode, zumindest teilweise, aktiviert werden. Das erhöhe die finanzielle und arbeitswirtschaftliche Belastung des Betriebes, weil zusätzliches Winterfutter eingekauft oder auf jetzt schon knappen Flächen zusätzlich geworben werden müsste.

„Bisher hat die Politik die Vorstellung, die Entnahmen durch den Wolf mit Geld auszugleichen und auf diese Weise die neue Situation zu befrieden“, sagt Lein.

Unbürokratische Lösungen bisher nicht in Sicht

Aber es gebe bisher keine Aussagen und auch keinen Plan über den zu erwartenden Umfang der Wolfsrisse, und wie das im Einzelnen zu handhaben sei; geschweige denn zur Höhe künftiger Entschädigungssummen. Die mehrfach zugesagte unbürokratische Entschädigung sei bisher noch nicht in Sicht. In der genannten Pressemitteilung würden Millionen-Beträge aus der AGZ und dem HALM-Programm ins Feld geführt und somit für Nichtlandwirte oder Wolfsfreunde suggeriert, damit stünden doch beachtliche Summen für Schäden durch den Wolf bereit. „Diese Fördergelder haben aber mit der zusätzlichen Belastung durch Wolfsrisse inhaltlich gar nichts zu tun. Ebenso wenig wie die Fördermittel zum Erhalt gefährdeter Nutztierrassen“, kritisiert Lein.

Mehr als 100 Mio. Euro für wolfsfeste Zäune

Die Politik müsse sich selbst ein klares Bild verschaffen über die allein zur Abwehr des Wolfes erforderlichen Investitionen in wolfsfeste Zäune, die dann wöchentlich oder sogar mehrmals wöchentlich zu anderen Übernachtungsplätzen transportiert und in oft unwegsamem Gelände erneut hieb- und stichfest ab- und wieder aufgebaut werden müssten.

Eine überschlägige Berechnung des Hessichen Bauernverbandes habe ergeben, dass die Kosten für die Anschaffung der erforderlichen Schutzzäune alleine für Rinder (ohne Milchkühe) in Hessen im Minimum die 100-Mio.-Euromarke und im Maximum die 200-Mio.-Euromarke mit Sicherheit überschreiten würden (siehe Tabelle). „Zu dieser beachtlichen Investitionssumme alleine zur Abwehr des Wolfes gibt es keinerlei Aussage, in welcher Höhe eine Förderung in Aussicht gestellt wird“, bemängelt er.

Auch vermeide die Politik jegliche Aussage darüber, wie sie mit anderen Folgen der künftig deutlich vermehrt auftretenden Wolfs-Rudel-Angriffe auf Weidetiere umzugehen gedenke. Ein wildernder Hund habe vor Jahren eine Schafherde in Panik versetzt, die dann auf den Gleisen in einem ICE-Tunnel Zuflucht gesucht hätte.

Rinderherden in Panik über belebte Fernstraßen?

Daraufhin sei ein ICE entgleist, ohne dass Menschen dabei verletzt worden seien. Lein beschreibt das Szenario, ein Rudel Wölfe, sechs, acht oder zehn erwachsene Tiere, versetzen eine Mutterkuh- oder Pferdeherde in Panik. „Wenn diese Tiere dann in gestrecktem Galopp eine vielbefahrene Bundesstraße oder Autobahn überqueren – hat da irgendjemand mal an das Leid der verunfallten Menschen gedacht? Er gibt zu bedenken, ob es das Leben eines Wolfes wirklich wert sei, dass Schäden an Leib und Leben von Menschen sozusagen als Kollateralschäden billigend in Kauf genommen werden. Und anschließend müsse dann der Weidetierhalter auch noch den Nachweis führen, dass ein jagendes Wolfsrudel diesen Folgeschaden verursacht habe, oder er werde zur Kasse gebeten mit allen negativen Folgen für seine wirtschaftliche Existenz. „Diese Fragestellungen stehen im Raum und bedürfen dringend einer Antwort“, fordert Lein.

Biodiversität des Grünlandes auf der Kippe

Eine weitere Frage, auf die weder Vertreter des haupt- noch ehrenamtlichen Naturschutzes bisher eine Antwort zu geben bereit seien, ist für Lein die Frage der Biodiversität auf Grünlandflächen. Die sehr unterschiedlichen pflanzensoziologischen Gesellschaften auf dem Dauergrünland seien zum einen standortgeprägt, je nachdem, ob es sich beispielsweise um einen Trockenrasen-, Magerrasen- oder einen anmoorigen Standort handele. Die jeweilige Ausprägung sei aber mindestens ebenso stark von der Art der Beweidung abhängig. Je nach Tritt- oder Fresseinwirkung hätten sich auf identischen Standorten sehr unterschiedliche Pflanzengesellschaften mit den dazugehörigen spezifischen Tiergesellschaften entwickelt. Dieses System breche mit der flächenhaften Herausnahme von Weidetieren aus der offenen Landschaft schlagartig in sich zusammen; die jetzt noch vorhandene Biodiversität sei unwiederbringlich verloren. Zu dieser zwangsläufigen Folge der Anwesenheit des Wolfes oder ganzer Wolfsrudel hülle sich die Politik in Schweigen. Lein fordert von den politisch Verantwortlichen auf allen Ebenen bis hin zur EU zu überdenken, ob ein absoluter Schutz des Wolfes in eine Kulturlandschaft passe, die weit über 100 Jahre bestens ohne den Wolf und die von ihm ausgehenden Gefahren ausgekommen sei. Seine Forderung: „Mit dem Hurra-der-Wolf-ist-da-Modus der Wolfsfreunde muss jetzt Schluss sein!“

LW – LW 12/2020